Wenn die deutsche Autoindustrie die Antriebswende tatsächlich verschlafen haben sollte, dann war der Schlaf nur von kurzer Dauer. Denn nach einer aktuellen Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) zählen BMW, Mercedes-Benz und die Volkswagen-Gruppe im internationalen Vergleich inzwischen zur Spitzengruppe unter den Autoherstellern, die den Wandel zu emissionsfreien Fahrzeugen treiben.
Die Umweltorganisation aus den USA – die 2015 maßgeblich an der Aufdeckung des Dieselskandals beteiligt war – hatte erstmals untersucht, wie weit die größten Autohersteller weltweit schon bei der Antriebswende und auf dem Weg zu einem emissionsfreien Straßenverkehr vorangekommen sind. kommen. Und siehe da: BMW und Volkswagen sind den beiden Elektrofahrzeug-Pionieren Tesla aus Kalifornien und BYD aus China bereits auf den Fersen, haben diese in manchen Punkten sogar schon überholt.
Vor allem der VW-Konzern überraschte die Experten. „Wenn man bedenkt, dass der Dieselskandal erst sieben Jahre zurückliegt, ist es schon bemerkenswert, dass sich VW als ernsthafter Vorreiter beim Übergang zu 100 Prozent emissionsfreien Fahrzeugen erweist“, wurde Rachel Muncrief, die Vize-Chefin des ICCT, in einer Pressemitteilung zitiert. Auch BMW zeige nachdrücklich, dass es dem Konzern ernst sei mit der Antriebswende: In der Gesamtbewertung durch die Umweltorganisation liegen die Bayern hinter den beiden Elektroauto-Pionieren Tesla und BYD und vor VW bereits auf Platz drei des Rankings. Den größten Nachholbedarf hat demnach Mercedes-Benz. Die Stuttgarter belegen im „Global Automaker Rating 2022“ nur Platz acht – noch hinter Renault.
Tesla-Fertigung alles andere als grün
Es gibt sogar Felder, wo BMW und VW die bisherigen „Leader“ der Transformation – Tesla und BYT – schon überflügelt haben: bei der Dekarbonisierung der Fahrzeugproduktion. Denn ein Elektroauto sollte nicht nur im Fahrbetrieb emissionsfrei sein, sondern auch möglichst klimafreundlich gerfertigt werden. Unter Einsatz von Erneuerbaren Energien. Von dem Ideal sind sowohl Tesla als auch BYD noch weit entfernt. Nach den Analysen der ICCT ist die in den Tesla-Fabriken eingesetzte Energie aktuell nur zu 30 Prozent erneuerbar. Und in den chinesischen Werken von BYD wurden im vergangenen Jahr nur 44.000 Megawattstunden Grünstrom eingesetzt. Dafür gab es keine Punkte. Bei BMW hingegen ist die komplette Produktion von Elektroautos (Batteriefahrzeuge und Plug-in Hybride) mittlerweile dekarbonisert. Und bei VW zumindest alle europäischen Werke und 54 Prozent der Produktionsstätten außerhalb Europas. Dafür gab das ICCT 100 bzw. 75 Punkte. Auch weil beide Unternehmen diesbezüglich auch ihre Zulieferer in die Pflicht nehmen.
Aber das Rennen ist noch nicht zu Ende. Und die deutschen Autobauer haben noch an vielen anderen Stellen Nachholbedarf. Insbesondere bei der Fahrzeugtechnik, in den Punkten Effizienz, Reichweite und Ladeleistung – da sind andere längst weiter. Die Tesla-Flotte, haben die Experten ermittelt, kommt im Schnitt 503 Kilometer mit einer Akkuladung weit, die Stromer von Ford (unter US-Bedingungen) im Schnitt 488 Kilomerer. Bei VW, BMW, Mercedes-Benz, aber auch bei Hyundai-Kia, General Motors, BYD, Toyota und Geely bewegen sich die durchschnittlichen Reichweiten nur zwischen 400 und 450 Kilometern.
VW braucht effizientere Antriebe
Was auch an den höheren Energieverbräuchen der Elektroantriebe liegt. Tesla-Fahrzeuge kommen nach der Studie mit einem durchschnittlichen Stromverbrauch von 124 Wattstunden (Wh) pro Kilometer aus, ein VW braucht für die gleiche Strecke wenigstens 140 Wattstunden. Noch höhere Werte bescheinigt das ICCT unter anderem Hyundai/Kia, Ford, Nissan und den Fahrzeugen der Stellantis-Gruppe.
Und auch bei der Ladegeschwindigkeit können BMW, VW Mercedes-Benz noch zulegen. Mit einer durchschnittlichen Ladegeschwindigkeit von 172 kW liegt hier immer noch die Tesla-Flotte vorn, gefolgt von Kia/Hyundai (134 kW). Die Stromer von BMW und VW liegen mit Schnitten von 85 und 82 kW zwar auf den Plätzen zwei und drei, aber zur Spitze klafft noch ein großer Abstand. Da tröstet auch nicht der Blick in den Rückspiegel und auf die noch schlechtere Ladeperformance zum Beispiel von Renault (38 kW).
Aber es hat ja auch niemand behauptet, die Antriebswende wäre ein Sprintrennen. Bis zur kompletten Umstellung der Fahrzeugflotten werden noch wenigstens 15 Jahre vergehen. Und der aktuell führende sollte nicht davon ausgehen, dass der Vorsprung so lange hält: Wer einen Langstreckenlauf zu schnell angeht, hat auf den letzten Kilometern oft keine Puste mehr.