Auch in Muonio hat nun der Frühling Einzug gehalten. Oder das, was, was man hier in Lappland, 200 nördlich des Polarkreises, für Frühling hält. Die Tage werden länger und die Nächte kürzer. Schnee fällt nicht mehr täglich, die Temperaturen nähern sich langsam den Gefrierpunkt – von 15 Grad minus in der Nacht auf zwei Grad minus am Mittag. Und auf einigen Streckenabschnitten der Landstraße nach Kilpisjärvi ist die Teerdecke immerhin schon zu erahnen.

Aber die Eisdecke auf dem Särkilompolo-See unweit von Muonio ist angeblich immer noch einen Meter stark. Die 2,5 Tonnen, die unser Audi e-tron 55 quattro wiegt, trägt sie ohne Ächzen oder Knirschen. Jedenfalls hören wir nichts in der Art, als wir den Anweisungen unseres Instruktors folgen und den mit allerlei Hütchen und Wegweisern ausgesteckten Rundparcours auf dem zugefrorenen See auf Spikesreifen in Angriff nehmen.

Spuren im Schnee
Audi e-tron 55 quattro beim Drift-Training auf dem zugefrorenen Särkilompolo-See unweit von Muonio, wo trotz Frühling immer noch eine dichte Schneedecke liegt. Foto: Audi

Das elektronische Stabilitäts-Programm ist ausgeschaltet, das Fahrdynamikprogramm von „Efficience“ auf „Allroad“ geändert. Die Aufgabe: Die Teststrecke mit dem Elektroauto zügig zu umrunden und den e-tron in den Kurven mit gezielten Tritten auf das Fahrpedal und kontrolliertes Übersteuern möglichst oft quer zu stellen. Denn schon Rallye-Legende Walter Röhrl wusste, dass man dann mehr von der Landschaft sieht, weil die gesamte Fensterfläche an der Fahrzeugflanke größer ist als die Windschutzscheibe allein.

Ja, geht es noch? Und überhaupt: Was hat ein Elektroauto in einer solchen Eiswüste verloren, gelegen auf 67 Grad 58 Minuten nördlicher Breite und 23 Grad 41 Minuten östlicher Länge – oder auf halber Strecke zwischen Berlin und dem Nordpol?

Warum mag die Batterie keine Kälte?

Nun ja, in Extremsituationen offenbaren sich die Qualitäten nicht nur von Menschen. Auch Autos zeigen hier ihren wahren Charakter, können erst dann so richtig eingeschätzt werden. Das gilt erst recht für Elektroautos. Deren Wohlfühltemperaturen liegen, wie wir bereits wissen, bei milden 20 bis 24 Grad Celsius. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist bei Reichweitenverlusten von bis zu 50 Grad zu rechnen, unter arktischen Bedingungen sogar noch deutlich mehr, hat der ADAC in Testzyklen mit Stromern verschiedener Hersteller ermittelt. Denn die Heizung des Innenraums und der Batterie frisst einen Teil der im Akku gespeicherten Energie. Zudem verlangsamen sich bei Temperaturen unter fünf Grad die elektrochemischen Reaktionen im Lithium-Ionen-Akku, weil die Ionen im zunehmend zähflüssiger werdenden Elektrolyt gegen einen größeren Widerstand ankämpfen müssen, um vom Minus- zum Pluspol zu kommen und umgekehrt.

Auf dem Eis des zugefrorenen Särkilompolo-Sees herrscht laut Bordcomputer an diesem „Frühlings“-Morgen eine Temperatur von minus acht Grad. Und noch so einiges andere lässt sich auf dem großen Touchscreen in der Mittelkonsole mit Hilfe der dort abgespeicherten Apps ablesen. Dass es bis zum Nordpol noch 2450 Kilometer sind – und wir mit der Ladung unseres 95 Kilowattstunden (brutto, 86 kWh netto) Strom fassenden Akku maximal 286 Kilometer weit kommen werden. Unter optimalen Bedingungen, so steht es in der Betriebsanleitung, käme der e-tron 55 bis zu 436 Kilometer weit. Da wären dann irgendwo zwischen dem letzten Aufenhalt in wärmeren Gefilden und dem Überqueren des Polarkreisen einige Tage zuvor schon mal fast 35 Prozent der maximalen Reichweite verloren gegangen.

907 Kilometer bis zum nächsten Ionity-Lader

Aber der Computer stützt sich auf Erfahrungswerte. Und wie das Auto in den Tagen zuvor bewegt wurde, wissen wir nicht. Mal sehen, wie weit wir mit unserem Energievorrat tatsächlich kommen. Der nächste öffentliche Schnelllader von Ionity, auch das verrät die Navi-App, steht in Karisto nahe Lahti im Süden Finnlands – in 907 Kilometern Entfernung. Immerhin betriebt der finnische Energieversorger Fortum in Muonio eine Station mit zwei Ladeplätzen, die zwar rund um die Uhr geöffnet ist, aber in der Stunde nur maximal 11 Kilowatt (kW) abgibt – zum Preis von 33 Cent pro Kilowattstunde (kWh).

Reichweitenangst kommt aber dennoch nicht auf, weder an diesem ersten Testtag noch an den nächsten. Denn der e-tron schlägt sich deutlich besser als befürchtet, was den Energieverbrauch der Motoren wie auch das Management der Batteriezellen anbetrifft. Obendrein hat Audi vorgesorgt und für alle Fälle auf einem Laster einen Ladecontainer mit nach Lappland gebracht, an dem bis zu acht Elektroautos zeitgleich über CCS-Anschlüsse bis zu 150 kW Leistung Gleichstrom ziehen können. Also: Kein Grund zur Nervosität oder zu einem zimperlichen Umgang mit dem Fahrpedal.

Nach ein paar Proberunden und ein paar Tipps vom Instruktor auf der Rücksitzbank nimmt unser catalunyaroter Audi e-tron denn auch auf der Teststrecke problemlos die Kehren in 45-Grad-Stellung und ohne die aufgetürmten Altschnee-Wälle am Pistenrand zu touchieren. Zugegeben: Im Alltagsverkehr auf mitteleuropäischen Straßen ist das eine eher seltene Fortbewegungsart. Aber hier im hohen Norden lernt man, sein Fahrzeug auch unter widrigsten Bedingungen zu beherrschen. Man ahnt: Die finnischen Rallye-Legenden Rauno Aaltonen, Hannu Mikkola und Ari Vatanen haben so oder ähnlich ihr Hand- und Fußwerk gelernt.

Porsche Taycon auf Schnee Nach dem Spitzenmodell haben die Zuffenhausener jetzt den etwas zivileren Taycan 4S vorgestellt. Und ihn für einen Härtetest bei winterlichen Temperaturen herausgerückt. Damit die Reichweite bei Frost nicht völlig einbricht, haben sich die Ingenieure einiges einfallen lassen. Elektroauto

Natürlich nicht am Steuer eines Elektroautos, sondern eines klassischen Benziners. Aber – quod erat demonstrandum, wie der Lateiner zu sagen pflegt (auf deutsch: Was zu beweisen war): Auch ein potenter Stromer kann Motorsport. Oder sagen wir besser: extreme Fahrmanöver in kundiger Hand meistern. Unter Anleitung eines Instruktor und mit Unterstützung der intelligenten Helferlein, die den Allradantrieb auch bei ausgeschaltetem ESP-System bei der Verteilung der Kräfte unterstützen.

Smarter Quattro-Antrieb bringt Sicherheit

Die Audi-Ingenieure haben mit der Weiterentwicklung der Quattro-Technologie für Elektroantriebe gute Vorarbeit geleistet: Das ausgefuchste Allradsystem dirigiert die Elektromotoren so, dass an beiden Achsen nur so viel Kraft zur Verfügung steht, wie je nach Fahrsituation gerade benötigt wird. Dazu wertet die Software 200-mal in der Sekunde über 400 Eingangssignale aus der Lenkung, dem Gaspedal, den Assistenzsystemen und anderen Sensoren aus. Da keine Kupplung mehr bewegt werden muss und alles blitzschnell über kleine elektrische Stellmotoren geschieht, können die Momente deutlich schneller verteilt werden als bei einem Allradler mit konventionellem Antrieb. Schneller – und beinahe idiotensicher. Egal, bei welcher Außentemperatur.

Ladestation vor dem Hotel

Die Fahrübungen zehren jedenfalls erstaunlich wenig und auch nur ganz zu Beginn an den Nerven des Fahrers. Auch wenn das hohe Gewicht des Fahrzeugs nicht nur vom komplexen Steuerungselektronik, sondern auch von den Lenkkünsten des Fahrers einiges abverlangt. Die Fahrfreude ist jedenfalls deutlich größer als etwa die in einem Tesla Model S, der bei einem ähnlichen Test im Schnee die Antriebskräfte so weit herunterregelte, dass der Wagen trotz Vollgas mit nur einer Hand über einen Testparcours bewegt werden konnte. Zwei unterschiedliche Konzepte mit dem gleichen Ergebnis: Höchste Fahrsicherheit.

Wie viel Strom braucht der e-tron im Eis?

Und wie schlug sich die Energiespeicher des e-tron in dieser E-Auto-feindlichen Umgebung? Besser als es nach der Papierform zu erwarten war. Weder mussten wir während der vier Testtage die Heizung noch andere elektrische Verbraucher ausschalten, um die Fahrübungen zu absolvieren oder eines der zehn Etappenziele zu erreichen. Weder gab es morgendliche Start- noch abendliche Ladeprobleme. Als kleine Schwachpunkt erwiesen sich lediglich die elektrisch angetriebenen Ladeklappen, die, weil während der Fahrt vereist, öfter nicht sofort auf Knopfdruck reagierten. Da musste dann der Türschlossenteiser ran.

Die Stromverbräuche bewegten sich zwischen 28,3 und 35,6 kWh pro 100 Kilometer – je nachdem, mit welchen Geschwindigkeiten und mit wie viel Fahrfreude das Auto auf den einsamen Straßen bewegt wurde. Auch abhängig davon, wie intensiv die Möglichkeiten genutzt wurde, Bremsenergie und die Schubkraft des Fahrzeugs auf abschüssigen Streckenabschnitten zurückzugewinnen – der e-tron bietet auch dazu eine Reihe von Möglichkeiten. Unterwegs waren wir dabei überwiegend mit Geschwindigkeiten um die 70 km/h, streckenweise aber auch schon einmal mit Tempo 100 – mehr lassen die Finnen auch auf ihren Fernstraßen nicht zu.

Nicht einmal im Frühling.

Hinweis der Redaktion: Die Reise nach Finnland und die Testfahrten mit dem Audi e-tron in Lappland fanden Ende März, kurz vor der Verhängung der Reisebeschränkungen wegen der Corona-Seuche statt. Besondere Schutzvorkehrungen mussten deshalb nicht getroffen werden zumal Social Distancing für die Finnen Alltag ist: Mit etwa 5,5 Millionen Einwohnern auf einer Fläche fast so groß wie Deutschland gehört Finnland zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas.

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4 Kommentare

  1. P. Karmazin

    Warum so negativ denken?
    Der Beitrag zeicht sehr gut, was ein e-Auto heute schon kann. Und da sind wir erst am Anfang der Entwicklung. Für mich ist es sehr beeindruckend!!
    Am Auto-Gewicht, -Verbrauch, -Reichweite und Strom-Kosten wird man noch viel optimieren.
    Fazit: Ohne begeisterte Menschen (die jetzt e-Autos kaufen) würde es nie „ökologisch sinnvolles Fahrzeug auf dem Markt “ geben.
    Einverstanden?

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    • iOn Werner

      Sorry, es sollte nicht negativ sondern zeitgemäß rüberkommen ! Aus beinahe 3jähriger E-Mobil-Erfahrung kann ich die Prioritäten für eine breite Akzeptanz zur E-Mobilität schon richtig einordnen. Fahrzeuge mit einem Gewicht über 2t zählen für mich grundsätzlich nicht dazu, vielleicht bin ich auch nicht technisch orientiert genug um mich hier zu begeistern. Wichtiger wäre für mich ein Durchbruch in der Akku-Technik, das dieser in einem strammen Winter nicht eine Leistungseinbusse von 20 bis 30 % hätte. Hier sollten Audi und Co. eher den Fokus drauf richten …

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      • Arne

        Ich kann dieser Einschätzung nur zustimmen…zumal die 20-30% Leistungsverlust nicht mal einen strammen Winter erfordern, der letzte Winter in Hannover hat schon gereicht, um bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 80kmh und gefahrenen 10.000km nur eine Reichweite von regelmäßig 190km real zu haben. Allerdings, das muss ich dazu sagen, handelt es sich um ein Fahrzeug der ersten Generation und einen Verbrauch im „20iger“-Bereich sehe ich nicht mal in der Stadt. Nach 3 Jahren Tesla kann ich nur sagen, dass ich selten eine Entscheidung so bereut habe und der Weg für deutsche Hersteller noch seeeehr lang ist.

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  2. iOn Werner

    Hübscher Bericht über ein Fahrzeug, das uns in der heutigen Zeit sicherlich nicht weiterhilft. 2,5 t bei einem Stromverbrauch von > 28 kWh (auf 100 km) zu bewegen ist schlicht nicht zeitgemäß, und dann überwiegend mit einer Person als Insasse! Rechnet man dann noch mit Ladekosten von lediglich 0,35 €/kWh pro 100 km (Ionity nimmt ja bei nicht im Verbund registrierten Ladekartenanbietern auch mal 0,79 €/kWh) so kommt man auf Kosten von > 11 € bei Anschaffungskosten von mehr als 55.000 € Minimum! Wen kann man da wohl zum Umstieg in die E-Mobilität begeistern ? Besser mal umdenken und für die breite Masse ein Alltagstaugliches, ökonomisch wie ökologisch sinnvolles Fahrzeug auf den Markt bringen !

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