Es fühlt sich an, wie in einer endlosen Telefonschleife: Vor Jahren stellte der ein oder andere Autohersteller selbstbewusst in Aussicht, dass man auf langen Strecken schon bald die Hände problemlos vom Steuer nehmen könne, ohne dass es zum Unfall käme. Doch große Fortschritte fehlen bisher – in Sachen autonomes Fahren geht es aus Sicht der Autokäufer allenfalls im Schneckentempo voran.

Mercedes hat in unseren Breiten als erster Hersteller immerhin kürzlich die heiß ersehnte Fahrerassistenzstufe drei ins Auto gebracht. Doch die realen Anwendungsfälle für das „Drive Pilot“-System sind noch mikroskopisch. Aktuell ist das System nur in Deutschland und ausschließlich in seinen beiden Topmodellen der Mercedes S-Klasse und des elektrischen EQS verfügbar. Es funktioniert nur bis Tempo 60 in Baustellen oder im zähflüssigen Verkehr – wenn das Sternenmodell auf einer Autobahn unterwegs ist. Die Kosten sind üppig, denn je nach Modell liegt der Aufpreis für den aktuell nur überaus selten nutzbaren Fall bei 6.000 bis 9.000 Euro. Dafür kann der Fahrer unter den oben genannten Umständen die Hände vom Steuer nehmen, etwas lesen, träumen oder wichtige Emails beantworten. Also das tun, was viele andere derzeit schon mit ihren Fahrerassistenzsystemen der Stufe 2+ machen – und damit gegen geltendes Recht verstoßen und ein saftiges Bußgeld riskieren.

Hände weg vom Lenkrad 
Mercedes-Benz will sein "Drive Pilot"-System bald auch in den USA anbieten können und führt dazu in den Staaten umfangreiche Testfahrten durch. Das System übernimmt in Staus und bis Tempo 60 das automatisierte Fahren. Foto: Mercedes-Benz
Hände weg vom Lenkrad
Mercedes-Benz will sein „Drive Pilot“-System bald auch in den USA anbieten können und führt dazu in den Staaten umfangreiche Testfahrten durch. Das System übernimmt in Staus und bis Tempo 60 das automatisierte Fahren. Foto: Mercedes-Benz

Elon Musk verspricht seinen Kunden mit dem „Autopiloten“ in allen Modellen seit Jahren schon das vollautonome Fahren. Große Worte für etwas, was lediglich ein Assistenzsystem auf Stufe 2 ist und schon für zahlreiche Unfälle verantwortlich gemacht wurde. Mittlerweile ist das Tesla-System durch mehrere Updates so zusammenstrichen, dass selbst ausgemachte Tesla-Jünger in aller Welt genervt sind und den Mehrwert der 7.500 Euro teuren Sonderausstattung, bestehend aus Basic Autopilot / Enhanced Autopilot sowie Ampel- und Stoppschilderkennung, in Frage stellen.

„Super Cruise“ von Cadillac gibt in USA den Ton an

Mercedes will sein Level-3-System nunmehr auch in die USA bringen, denn die Stuttgarter stören sich daran, dass in Nordamerika gerade der lokale Wettbewerber Cadillac, edelste aller General-Motors-Marken, den Ton angibt. Mit dem Fahrerassistenzsystem „Super Cruise“ an Bord lassen sich die Hände auch einmal etwas länger vom Steuer nehmen, wenn man auf dem Highway unterwegs ist. Ein Lichtband auf dem Lenkrad informiert den Fahrer von Modellen wie dem Cadillac XT6, CT4, CT5, CT6 und Escalade, dass der Highway entsprechend den Super-Cruise-Erfordernissen kartografiert ist. Den Rest regeln Kameras und Sensoren hinter der Windschutzscheibe, an Front, Heck und den Seiten. Mittlerweile sind mehr als 200.000 Straßenmeilen in den USA für das System freigegeben (siehe Karte).

"Super Cruise"-Land 
In den USA sind mittlerweile 200.000 Meilen des Straßennetzes für das hochautomatisierte Assistenzsystem von GM freigegeben.
„Super Cruise“-Land
In den USA sind mittlerweile 200.000 Meilen des Straßennetzes für das hochautomatisierte Assistenzsystem von GM freigegeben.

Echtzeitkameras, zahlreiche Sensoren und GPS- sowie LiDAR-Präzisionskartendaten arbeiten bei Cadillac zusammen, um jede Kurve zu erkennen, das Fahrzeug in der Mitte der Spur zu halten und den Komfort und die Bequemlichkeit Ihrer Fahrten zu erhöhen. Nach der neuesten Ausbaustufe kann Super Cruiser auch sicher die Fahrspur wechseln, ohne dass der Fahrer die Hände am Lenkrad hat. Bisher haben Cadillac-Fahrer mehr als sieben Millionen Fahrkilometer mit eingeschaltetem Super-Cruise-System zurückgelegt.

BMW und Audi sind noch nicht so weit

Doch General Motors weist auf seinen bunten Werbezeiten ganz offen darauf hin, dass man aufmerksam bleiben soll und keinesfalls sein Smartphone bedienen darf. Groß sind die Erwartungen daher an den neuen Elektrocrossover des Cadillac Lyriq, der in diesem Herbst seine Premiere feiert und mit der sechsten Ausbaustufe von Super Cruise unterwegs ist. Mit ihm soll nach drahtlosen Updates auch die Fahrerassistenzstufe drei möglich sein.

Ganz ähnlich sieht es bei BMW aus. Die Bayern mussten vor mehr als zwei Jahren zurückrudern und zugeben, dass der elektrische Hoffnungsträger des BMW iX zum Marktstart nicht wie ehemals vom mittlerweile ausgeschiedenen Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich angekündigt, mit dem heiß ersehnten Level-drei-System starten würde. Mittlerweile ist der BMW iX schon länger auf dem Markt, ist aber ebenso wie der im Herbst seine Marktpremiere feiernde neue Siebener BMW nicht mit dem teilautonomen Fahrerassistenzsystem der Stufe drei unterwegs, das die Verantwortung über das Geschehen am Steuer erstmals vom Fahrer auf den Autohersteller überträgt. Fragt man nach dem Grund gibt es am Münchner Entwicklungszentrum FIZ die gleiche Aussage wie bei fast allen anderen Marken: Man sei noch nicht so weit und benötige Daten und weitere Testkilometer.

Das fahrende Auge
Um die Umgebung wahrzunehmen und das Verkehrsgeschehen analysieren zu können, hat General Motors seine Topmodelle von Cadillac wie den SUV Escalade mit einer Vielzahl von Kameras und Sensoren ausgestattet. Foto: GM
Das fahrende Auge
Um die Umgebung wahrzunehmen und das Verkehrsgeschehen analysieren zu können, hat General Motors seine Topmodelle von Cadillac wie den SUV Escalade mit einer Vielzahl von Kameras und Sensoren ausgestattet. Foto: GM

Ehemals hatte Audi bei der Vorstellung seines aktuellen Topmodells A8 damit geworben, dass die Fahrerassistenzstufe drei ein Jahr nach dem Marktstart in die Serie kommen würde. Mittlerweile wurde verkündet, dass auch der längst aufgefrischte Audi A8 trotz Modellpflege ein solches System nicht bekommen werde. Hier wartet man ebenso wie im Volkswagenkonzern auf die neue Technikplattform „Artemis“, die aber kaum vor 2025 serienreif sein dürfte.

Es dauert daher noch, ehe man sich auf langen Strecken entspannt zurücklegen und die Fahrt genießen kann. Zumindest teilautonom, denn die technischen Rahmenbedingungen für die Stufen vier und fünf erscheinen in den kommenden Jahren kaum umsetzbar – wenn überhaupt.

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