Optisch strahlt der Hyundai Ioniq 6 nicht unbedingt viel Dynamik aus. Bei einem cW-Wert von 0,21 ist klar, dass nicht die Agilität im Zentrum der Entwicklung stand, sondern die Reichweite. Die Frage stellt sich jetzt, warum sich die koreanischen Techniker ausgerechnet das rollende Bonbon ausgesucht haben, um das nächste elektrische N-Modell auf die Räder zu stellen. Eine Antwort könnte lauten, dass es durchaus ein Qualitätssiegel ist, wenn man den Ioniq 6 zum Kurvenräuber macht. Was für diese Vermutung spricht, ist die Tatsache, dass die Koreaner mit dem Ioniq 6N das Sportprogramm auf eine neue Stufe heben wollen.

Wie das aussehen soll, zeigt ein Blick in das Lastenheft. Neben solchen Entwicklungszielen wie einen neuen Sound zu entwickeln, geht es bei einem Hyundai N natürlich immer um das sportliche Fahren. Das wollen die Ingenieure aus einer Kombination aus neuer Technik und verbesserter Software erreichen. Entscheidend ist die Robustheit der Batterie. „Jedes N-Modell muss zwei Runden auf der Nordschleife des Nürburgrings im Rennspeed schaffen, ohne dass die Leistung der Batterie, der Bremsen oder der Motoren nachlässt“, fasst Entwicklungschef Manfred Harrer zusammen. Der ehemalige Porsche-Ingenieur wurde noch von dem ehemaligen Hyundai-Cheftechniker Albert Biermann nach Korea gelotst.

Ready to rumble 
Der zweite Spoiler auf dem Heck des Hyundai Ioniq 6 soll für mehr Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten sorgen, das Tarnkleid vor neugierigen Blicken auf den Protoytpen schützen: In den Handel kommt der Sport-Stromer erst zum Jahresende.
Ready to rumble
Der zweite Spoiler auf dem Heck des Hyundai Ioniq 6 soll für mehr Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten sorgen, das Tarnkleid vor neugierigen Blicken auf den Protoytpen schützen: In den Handel kommt der Sport-Stromer erst zum Jahresende.

Das klingt alles einfach, ist aber schwierig in der Umsetzung. Schließlich soll sich der Hyundai 6N deutlich vom 5N unterscheiden, auch wenn der Antriebsstrang im Wesentlichen identisch ist. „Alles, was wir beim 5N gelernt haben, fließt in den 6N ein“, erklärt Harrer. Die Kunst liegt im Detail: Beim 6N kommen beispielsweise Einrohr-Performance-Dämpfer von ZF zum Einsatz. Auch die Achskinematik haben die Ingenieure modifiziert, indem sie unter anderem die Achsschenkel und die Anlenkpunkte veränderten. Das verbessert die Präzision der Steuerung und generiert ein natürlicheres Lenkgefühl, was für Manfred Harrer besonders wichtig ist.

Zweiter Heckspoiler für mehr Stabilität

Der Dominoeffekt der Fahrwerkstüftelei geht noch weiter. Neben den neuen Radlagern hat der 6N an der Vorderachse um 30 Prozent höhere Federraten als der Ioniq 5N. Im Zusammenspiel mit den Einrohr-ZF-Performance-Dämpfern kann man eine deutlichere Spreizung bei den Fahrmodi realisieren. Das Auto bekommt unter anderem mehr mechanischen Grip und rollt beziehungsweise wankt bei den Kurvenfahrten mehr als etwa der Ioniq 5N. Das ist so gewollt, weil es keine künstliche generierte Stabilität vorgaukelt. „Der Ioniq 6N soll berechenbar sein und es dem Fahrer leicht machen“, erklärt Manfred Harrer. Der zweite Heckspoiler generiert bei 250 km/h 100 Kilogramm Abtrieb und balanciert so das System aus.

Neue Dimensionen 
Mit 4,93 Metern ist die N-Version des Hyundai Ioniq 6 sechs Zentimeter länger. Auch der Radstand ist gewachsen.
Neue Dimensionen
Mit 4,93 Metern ist die N-Version des Hyundai Ioniq 6 sechs Zentimeter länger. Auch der Radstand ist gewachsen.

Die optischen Unterschiede zum Ioniq 6 fallen sofort ins Auge: Am auffälligsten ist der zweite Heckspoiler. Mit 4,93 Metern ist der N um einen Zentimeter länger, mit 1,94 Metern um immerhin sechs Zentimeter breiter und der Radstand ist 1,5 Zentimeter länger. Dazu kommen noch Überhänge, die vorne um 15 Millimeter kürzer und hinten zehn Millimeter länger sind. Auch der lange Radstand und der tiefere Schwerpunkt im Vergleich zum Ioniq 5 N zahlen ebenfalls in die Dynamikgleichung. ein. Dazu gehören neben dem Torque Vectoring und ein neu abgestimmter Allradantrieb, der dem Heck mehr Dominanz gewährt.

Kraftverteilung in elf Schritten

Für das Torque Vectoring an der Hinterachse ist das e-TVTC (electric Torque Vectoring Control) zuständig. Es verteilt die Antriebskraft bedarfsgerecht auf die Hinterräder, indem es die Doppelkupplung des hinteren Elektromotors ein- und ausschaltet. Bremseingriffe an den Vorderrädern unterstützen den Dynamikeffekt. Das reduziert die Untersteuerneigung bei geringen Geschwindigkeiten und sorgt beim Herausbeschleunigen aus Kurven für zusätzliche Traktion. Apropos: Die Kraftverteilung des Allradantriebs ist in elf Schritten einstellbar. Nach langer Tüftelei sind wir bei 20 Prozent vorne zu 80 Prozent hinten als beste Lösung gelandet.

Diese Einstellung garantiert ein agiles Heck kombiniert mit genug Grip an der Vorderachse. Nimmt man den Antriebsstrang des Ioniq 5N als Referenz, leistet der vordere Motor 166 kW / 226 PS, an der Hinterachse sind es 282 kW / 383 PS. Insgesamt sind das dann 448 kW / 609 PS beziehungsweise 478 kW / 650 PS mit N GrinBoost. Die genauen PS-Zahlen stehen noch nicht fest, aber die E-Maschinen des 5N sind die potentesten im Hyundai-Technikregal. Eine brutale Leistungsexplosion dürfte es also nicht geben.

Alles im Blick
 Die dynamischen Qualitäten des Ioniq 6 in der N-Version konnte unser Autor auf dem Testgelände von Hyundai in Namyang ausgiebig testen. Vor allem die Fahrwerksabstimmung beeindruckte. Fotos: Hyundai

Alles im Blick
Die dynamischen Qualitäten des Ioniq 6 in der N-Version konnte unser Autor auf dem Testgelände von Hyundai in Namyang ausgiebig testen. Vor allem die Fahrwerksabstimmung beeindruckte. Fotos: Hyundai

Genug der Vorrede. Jetzt geht es ans Steuer des Ioniq 6N-Prototypen, dessen Serienversion Ende des Jahres in Deutschland erhältlich sein wird. Das „N“ steht neben der Nordschleife des Nürburgrings auch für das Hyundai-Forschungs-und-Entwicklungszentrum in Namyang sowie die dazugehörige Teststrecke, auf der wir dem 6N auf den Zahn fühlen.

Leicht beherrschbar auf bei hohen Tempi

Die Hyundai-Truppe hat nicht zu viel versprochen. Der Ioniq 6N ist kein Wildfang, sondern leicht beherrschbar. Selbst schnelle Kurvenkombinationen über Kuppen und mit Lastwechsel steckt der Korea-Stromer weg. Man ist entspannt aber dennoch brutal schnell unterwegs.  Das Zusammenspiel zwischen dem Torque Vectoring an der Hinterachse und den Bremseingriffen vorne den einzelnen Rädern funktioniert prächtig. Vor allem in engen Kurven schlägt sich der 6N agil und daher gut. Immerhin reden wir hier von gut zwei Tonnen Gewicht. Das tanzfreudige Heck unterstützt den Piloten. Die Reifen sind der limitierende Faktor. Man hat das Gefühl, dass noch mehr möglich wäre.

Preise um die 75.000 Euro

Und das alles ohne Hinterachslenkung. Die wird es beim Hyundai Ioniq 6N nicht geben. Die Platzverhältnisse rings um die Hinterachse lassen diese nicht zu. Auch die E-Shift-Konfiguration haben die Techniker verändert. Die Spreizung der virtuellen Gänge 1, 2 und 3 ist enger, also schaltet der 6N öfter rauf und runter. Wenn der 5N die rollende Playstation ist, ist der Hyundai 6N ein ausgereifter Racer. Über die Optik kann man sicherlich streiten. Über die Performance jedoch nicht. Wie viel kostet der Spaß? Nimmt man den Ioniq 5N erneut als Maßstab, dürfte er sich bei etwa 75.000 Euro einpendeln.

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