Viel ist schon geschrieben worden über dieses Elektroauto aus Südkorea, das Wortspiel mit dem „Lademeister“ konnte sich kaum einer der Autoren verkneifen – auch wir nicht. Allerdings zählten der Kia EV6 und sein technisch beinahe baugleiches Schwestermodell, der Hyundai Ioniq 5, ohne Zweifel auch zu den interessantesten E-Neuheiten des Jahres 2021. Nicht nur weil die beiden Stromer mit einer extravaganten Formgebung eine neue Note ins Straßenbild brachten. Für Aufmerksamkeit sorgte und sorgt auch weiterhin ihre 800-Volt-Architektur, die ultrakurze Ladepausen am Gleichstromlader verspricht – mit einer maximalen Ladeleistung von 240 kW beim Kia und derzeit noch 220 kW beim Hyundai. Eine ähnliche Performance am Schnelllader boten bis dahin mit dem Porsche Taycan und dem Audi e-tron GT nur zwei Fahrzeuge der vollelektrischen Luxusklasse.

Und bei der ersten Testfahrt im Spätsommer, kurz vor der offiziellen Markteinführung am 23. Oktober, schlug sich der Neuling aus Südkorea Korea auch bravourös. Allerdings herrschten damals auch noch Außentemerperaturen von fast 20 Grad Celsius. Und die Ausfahrt durchs Saarland ging auch nur über gut 200 Kilometer – für mehr war damals keine Zeit.

Kräftemessen an der Ladesäule 
Im Ladepark "Seet & Greet" in Hilden trifft der Kia EV6 auf einen VW ID.4 - der unerwartet nur geringfügig langsamer Strom zieht.
Kräftemessen an der Ladesäule
Im Ladepark „Seet & Greet“ in Hilden trifft der Kia EV6 auf einen VW ID.4 – der unerwartet nur geringfügig langsamer Strom zieht.

Inzwischen sind die Temperaturen deutlich gefallen: Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschten Mitte Dezember, als uns Kia einen EV6 vor die Haustüre stellte, mit Allradantrieb, einem 77 kWh großen Akku und in der Ausführung GT-Line. Und obendrein in der Lackierung „Moonscape Matt“ – cooler gehts derzeit kaum. Und teurer auch kaum – wenn man denn partout nicht auf das 430 kW (585 PS) starke GT-Modell warten möchte.

Alles andere als ein Billigheimer

Wir verfügen über eine maximale Antriebsleistung von „nur“ 239 kW (325 PS) und bekämen im Fall eines Kaufs eine Rechnung über 62.500 Euro präsentiert. Abzüglich der Förderprämien wären es immerhin noch fast 53.000 Euro – zu den Billigheimern zählt Kia längst nicht mehr.

Warum auch? Auch ein Volkswagen ID.5 GTX mit gleichgroßem Akku und Allradantrieb schlägt in ähnlicher Ausstattung mit knapp 60.000 Euro zu Buche. Und das Elektroauto verfügt nicht nur über eine geringere Antriebs- sondern auch eine deutlich niedrigere Ladeleistung: 220 kW (299 PS) wirken beim Stromer aus Sachsen auf die Räder, maximal 150 kW Strom zieht er am High Power Charger. Und im direkten Vergleich wirkt der Kia deutlich sportlicher und extravaganter.

Warte noch ein Weilchen
Der Kia EV6 macht sein Ladeverhalten im Unterschied zu manch anderen Elektroautos mit vielen Informationen sehr transparent.
Warte noch ein Weilchen
Der Kia EV6 macht sein Ladeverhalten im Unterschied zu manch anderen Elektroautos mit vielen Informationen sehr transparent.

Und Gelegenheit zum direkten Vergleich mit einem der neuen ID-Stromer von VW hatten wir gleich am zweiten Tag – bei einem Ausflug zum Ladepark „Seed and Greet“ des umweltbewegten Bäckermeisters Roland Schüren in Hilden bei Düsseldorf. Als wir am Fastned-Lader andocken, nuckelt gleich nebenan ein goldener ID.4 Strom. Gewissermaßen mit rotem Kopf, denn der Ladevorgang, so erzählt mir sein Besitzer, zieht sich schon mehr als eine halbe Stunde hin. Zu dem Zeitpunkt, kurz vor Erreichen eines Ladestands von 80 Prozent, nur mehr mit 40 kW. Das sollten wir besser können.

Die Ladekurve fährt Achterbahn

Also schnell die Ladekarte gezückt und per Knopfdruck die elektrische (!) Ladeklappe hinten rechts geöffnet, um den Kia EV6 über den CCS-Stecker mit dem 300 kW-Charger von Fastned zu verbinden. Unser Akku ist noch zu etwa 10 Prozent gefüllt, da sollte der Gleichstrom nur so strömen. Das tut er auch – nur deutlich schwächer als erwartet. Nach einer Minute liegen 66 kW an, kurz darauf fällt die Ladeleistung auf 44 kW, dann steigt sie über 55 auf 87,4 kW – die Ladekurve fährt in den ersten Minuten gewissermaßen Achterbahn. Erst als der Akku bereits zu 34 Prozent gefüllt ist, steigt die Ladeleistung allmählich, auf zunächst 125,6, dann auf 127,2 kW – um dann auf dem Niveau zu verharren. Der Fahrer des ID.4 hatte da schon ein breites Grinsen im Gesicht: „Da schlägt sich meiner doch gar nicht so schlecht“, befindet er nach dem Blick auf die Informationsanzeige der Fastned-Ladesäule.

Kommandozentrale der feinen Art 
Fast über die gesamte Innenraumbreite erstreckt sich das Display, das sich aus zwei 12,3 Zoll großen Bildschirmen zusammensetzt. Für viele Funktionen gibt es Einzeltasten, was - nach ein wenig Eingewöhnung - die Bedienung der zahlreichen Features erleichtert.
Kommandozentrale der feinen Art
Fast über die gesamte Innenraumbreite erstreckt sich das Display, das sich aus zwei 12,3 Zoll großen Bildschirmen zusammensetzt. Für viele Funktionen gibt es Einzeltasten, was – nach ein wenig Eingewöhnung – die Bedienung der zahlreichen Features erleichtert.

Wir argumentieren mit der niedrigen Außentemperatur, vermuten eine unzureichende Vortemperierung des Fahrzeug-Akkus und einer geringeren Ladeleistung der Ladesäule aufgrund des großen Andrangs am Ladepark – und brechen den Ladevorgang ab, als ein Füllstand (SoC, State of Charge) von 60 Prozent erreicht ist und die Ladeleistung wieder unter 100 kW fällt.

Liegt es am Auto, liegt es an der Ladesäule oder einfach nur an der Witterung? Um es herauszufinden, kehren wird mit dem EV6 auf die Autobahn zurück und eilen mit allem, was Akku und Elektromotoren hergeben und die Tempolimits gerade noch erlauben, nach Norden. Nahe des Kamener Kreuzes hat EnBW einen großen Ladepark mit 52 HPC-Ladern eröffnet – vielleicht läuft es da ja besser.

Elektrische Reiselimousine mit viel Komfort

Unterwegs genießen wir die dynamischen Qualitäten des Kia EV6, seinen kraftvollen Antritt und zeitweise auch die vergleichsweise hohe Spitzengeschwindigkeit von 185 km/h. Die digitale Tempoanzeige im Head-up-Display kommt sogar auf 192 km/h – unserer Testwagen steht entweder besonders gut im Futter oder der Sensor arbeitet mit Toleranzen. Als Reiselimousine gefällt uns dieser 4,70 Meter lange Stromer mit jedem Kilometer besser. Das Platzangebot ist ausgesprochen üppig, die Fahrwerksabstimmung komfortabel, das Lenk- und Bremsverhalten ohne Fehl und Tadel. Und das Geräuschniveau ist – wenn man den künstlich generierten, eher nervigen Motorsound abgeschaltet hat – auch bei hohen Geschwindigkeiten so niedrig, dass die (aufpreispflichtige) Soundanlage von Meridian voll zur Geltung kommen kann.

Zudem glänzt der Innenraum des Kia mit hochwertigen Materialien wie Bezugsstoffen aus veganem Wildleder und einer ebenso pfiffigen wie liebevollen Gestaltung. Die Rekuperationsleistung lässt sich über Wippen hinterm Lenkrad manuell oder automatisch und intelligent über den Bordcomputer steuern. Und Informationen liefert das hochauflösende Display, das sich fast über die gesamte Breite des Innenraums erstreckt, mehr als genug. Unter anderem auch über unseren aktuellen und durchschnittlichen Energieverbrauch. Werte um die 30 kWh pro 100 Kilometer tauchen da während unserer rasanten Fahrt im Sport-Modus auf – zum Testende steht dort ein Wert von 23 kWh/100 km.

500 Kilometer Reichweite verlangen viel Disziplin

Das ist gemessen an den Fahrleistungen und mit Blick auf die Außentemperaturen noch ein guter Wert, wenngleich unter den Bedingungen die vom Hersteller versprochene Reichweite von 506 Kilometern (bei einem durchschnittlichen Energieverbrauch von 17,2 kWh/100 nach WLTP-Norm) natürlich eine Illusion bleibt. Wer seinen rechten Fuß nicht zügelt und sich auf der Autobahn nahe der Richtgeschwindigkeit bleibt, sollte sich darauf einrichten, schon nach etwa 300 Kilometern eine Ladestation aufsuchen zu müssen.

Hingucker 
Der Kia EV6 fällt im Straßenbild und an der Ladestation durch sein Design auf. Speziell in der Lackerung "Moonscape Matt".
Hingucker
Der Kia EV6 fällt im Straßenbild und an der Ladestation durch sein Design auf. Speziell in der Lackerung „Moonscape Matt“.

Wir haben nach unserer Tour vom Rhein rauf und durchs Ruhrgebiet nur etwa 200 Kilometer zurückgelegt, als wir mit unserem mattgrauen Kia EV6 auf das Gelände der neuen „Hypernetz“-Station der EnBW in Kamen einbiegen. Schick sieht der aus und die Aufschriften an den Ladesäulen versprechen 300 kW – das sollte unserem Elektroauto schmecken, das mit einem SoC von 19 Prozent rückwärts vor Ladepunkt 2 einparkt. Klappe auf, Ladekarte gezückt, Kabel eingesteckt – und wenige Sekunden später fließt der Strom. Und doch wieder langsamer als erwartet und erhofft.

Ladestrategie soll offenbar Akku schonen

Die Kollegen von „Auto, Motor, Sport“ hatten kürzlich ganz ähnliche Erfahrungen gemacht: Der EV6, so schrieben sie, „erhöht seine Ladeleistung mit Bedacht, dreht erst nach 35 Prozent Ladestand richtig auf, verharrt relativ kurz bei 223 kW und reduziert ab etwa 55 Prozent wieder spürbar.“ Offenbar, so folgerten die Kollegen, wollten die Kia-Ingenieure die Akkuzellen im Fahrzeugboden in den ersten Miuten nicht allzu sehr stressen, um deren Lebensdauer nicht zu beeinträchtigen.

Das ist einerseits mit Blick auf einen späteren Wiederverkauf des Fahrzeugs löblich, andererseits aber doch enttäuschend. Erst recht, wenn in der kalten Jahreszeit Ladeleistungen um die 200 kW ein Traum bleiben. Weder in Hilden, noch in Kamen werden sie erreicht. Und auch nicht an den Ionity-Stationen, die wir im weiteren Testverlauf aufsuchen. Eine mögliche Erklärung: Der Kia heizt seine Batterie während nur auf, solange diese zu mehr als 35 Prozent gefüllt ist. Unter 35 Prozent geht die Heizung in einen „Eco“-Modus und verringert ihre Leistung. Und unter acht Prozent SoC stellt sie sogar ihre Arbeit komplett ein, um die Reichweite des Fahrzeugs nicht noch weiter einzuschränken.

Software-Update könnte das Problem lösen

Vielleicht sollten sie bei Kia ihre Ladestrategie überdenken und so wie bei VW die Software für das Energiemanagement überarbeiten. Angeblich arbeitet Kia auch schon an einer Lösung: Künftig soll der Akku vorgeheizt werden, wenn das Navigationssystem das Auto unterwegs zu einer Ladestation leitet. Gut so. Denn so bleibt nach dem Test doch eine leichte Produkt-Enttäuschung zurück – bei allen Qualitäten und Voraussetzungen, die der Kia ab Werk mit sich bringt.

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1 Kommentar

  1. Jens Stark

    Wir fahren seit Anfang DEC 2021 einen EV6 GT-line mit 229 PS und 77,4 kWh Batterie.
    Wir wohnen in Bayern und hatten seit dem überwiegend kalte Außentemperaturen. Wir können Ihren Bericht nur voll bestätigen. Unsere Ladeleistungen lagen teilweise bis zu 10 Min lang bei 40 KW an Ionity Schnellladesäulen (SOC zwischen 10-20%, Außentemp zwischen -1 und +6 Grad). Das Maximum lag bei mehreren Ladevorgängen bei 135 KW. Um uns herum haben andere Hersteller mit bis zu 155 KW geladen- bei gleichen Temperaturen und nicht erst stufenweise. In Summe ist das sehr weit weg von den beworbenen max 240 KW bei optimalen Bedingungen. Es fehlt an einem effektiven Thermomamangement- das geht wohl auch zu Lasten des beworbenen Verbrauches… Wir hoffen auf ein Sofware-Update!

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