“Uptis“(Unique Puncture-proof Tire System) nennt Michelin seinen luftlosen Reifen, der in Zukunft für eine pannenfreie Fahrt sorgen soll. Flexible, hochrestistente Lamellen aus einer speziellen Kunststoff-Mischung sollen hier den Laufstreifen des Reifens von der Aluminium-Felge fernhalten, die mit dem ultraleichten Rad fest verbunden ist. Vor drei Jahren wurde das revolutionäre Konzept vorgestellt – nun sind die ersten Prototypen fahrfertig. Montiert auf einem Mini Cooper SE mit Elektroantrieb konnte wir damit am Rande der IAA Mobility in München eine erste Runde um das Messegelände drehen, als Beifahrer von Tanish K. Taneja, dem Nordeuropa-Chef von Michelin. Er setzt große Hoffnungen auf den innovativen „Uptis“ – auch mit Blick auf die Umwelt und die Altreifen-Problematik.

Herr Taneja, wir sitzen hier in einem vollelektrischen Mini Cooper SE, der etwas ungewöhnlich bereift ist – die Reifenflanke ist durchlöchert, von der Seite her sehr luftig anzusehen.

Da ist unser Uptis-Reifen – der gar nicht luftig ist, sondern komplett luftlos rollt.

Aber wie mir scheint, alles andere als lustlos. Aber lassen wir mal die Wortspielereien. Was soll das?

Wir haben uns vor einer Weile gefragt, wie man Mobilität nachhaltiger gestalten könnte, was Michelin dazu beitragen könnte.

Und dann haben Sie die Luft rausgelassen.

Wenn Sie so wollen. Denn wenn keine Luft drin ist, kann auch nichts kaputt gehen, muss auch nichts mehr ersetzt werden, um es mal ganz einfach auszudrücken.

Dann hält der Reifen ewig?

Ewig würde ich nicht sagen..

…das wäre ja auch ganz schlecht für Ihr Geschäft…

Und das bei etwa 200 Millionen platten oder zerschlissenen Reifen, die jedes Jahr ausgetauscht werden müssen. Das hättenatürlich auch Konsequenzen für uns, wenn die ewig halten würden. Aber wenn wir die 200 Millionen Reifen in Rohstoffe und Energie umrechnen, ersparen wir der Umwelt doch einiges, wenn es keine Reifenpanne mehr gibt und die Reifen entsorgt werden müssen. Das nennen wir nachhaltige Mobilität.

Und der luftlose Uptis-Reifen scheint inzwischen so weit zu sein, dass man ihn auf einem Auto montieren kann. Das ist also nicht nur ein Projekt für das Schaufenster – Michelin meint es ernst damit?

Wir meinen es richtig ernst. Der Uptis ist ja auch nur der erste Schritt zu unserem grünen Vision-Reifen 2050, der auf 3-D-Druckern aus komplett biologisch abbaubaren Stoffen hergestellt wird und der zu 100 Prozent recycelbar sein wird. 

Wann kommt denn der Uptis auf den Markt?

Wir haben 2019, als wir das Konzept angekündigt haben, versprochen, in zwei, drei Jahren einen fahrfähigen Prototypen zu haben…

…mit dem wir jetzt unterwegs sind…

Richtig. Und wir gehen davon aus, dass wir noch einmal drei Jahre brauchen, um den Reifen in den Markt einführen zu können. Bislang spricht da nichts dagegen. Ich bin überzeugt davon, dass dieses Konzept die Reifenindustrie nachhaltig verändern wird.

Welche Lebensdauer wird ein solcher Reifen haben?

Das wird wie heute schon vom Fahrer und vom Fahrzeug abhängen, auch von der Nutzung. Aber der Uptis wird vergleichbare Fahrleistungen und Sicherheitsreserven bieten wie ein Premiumreifen von heute – mit dem Vorteil, dass es keinen Platten mehr gibt. 

Was wird der Spaß kosten?

Da lässt sich heute noch nichts Seriöses sagen. Wir wissen ja auch noch nicht, wo der Reifen als erstes eingesetzt wird. Dazu sind noch keine Entscheidungen gefallen. Wir wissen nur sicher, dass die CO2-Bilanz eines Produkts ein Kostenfaktor sein wird. Und deshalb gehen wir nun daran, den CO2-Abdruck unserer Reifen Schritt für Schritt zu verkleinern.

Was wird denn der nächste Schritt sein?

Wir arbeiten daran, ausrangierte PET-Flaschen und andere Stoffe in die Reifen einzuarbeiten. Wir arbeiten an der Konnektivität des Reifens, wollen damit einen Beitrag zum automatisierten Fahren leisten. Wenn man alles zusammenführt, wird deutlich, welches Potenzial noch im Thema Reifen steckt.

„Wenn keine Luft drin ist, kann auch nichts kaputt gehen.“

Anish K. Taneja, Präsident von Michelin in Nordeuropa

Was sagen die Autohersteller überhaupt zum Uptis-Konzept?

Die sind hochgradig interessiert. Wir führen sehr intensive Gespräche mit fast allen Herstellern.

So dass man erwarten kann, den Reifen 2024 in der Erstausrüstung zu sehen?

Warten wir mal ab. Wenn man es als Hersteller ernst meint mit der Nachhaltigkeit, mit einem nachhaltigen Nutzen des Autos, dann spielt die Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle. Michelin hat sich deshalb am schwedischen Unternehmen Enviro beteiligt, das ein patentiertes Verfahren entwickelt hat, um Rohstoffe aus Altreifen zurückzugewinnen und zurück in die Produktion zu bringen. Das ist der erste Schritt hin zum vollständig grünen Reifen. Und die gleichen Gedanken müssen sich die Autohersteller machen – wie kann man ein Fahrzeug vollständig abbaubar machen? Das Projekt BMW i Vision Circular finde ich deshalb sehr interessant.

Keine Platten mehr
Tanish K. Taneja (r.) mit Autor Franz Rother im Mini Cooper SE, der auf dem neuen Uptis-Reifen rollt. Foto: Michelin

Michelin ist auch im Motorsport engagiert, ist Partner der Formel E. Trägt die auch zu der Entwicklung derartige Projekte bei?

Absolut. Der Rennsport ist für uns ein Reallabor. Wir haben gerade einen Rennsportreifen vorgestellt, der zu knapp 50 Prozent aus nachhaltigen Stoffen hergestellt ist. Und wenn der bei Highperformance-Fahrzeugen funktioniert, dann wird sich das auch in Serienreifen für normale Autos wiederfinden. Der Uptis-Reifen rollt sehr ruhig, er lenkt sich hier im Mini sehr direkt. Also: Vielleicht werden wir den Reifen künftig auch im Motorsport sehen. 

In der Formel E vielleicht?

Das dürfte zeitlich nicht hinhauen.

Stimmt. Michelin steigt dort am Ende der nächsten Saison aus.

Wir waren ein Pionier in der Formel E, haben die Rennserie mit aufgebaut, ihr auch Reputation mitgegeben. Jetzt ist es für uns auch da an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, uns in anderen Rennserien zu engagieren.

Wo?

Das kommunizieren wir mit unseren neuen Partnern zum richtigen Zeitpunkt. Aber Motorsport wird uns auch weiterhin Spaß machen, aber in nachhaltiger Form.  

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3 Kommentare

  1. Marc Mertens

    Unglaublich, eigentlich. Wir schreiben das Jahr 2021 und Reifenhersteller sagen jetzt erst, dass sie sich um eine Kreislaufwirtschaft Gedanken machen.

    Was haben denn die Umweltpolitiker und Wirtschaftsführer vorher gemacht? Wieso wird nicht darüber geredet, dass wir in Deutschland einen Technologieführer haben, der runderneuerte Reifen mit nahezu gleicher Qualität backen kann?

    Je mehr ich darüber nachdenke wie verschwenderisch wir mit Naturrohstoffen wie Kautschuk umgehen, desto mehr Sorgen mache ich mir für die nachfolgenden Generationen!

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  2. Jürgen Baumann

    Spannender Ansatz. Hatte gerade einen Platten. Das endete dann mit vier neuen Reifen via Leasingvertrag.

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