Für die einen sind sie der blanke Horror – für die anderen die Lösung für die Verkehrsprobleme in der Stadt: Lastenräder, neudeutsch Cargo-Bikes genannt.

„Sie sind zu schwer, zu breit, viel zu schnell und werden von Leuten benutzt, die wie in einer Wahlwerbung der Grünen aussehen“, beklagte kürzlich die Welt. „Mit dem motorisierten Lastenradler wird nichts öko, sondern eine Vierteltonne Dummheit auf die Menschheit losgelassen.“

Die anderen argumentieren, dass Lastenräder Autos und Lieferwagen ersetzen und damit ein wertvoller Beitrag zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme in der Großstadt sein können – und begrüßen, dass die Anschaffung von Lastenrädern in Zukunft ähnlich wie die von Elektroautos finanziell gefördert werden oder künftig noch stärker gefördert werden sollen. So fordert der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), dass es zur Förderung von Cargobikes eine Umstiegsprämie für Betriebe und Familien gebe sollte, die ein Auto durch ein Lastenrad ersetzen.

Flexibler „Lastenesel“ für die letzte Meile
Das neue Packster 70 von Riese+Müller transportiert mit entsprechender Box Lasten mit einem Volumen von bis zu 375 Litern – oder bis zu drei Kindern, die mit Fünfpunkt-Guren gesichert werden. ZU Preisen ab 5555 Euro. foto: Riese+Müller

Doch auch ohne oder nur punktuelle Förderung bommt das Geschäft mit den Lastenrädern bereits kräftig, wie Vertreter der Zweiradbranche auf der gerade zu Ende gegangenen Fahrradmesse Eurobike in Friedrichshafen berichteten. Mittlerweile entfallen etwa 35 Prozent aller Verkäufe im deutschen Fachhandel auf diese Fahrradgattung. Wöll, Geschäftsführer beim Verbund Service und Fahrrad (VSF) schätzt, dass sich die Verkaufszahlen von Lastenrädern gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt haben. Und trotz Lieferproblemen dürfte der Boom auch im zweiten Halbjahr 2021 anhalten: Auch auf der IAA Mobility in München sind Lastenbikes ein großes Thema. Unter anderem präsentiert BMW hier zusammen mit dem Fahrradhersteller Cube das Konzept-Bike „Dynamic Cargo“ – ein dreirädriges Lastenrad mit variabel nutzbarer Ladefläche. Natürlich mit Elektroantrieb.

E-Lastenräder kosten im Schnitt 4.980 Euro

BMW liegt damit im Trend: 46 Prozent der Cargo Bikes werden mittlerweile als E-Bike, also mit elektrischer Trittunterstützung verkauft. Die Durchschnittspreise stiegen darüber von 4.484 Euro im Vorjahr auf nunmehr 4.980 Euro – in keiner anderen Gattung sind die Preise für ein E-Bike höher. Zum Vergleich: E-Cityräder wurden im ersten Halbjahr 2021 im Schnitt mit 2.837 Euro gehandelt, Rennräder ohne Trittunterstützung für 2.395 Euro.

Die Zweiradindustrie ist schon länger auf den Zug aufgesprungen und baut ihr Angebot in dem Marktsegment kräftig aus – auf der Eurobike war eine ganze Halle und ein Großteil des Freigeländes den Lastenrädern gewidmet. Neue Lastenradmarken kommen hinzu, andere verfeinern ihre Aufbauten. Es gibt wasserdichte oder crashoptimierte Boxen, Kindertürchen und sogar zweispurige Lastenbikes mit Neigetechnik – für den Transport von bis zu acht Kindern oder schweren Lasten von bis zu 200 Kilogramm Gewicht.

Entwickelt mit dem Know-how von BMW-Fahrwerksingenieuren
Auf der IAA Mobility präsentiert BMW das dreirädrige E-Lastenrad „Dynamic Caego“, das zusammen mit dem Fahrradhersteller Cube entwickelt wurde. Der Hauptrahmen neigt sich bei Kurvenfahrten, der Hintwerwagen bleibt stabil. Foto: BMW

„Wir möchten, dass man in Städten auch weiterhin optimal leben und arbeiten kann. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Straßen immer mehr verstopfen und wir dringend die Luftverschmutzung reduzieren müssen. Und zwar schnell“, heißt es dazu bei dem niederländischen Anbieter Urban Arrow, der in Friedrichshafen unter anderem das weiter optimierte „Family“ Modell mit Bosch-Antrieb und komfortabler Enviolo-Schaltung präsentierte.

Bis zu 250 Kilogramm schweres Gesamtgewicht

Und Kettler konnte sich über die Auszeichnung seines Lastenrades „Cargolinie FS 800“ mit dem Eurobike Gold Award freuen – die Jury hatte nicht nur das elegante und ergonomische Design, sondern auch das innovative Lenksystem des vollgefederten und vielfach an die Transportbedürfnisse anpassbaren Lastenrads überzeugt. Bei einem Eigengewicht von 48 kg und einem zulässigen Gesamtgewicht von 250 Kilogramm bleibt – je nach Körpergewicht des Fahrers – jede Menge Raum für Transportgüter aller Art.

Riese & Müller baut schon seit Jahren Lastenräder mit Elektroantrieb. Dass es trotzdem immer noch etwas zu verbessern gibt, demonstriert das Modell Packster 70, ein Long John mit 70-Zentimeter-Ladefläche vor dem Lenker und Seilzuglenkung. Der Stauraum der Transportbox beträgt nun 240 Liter, die Maximallast 100 Kilo. Wird es als Familienkutsche genutzt, können bis zu drei Kinder mitfahren – gesichert durch Dreipunkt-Sicherheitsgurte und hoffentlich auch durch Helme. Auch ein Aufbau für den Transport schwerer Güter ist in Vorbereitungst in Planung. Ein eingebauter Chip ermöglicht es, den Standort des Fahrrads mithilfe des GPS-Satellitensystems zu ermitteln – was nicht nur die Ortung nach einem Diebstahl erleichtert, sondern bei einem gewerblichen Einsatz auch die Einsatzplanung erleichtert.

Wer aktuell ein neues E‑Bike sucht, hat die Wahl sich zwischen diversen Antrieben mit unterschiedlichen Charakteristika. Wir erläutern, für welchen Fahrertyp sich welcher Antrieb eignet - und warum Drehmoment nicht alles ist. E-Bikes

Gerade sind Güter-Nahverkehr hat das Lastenbike die größten Potenziale. So präsentierte der österreichische Hersteller Gleam auf der Eurobike ein dreirädriges, vollgefedertes Lastenrad mit Neigetechnik und Schnellverschluss-Wechselsystem: Werktags werden auf der Plattform hinter dem Fahrer Euroboxen für den Gütertransport eingespannt, am Wochenende oder nach Feierabend Boxen, in denen bis zu zwei Kinder samt Gepäck sicher Platz finden – inklusive Regenschutz. Wem das an Laderaum nicht reicht, kann auch noch einen Anhänger ordern und diesen hinter sich herziehen.

Elektrischer Kleinlaster
Das dreirädrige und vollgefederte „Flex.work“ von Gleam Escape aus Wien kann auf seiner Plattform jede Menge Kisten transportieren, aber dort bei Bedarf auch eine „Sitzkiste“ oder einen Klein-Container fixieren. Foto: Gleam Escape

Knapp 8000 Euro kostet dieser Kleintransporter mit drehmomentstarken Elektromotor aus der neuen Cargo-Line von Bosch. Die nötige Antriebsenergie liefert zum einen die Beinmuskulatur, zum anderen bis zu zwei Akkus mit einer Speicherkapazität von 1000 Wattstulnden. Die Aufbauen kommen übrigens extra – in Summe kostet das „Multi-Use-Bike“ rund 10.000 Euro.

Breitere Radwege für mehr Sicherheit

Aber die hohen Kosten sind weniger ein Problem als der Platzbedarf: Je nach Ausführung (und ohne Hänger) ist das Lastenrad bis zu 2,70 Meter lang und fast einen Meter breit – nicht nur auf den hiesigen Radwegen wird es da schnell eng. Auch die Suche nach geeigneten Stellplätzen in der Stadt oder in der Siedlung könnte damit ein Problem werden. Rebecca Peter vom ADFC umd Cem Özdemir von den Grünen machten sich deshalb beim EDISON-Talk auf der Eurobike für eine Neuverteilung des Verkehrsraum und einen Ausbau der Radnetze stark – nicht nur in der Länge, sondern auch in der Breite.

„Ein grundlegender Wandel ist bei der Raumverteilung erforderlich: Bei der Raumverteilung und Gestaltung der Infrastruktur muss der Radverkehr zuerst betrachtet und insbesondere die Bedürfnisse sowie der Schutz von Radfahrenden klar priorisiert werden“, forderte Peters unter Bezug auf den Aktionsplan des ADFC für die nächste Bundesregierung.

Bei Cem Özdemir stieß sie auf offene Ohren – der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag wird als künftiger Bundesverkehrsminister gehandelt. In der Fraktion der Lastenrad-Hasser hingegen dürften derartige Forderungen eher für Zorneswallungen sorgen.

Für alle Fälle
Beim niederländischen Lastenrad-Hersteller Carqon verfügt die Transportbox über eine Seitentür – für den Fall, dass hier Kinder transportiert werden. Dafür gibt es spezielle Sitzen mit Dreipunkt-Gurten wie im Auto. Foto: Carqon

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