Auf der Schlei zwischen Schleswig und Schleimünde sollen künftig Wassertaxis ohne Mannschaft unterwegs sein. Der 42 Kilometer lange Meeresarm in Schleswig-Holstein ist im vergangenen Jahr vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zum Forschungsgebiet für die teilautonome und autonome Schifffahrt erklärt worden. Im Rahmen des Projekts „HANNAH„ (High Autonomous Navigation with Nautical Artificial Horizon“) werden die Experten des High-Tech Start-ups Unleash Future Boats (UFB) bis Februar kommenden Jahres unter realistischen Bedingungen die für den autonomen Verkehr auf dem Wasser erforderlichen Systeme erproben und weiterentwickeln.
Vollautonome Fähre ab 2025
Das Unternehmen hat dafür im vergangenen Sommer den Technologieträger „ZeroOne“ getauft und im Schleswiger Hafen zu Wasser gelassen – ein von einer Brennstoffzelle und grünem Wasserstoff angetriebener, mit Kameras und anderen Sensorsystemen ausgestatteter Miniatur-Elektro-Katamaran. Ab Frühjahr 2023 sollen Ausflügler mit zwölf Meter langen Fähren ähnlicher Bauweise über die Schlei zum Wikinger-Museum Haithabu geschippert werden – ab 2025/26 vollständig autonom. Wir sprachen über das Projekt mit Technikchefin und UFB-Co-Gründerin Stefanie Engelhard über die klimafreundliche Transformation der Schifffahrt.
Frau Engelhard, wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Binnenschifffahrt aus?
Die Schifffahrt leistet aktuell einen erheblichen Beitrag zur Schädigung der Umwelt und des Klimas. Sie ist für zwei Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, sogar für 3,7 Prozent in Europa. Maritime Transporte setzen pro Jahr eine Milliarde Tonnen CO2 frei, Dieselreste und Schmierstoffe verschmutzen die Meere, und konventionelle Boote sind zudem sehr laut. Das belastet die Tierwelt in und am Wasser sowie Anwohner. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich.
Güter von der Straße aufs Wasser
Wo setzen Sie da an, um eine Besserung zu erzielen?
Unsere Vision ist, emissionsfreie Schifffahrt zu ermöglichen – hinsichtlich Schadstoffen und Lärm-Emissionen. Neben der Umweltfreundlichkeit sehen wir zudem viel Potenzial im Bereich der Digitalisierung. Steuerung, Wartung, Planung und Logistik rund um die Schifffahrt können deutlich digitaler ablaufen, hier besteht ebenfalls noch viel Handlungsbedarf. Außerdem sollten künftig noch mehr Waren auf dem Wasser transportiert werden statt auf der Straße. Das ist natürlich nur mit emissionsfreiem Transport sinnvoll.
Was kann die Digitalisierung dabei konkret leisten?
Um wirtschaftlich arbeiten zu können, sehen wir eine große Chance im autonomen Betrieb von Schiffen. Das bedeutet für uns nicht eine Art „Fernsteuerung“, sondern echtes autonomes Fahren mit vollständiger Umfelderkennung, Sensorfusion und Künstlicher Intelligenz. Außerdem sehen wir einen wachsenden Bedarf an individueller Mobilität auf dem Wasser, als Ergänzung zum Nahverkehr und für den Freizeitbereich.
Worin liegen die Herausforderungen?
Die Transformation muss nun sehr schnell gehen, da der Klimawandel sehr rasch voranschreitet. Jetzt haben wir noch die Chance, freiwillig zu handeln und die Transformation im Einklang mit wirtschaftlichen Interessen zu gestalten. Wenn wir weiter Zeit verschenken, müssen wir bald aus der Not heraus handeln und schon bald sehr unangenehme Entscheidungen treffen. Die nötigen Transformationen sind sehr umfassend. Sie betreffen die Schiffe, die Häfen, die Regelung der internationalen Wasserstraßen, Weiterbildung der Menschen, die in der Schifffahrt arbeiten – es ist eine echte Revolution, ähnlich wie damals die Einführung der Dampfmaschine.
Was muss passieren, dass die Revolution gelingt?
Die größten Herausforderungen sehen wir für Europa dabei im Bereich der Regulierungen. Aktuell benötigen selbst kleine Veränderungen in der Gesetzeslage teilweise Jahre. So wird der Wandel in Europa definitiv nicht rechtzeitig ans Ziel kommen. Aus der Vergangenheit sehen wir, dass gute Ideen dann schneller im Ausland umgesetzt werden. Das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Die Regulierung muss nun auf Überschallgeschwindigkeit gebracht werden. Wir begegnen dieser Herausforderung mit unserem digitalen Testfeld Schlei, zugeteilt vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Unser Testfeld wurde als ausgezeichnetes Reallabor durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz prämiert. Dabei laden wir Gesellschaft und Politik ein, aktiv an den Entwicklungen teilzunehmen und frühzeitig Erkenntnisse für neue Regulierungen zu diskutieren.
Sie kommen aus der Autoindustrie. Welche Erkenntnisse aus der Branche lassen sich auf die Schifffahrt übertragen?
Sehr viele Erkenntnisse. Insofern ist es ein großer Vorteil, dass mein Mann und Mit-Gründer Lars Engelhard und ich viele Jahre in der Automobil-Entwicklung tätig waren. Auch weitere Mitglieder unseres Kernteams bringen Erfahrung aus Technologie und Regulierung mit in unser Unternehmen. Lars war im VW-Konzern für die Online-Konnektivität von Millionen Autos verantwortlich. Ich habe bei Audi die Entwicklung des autonomen Fahrens vorangetrieben. Dr. Bernd Rech war lange Zeit in der Konzernforschung leitend tätig. Unsere Erkenntnisse können wir nun mit Experten der maritimen Branche aufs Wasser bringen. Die Erfolge, und vor allem auch die Misserfolge, die in der Automobilindustrie bereits in den Bereichen umweltfreundlicher Antriebe und autonomen Fahren erzielt wurden, sind sehr hilfreich für die Übertragung auf die Schifffahrt.
Viele Störfaktoren auf dem Wasser
Woran denken Sie dabei konkret?
Dazu gehört aber auch die Erkenntnis, dass man sich dabei auf ein neues Medium einlässt. Um die Systeme auf dem Wasser zuverlässig zum Laufen zu bekommen, benötigt es ein tiefes Verständnis der Technologie und Architektur. Technologisch muss es verschiedenste Anpassungen geben, zum Beispiel bei der Sensorik für autonomes Fahren. Schiffe sind ständigen Wankbewegungen ausgesetzt. Und auch Orientierungspunkte wie Bojen stehen nicht still. Zudem reflektieren die Wellen die Sonne. All das sind Faktoren, die die autonome Orientierung der Schiffe kompliziert machen.
Dazu haben wir Lösungen entwickelt. Nun bauen wir ein internationales Test- und Validierungszentrum für autonomes Fahren auf dem Wasser an dem digitalen Testfeld Schlei auf, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit unserer Systeme im weltweiten Serieneinsatz zu gewährleisten. Auch hierbei können viele Prozesse, beispielsweise für Tests und Validierung des autonomen Fahrens, von der Automobilindustrie übertragen werden. Die Regulierung kann durch das parallele Vorantreiben des automobilen Verkehrs auf der Straße weiter beschleunigt werden. Dazu hilft uns auch das Reallabor auf der Schlei, in dem wir aktuell die Parameter insbesondere für den Test- und Validierung von autonomer Schifffahrt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr weiter erforschen.