Tübingen will als erste Kommune bundesweit ein zusammenhängendes Netz von Rad-Schnellwegen aufbauen und die Verbindungen als erste Stadt in Deutschland auch für die so genannten S-Pedelecs freigeben. Die Elektrobikes können bei entsprechendem Muskeleinsatz bis zu 45 km/h schnell fahren und benötigen daher ein Versicherungs-Kennzeichen. Zudem müssen die Fahrer einen Führerschein der Klasse AM (vergleichbar dem alten Mofa-Führerschein der Klasse 5) besitzen und aus Sicherheitsgründen einen Helm tragen. Bislang ist ihnen die Benutzung von Radwegen verboten, weil Behördenvertreter und auch die Experten des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs Kollisionen zwischen den theoretisch superschnellen S-Pedelecs mit den rein mit Muskelkraft betriebenen Fahrrädern sowie den auf 25 km/h limitierten E-Bikes befürchten. Die Fahrradgattung ist deshalb in Deutschland nicht besonders populär: Bundesweit sind nach Branchenschätzungen derzeit nur etwa 25.000 S-Pedelecs angemeldet. Demgegenüber steht ein Bestand von inzwischen über fünf Millionen E-Bikes. In der Schweiz, wo die Radwege generell für S-Pedelecs freigegeben sind, ist hingegen jedes vierte verkaufte E-Bike eines von der schnellen Sorte.

Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister der seit 2014 offiziell fahrradfreundlichen Stadt Tübingen, besitzt seit bald zehn Jahren selbst ein S-Pedelec. Er nutzt es täglich für die Fahrten durch die City und ärgert sich schon seit geraumer Zeit darüber, dass er mit dem Dienstrad auf die Straße ausweichen muss. „Ich habe schon drei verschiedenen Bundesverkehrsministern geschrieben und darauf hingewiesen, dass die Straßenverkehrsordnung in dieser Hinsicht veraltet ist und die Regelungen nicht mehr auf diese Fahrzeugklasse passen“, sagt Palmer. „Aber es hieß immer, erstens gehe das nicht, und zweitens gebe es keinen Bedarf.“

Ein erstes, von Radlern intensiv genutztes Teilstück zwischen der Tübinger Altstadt und dem Süden wurde Anfang dieser Woche freigegeben, 80 weitere Radwege innerhalb des Tübinger Stadtgebiets sollen in den kommenden Wochen folgen. Auf allen Radwegen soll ein Tempolimit von 30 km/h gelten – wie auf den Straßen der Stadt auch. Palmer hofft, dass sich die Gemeinden im Umland der Initiative anschließen – und die Freigabe der Radwege für S-Pedelecs auch bundesweit ein Thema wird.

Der ADFC hat Bedenken

Das elektrische Lastenrad von Ono transport bis zu 220 Kilogramm Zuladung. Lastenfahrräder werden auch für den gewerblichen Einsatz immer interessanter – sei es im Lieferdienst oder für Handwerker. Die Zahl der Modelle wächst, einige bieten enorme Zuladungen und sogar Wetterschutz. Und der Staat hilft beim Kauf mit Zuschüssen. E-Bikes

S-Pedelecs sind rechtlich Kleinkrafträder. Das Verkehrsministerium des Landes – geleitet von dem Grünen Winfried Hermann – hatte den Städten in Baden-Württemberg im September jedoch erlaubt, durch Zusatzschilder mit der Aufschrift «S-Pedelecs frei» Radwege für die schnellen E-Bikes freizugeben. Durch die Lockerung der Vorgaben für den Betrieb von S-Pedelecs hofft Hermann viele Berufspendler, die derzeit noch mit dem Auto unterwegs sind, zum Umsteigen aufs Fahrrad bewegen zu können.

Der ADFC meldete erwartungsgemäß Bedenken gegen die Lockerung der Vorschriften an. Die schnellen E-Bikes brächten insbesondere junge und ältere Radler in Gefahr. „S-Pedelecs auf Radwegen lehnen wir deutlich ab, da der Geschwindigkeitsunterschied zwischen Menschen auf Fahrrädern und S-Pedelecs viel zu groß ist“, teilte eine Sprecherin des Verbandes mit. In der Schweiz wird deshalb und wegen des hohen Anteils der S-Pedelecs am Fahrradverkehr inzwischen überlegt, die schnellen E-Bikes auf die Straße zu verbannen.

Zuspruch für die Initiative von Boris Palmer in Tübingen gab es hingegen aus der Fahrradindustrie. Markus Riese, Mitgründer von Riese+Müller in Darmstadt, wettert seit langem gegen die starke Reglementierung der S-Pedelecs. „Die Potenziale der Technik, Autoverkehr zu verringern, werden so nicht genutzt und viele Radfahrer unnötigerweise in die Illegalität gedrängt“: Um die Radwege trotzdem nutzen zu können und nicht aufzufallen, verstauen manche S-Pedelec-Besitzer das Versicherungs-Kennzeichen kurzerhand im Rucksack.

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3 Kommentare

  1. Philipp H.

    Ich fahre auch S-Pedelec, ohne dieses wäre meine Pendelstrecke von 35km einfach nicht mehrmals die Woche mit dem Rad zu bewältigen. Ich habe das Glück über Land zu fahren und nur wenige Ortschaften zu durchqueren. Also fahre ich überall außerorts Radwege oder Feldwege, innerorts grundsätzlich auf der Straße. Probleme hatte ich bisher nur auf der Straße mit drängelnden PKW, vor allem, wenn ich mich selbst an Geschwindigkeitsbegrenzungen halte. Wenn ich auf der Hauptstraße 45 fahre, werde ich meist in Ruhe gelassen und auch nicht überholt.
    Die Position des ADFC ist unverständlich, aber die haben auch noch normale Pedelecs abgelehnt, als klar war, dass es irgendwann mehr Pedelecs als Fahrräder auf der Straße gibt.

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  2. Gerd

    Ich lebe als S-Klasse-Strampler erstaunlicherweise auch noch, allerdings sehe ich das Unfallrisiko als weniger relevant. Der 7. Sinn läuft ständig mit.
    Wenn ich vorzeitig ablebe, hat mich vermutlich einer der Autofahrer erschlagen, denen ich auf der 2spurigen, innerorts verlaufenden Bundesstraße ein latenter Feind bin. Und auf dem parallel verlaufenden Radweg darf ich leider nicht fahren.

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  3. Thorsten Pahlke

    Ich fahre seit über zwei Jahren mit einem S-Pedelac und wundere mich, dass ich überhaupt noch lebe. Ein Fahrrad hat vor deutschen Autofahrer nichts zu suchen… auch in der 30-Zone nicht. Die Erfahrung habe ich mehr als einmal sammeln dürfen. Auch schrieb ich den ADFC an mit der Bitte um Unterstützung. Doch man schrieb mir, dass diese bösen Räder nichts auf den Radwegen, die bis 25km/h ausgelegt sind, zu suchen haben. Mein Vergleich, dass auch ein Porsche in einer spielberuhigten Straße fahren dürfe würde damit abgebügelt, dass man auf Radwegen die Geschwindigkeit nicht messen kann und keine Tickets bei zu schnellen Fahrten ausstellen kann.
    Ich freue mich, dass Tübingen diesen Schritt geht und den Damen und Herren vom ADFC empfehle ich, einmal 45 km/h mit einem S-Pedelac zu fahren. Dann wird schnell erkannt, dass diese Geschwindigkeit nur im Peak erreicht wird. Es geht hier nicht ums Heizen, es geht um die Sicherheit einer kleinen Gruppe ohne große Lobby.

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