Eigentlich ist der Weg klar vorgegeben. Auf Level 2 vollzieht das Fahrzeug unter klar definierten Bedingungen teilautomatisierte Fahrmanöver. Es hält die Spur, bremst und beschleunigt je nach Verkehrslage und Umgebung – aber der Fahrer behält das Kommando und muss jederzeit eingreifen können. Schließlich haftet er auch für etwaige Schäden.

Level 2 beherrschen inzwischen fast alle Autos, die in den zurückliegenden zwei Jahren auf den Markt gekommen sind. Auch der „Autopilot“ von Tesla ist nichts anderes als ein Assistenzsystem auf diesem Niveau, auch wenn der Name etwas anderes suggeriert. Eine ganz andere Hausnummer ist dagegen die nächste Stufe des autonomen Fahrens: Auf Level 3 agiert das Fahrzeug für einen gewissen Zeitraum hochautomatisiert und weitgehend selbstständig. Und der Fahrzeughersteller steht in der Haftung, falls das Auto trotz aller Sensorik und Aktuatorik an Bord verunfallt. Der Mensch darf sich während der Fahrt um seine E-Mails kümmern, Videos schauen und muss den Verkehr und die Straße nicht mehr ständig im Blick haben.

Mercedes „Drive Pilot“ war erst der Anfang

Schon aus diesem kurzen Überblick wird klar, welche Mammutaufgabe autonomes Fahren schon auf diesem Niveau darstellt – von Level 4 ganz zu schweigen, bei dem der „Fahrer“ nur noch ein Passagier ist. Audi hatte bereits 2018 den Audi A8 vorgestellt, der für das Robo-Fahren Level 3 vorbereitet war. Aber es dauerte bis zu diesem Jahr, ehe Mercedes mit dem „Drive Pilot“ ein System in das Flaggschiff S-Klasse integrieren konnte, das das beherrscht. Allerdings nur bis zum Tempo 60 km/h und unter bestimmten Umständen. Letztendlich ist diese Technik ein vollautomatischer Stau-Pilot, der im Stop-and-Go-Verkehr und somit bei vergleichsweise überschaubaren Geschwindigkeiten das Steuer übernimmt.

Für Mirko Reuter, dem Chefentwickler für autonomes Fahren beim chinesischen Autobauer NIO, ist diese Art des automatisierten Fahrens allerdings nur ein Zwischenschritt. Die Asiaten wollen gleich mit 120 km/h beziehungsweise 130 km/h in das Robo-Auto-Geschäft einsteigen. Mercedes tüftelt ebenfalls an der Geschwindigkeitserhöhung für seinen „Drive Pilot“, der seit dem vergangenen Jahr für die S-Klasse und das Elektroauto EQS angeboten wird – zu einem Aufpreis von knapp 6000 Euro. Wann das System für die höheren Geschwindigkeiten freigeschaltet werden kann, ist noch völlig offen.

Tempo 120 stresst die Technik

Aus gutem Grund. „Das automatisierte Fahren mit Level 3, bis maximal 120 Kilometer pro Stunde, stellt deutlich größere Herausforderungen für die ADAS-Systeme dar als das bei Tempo 60 der Fall ist“, weiß Jan Becker, CEO von Apex.Ai, der sich seit 24 Jahren mit Fahrassistenzsystemen und dem autonomen Fahren beschäftigt.

Freihändig durch den Stau 
Mercedes war der erste Autohersteller, der in der S-Klasse und dem EQS mit dem "Drive Pilot" ein System anbot, das automatisiertes Fahren auf Level 3 erlaubt - auf deutschen Autobahnen bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h.
Freihändig durch den Stau
Mercedes war der erste Autohersteller, der in der S-Klasse und dem EQS mit dem „Drive Pilot“ ein System anbot, das automatisiertes Fahren auf Level 3 erlaubt – auf deutschen Autobahnen bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h.

Wie groß der Unterschied ist, zeigt ein einfaches Rechenbeispiel, das jeder noch aus der Fahrschule kennen sollte: Bei der doppelten Fahrgeschwindigkeit vervierfacht sich der Bremsweg eines Autos. Genau das müssen die Sensoren leisten und eine entsprechende Distanz zuverlässig abbilden.

Ohne Lidar geht es nicht

„Aktuell braucht man für das ADAS-Level 3 eine Kombination aus Kameras, Radar- und Lidarsensoren“, erklärt Becker. „Lidar ist unter anderem deshalb nötig, weil die Auflösung, die Radar bietet, nicht ausreicht. Aber vor allem, weil die Video-Radar-Kombination allein zu viele Failure Cases hat. Der Hauptgrund für die Kombination ist die notwendige Redundanz im Sensor-Set.“

An besseren und leistungsfähigeren Sensoren wird bereits getüftelt. Die sind auch für das hochautomatisierte, autonome Fahren nötig. Mit Kameras alleine, endet der Versuch, ein Robo-Auto auf die Straße zu bringen, unweigerlich in einer Sackgasse. Das musste auch Tesla einsehen: Trotz aller ausgeklügelten Software installierte das Unternehmen jetzt wieder Radarsensoren in seine Autos.

So sieht ein autonomes Auto die Welt
Die fortlaufende Weiterentwicklung der Lidar-Technik, die Laserimpulse zur Objekterkennung einsetzt, ist ein wesentlicher Baustein für die Sicherheit autonomer Fahrzeuge. Die von Luminar in Zusammenarbeit mit Volvo entwickelte Technik ermöglicht es, menschliche Körperhaltungen einschließlich einzelner Gliedmaßen wie Arme und Beine zu erkennen, was mit diesem Sensortyp bisher nicht möglich war. Zudem können Objekte in bis zu 250 Meter Entfernung erfasst werden, eine weitaus größere Reichweite als mit jeder derzeit verfügbaren Lidar-Technik. Foto: Volvo

Wie umfangreich diese Aufgabe ist, wird klar, wenn man die Arbeitsweise eines Radarsensors genauer betrachtet. Der Radarsensor sendet Mikrowellen aus, die hauptsächlich von metallischen Oberflächen reflektiert werden. Zum Beispiel von Autos, Gullydeckeln, Schilderbrücken über der Autobahn, Tunneleinfahrten und den Leitpfosten am Rand der Fahrbahn. Um autonom unterwegs zu sein, muss das System unwichtige Elemente klassifizieren und alles aussortieren, was nicht relevant ist.

Herausforderung für Software-Entwickler

Bei stockendem Verkehrsfluss beziehungsweise bis 60 km/h ist das noch machbar, da man sich in der Regel an den anderen Autos orientieren kann und die Sensoren die Bremswegentfernung im Griff haben. Braust ein Pkw selbsttätig mit 120 km/h über die Autobahn und ein Auto steht zufällig genau in einer Tunneleinfahrt oder unter einer Schilderbrücke, wird die Sache schon deutlich diffiziler. Dann muss der Robo-Chauffeur eindeutig identifizieren, ob da ein Auto steht und gegebenenfalls bremsen. Und das bei dieser Geschwindigkeit früh genug.

Lidar-Sensoren in der Dachhaut 
Der Nio ET 7 ist das erste Elektroauto, das serienmäßig mit Hochleistungs-Lidar-Technik ausgeliefert wird. Der chinesische Autobauer hat die Plattform dafür unter dem Namen "Aquila" selbst entwickelt. Foto: Nio
Lidar-„Warzen“ in der Dachhaut
Der Nio ET 7 ist das erste Elektroauto, das serienmäßig mit Hochleistungs-Lidar-Technik ausgeliefert wird. Der chinesische Autobauer hat die Plattform dafür unter dem Namen „Aquila“ selbst entwickelt. Foto: Nio

Für die Software-Programmierer ist die Herausforderung ebenfalls immens. Was passiert, wenn ein Sensor Alarm schlägt und ein Hindernis meldet und ein anderer nicht? „Man benötigt Rechenmodelle, die abbilden, was ein Sensor leisten kann und was nicht. Daraus lässt sich dann ableiten, ob die Meldung des Sensors plausibel ist oder nicht“, weiß Experte Becker.

USA ist schon wesentlich weiter

Zum Beispiel ist ein Lidar-Sensor in der Regel recht tief eingebaut und kann nicht „sehen“, ob die Fahrzeuge vor dem Vordermann bremsen oder nicht, da der Pkw ihm die „Sicht verstellt“. Dagegen kann eine Kamera durch die Scheiben die aufleuchtenden roten Lichter des Verkehrs erkennen und auch die Radarsensoren können zu einem gewissen Grad unter einem vorausfahrenden Fahrzeug „entlangschauen“. Also muss der Algorithmus diese Umstände bewerten und in die Entscheidung einbeziehen. Das bedeutet: Nur wenn jedes Rad in das nächste greift, ist ein geschmeidiges autonomes Fahren Level 3 machbar. Klar ist aber auch, dass die Herausforderung bei 120 km/h deutlich größer sind als bei 60 km/h.

Taxi ohne Fahrer 
Im Stadtgebiet von San Francisco lässt die GM-Tochter "Cruise" seine Robo-Taxen bereits fahren. Foto: Cruise
Taxi ohne Fahrer
Im Stadtgebiet von San Francisco lässt die GM-Tochter „Cruise“ seine Robo-Taxen bereits fahren. Foto: Cruise

In den USA ist man inzwischen schon bei Level 4 angekommen – aber auch da hakt es noch an den höheren Geschwindigkeiten. Die GM-Tochter Cruise hat bereits die Freigabe für autonome Level-4-Taxis für einen großen Teil des Stadtgebiets von San Francisco erhalten, ohne menschlichen Fahrer als Rückfall-Instanz. Aber eben zunächst nur innerstädtisch. Weitere Testgebiete wie Phoenix in Arizona oder Houston in Texas sollen folgen. Auch die Google-Ausgründung Waymo tüftelt bereits sein 2009 am autonomen Fahren, ist daher deutlich weiter als etwa Tesla und darf seine autonome Flotten ebenfalls in San Francisco, Phönix und neuerdings auch in Los Angeles betreiben.

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