Der Klimawandel ist zu langfristig

Der größte Unterschied zwischen einer Pandemie und dem Klimawandel ist der Faktor Zeit. In einer Pandemie lassen sich mit schnellem Handeln schnelle Ergebnisse erzielen. Die Effektivität von Maßnahmen lässt sich anhand der Infektionszahlen unmittelbar ablesen. Die Bürger akzeptieren eher Einschränkungen, wenn sie deren Erfolg nachvollziehen können und der Sinn verständlich ist. Das Länderranking der Coronazahlen ist wie ein umgekehrter Medaillenspiegel der Olympischen Spiele.

Das alles fällt beim Klimawandel völlig weg. Niemand weiß, ob der individuelle Verzicht auf den nächsten Urlaubsflug oder die nächste Autofahrt irgendwann eine positive Auswirkung auf den weltweiten Temperaturanstieg haben wird. „Selbst wir heute die Emission von Treibhausgasen stoppten, ginge die globale Erwärmung wenigstens für einige Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte weiter“schreibt die US-Weltraumbehörde Nasa.

Emissionen steigen weiter an

Was bringt der radikalste Verzicht, wenn der Nachbar sich beim nächsten Mal noch einen größeren SUV kauft? Oder im eigenen Land neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen? Anders als beim Coronavirus kann sich kein Einzelner vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen. Wenn es nicht sterbende Bäume sind, können es Wetterextreme wie Dürren, Überschwemmungen, steigende Meeresspiegel, Hitzewellen, Heuschreckenplagen oder das Artensterben sein.

Schmelzendes Eis
Klimawandel sorgt auch für schmelzendes Polareis.
© Copyright AFP,Greenpeace, Christian Aslund

Noch deprimierender als die eigene Ohnmacht ist die Erkenntnis, dass auch von Seiten der Politik keine Lösung des Problems zu erwarten ist. Seit Jahrzehnten wird über eine globale Senkung der Kohlendioxid-Emissionen diskutiert, dennoch steigen die Emissionen und damit die CO2-Konzentration in der Atmosphäre unverändert an. Selbst die Coronapandemie hatte nur einen kurzen Einspareffekt.

Die schon unübersehbaren Folgen des Klimawandels verstärken bereits dessen Effekte. Vielen Deutschen wird während des Corona-Zwangsurlaubs aufgefallen sein, wie stark die heimischen Wälder schon geschädigt sind. Die Wiederaufforstung scheitert häufig schon daran, dass die jungen Bäumchen in den ersten Jahren vertrocknen.

Wissenschaft und Technik am Limit?

Ebenso ernüchternd wirkt die Feststellung, dass erst der Aufschwung von Wissenschaft und Technik die Menschheit in die scheinbar ausweglose Lage gebracht haben. Nicht nur Gewinnstreben und Bequemlichkeit, auch der Glaube an den Fortschritt und der Einsatz für bessere Lebensbedingungen sind eine wichtige Triebfeder für die Industrialisierung gewesen. Sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus.

Im Moment scheint es jedoch so, dass die Wissenschaft zwar annähernd beschreiben kann, wie die kohlenstoffbasierte Wirtschaft den Planeten aufheizt. Doch die Technik ist nicht in der Lage, dieses von ihr selbst geschaffene Problem zu lösen. Smarte Bewässerungssysteme können im Kleingarten zwar dazu beitragen, die Pflanzen vor dem Vertrocknen zu retten. Das eigentliche Problem wird damit jedoch nicht einmal tangiert.

Jede Hiobsbotschaft wird zur Glaubensprobe

Die Technik müsste auf der einen Seite dazu dienen, die bereits unvermeidlichen Folgen des Klimawandels beherrschbar zu machen, auf der anderen Seite sofort und unmittelbar dazu beitragen, das Problem nicht noch zu verschlimmern. Abgesehen davon, dass offen ist, ob Wissenschaft und Technik das überhaupt leisten können, stellt sich die erkenntnistheoretische Frage: Wenn der bisherige Einsatz von Wissenschaft und Technik schon zu unbeabsichtigten und unbeherrschbaren Folgen für die Umwelt geführt hat, wie lässt sich garantieren, dass die Korrekturmaßnahmen nicht ebenso gravierende oder noch schlimmere Folgen zeitigen werden?

Als Negativbeispiel gilt die Förderung von Biosprit, was zur Zerstörung von Urwald und der Verdrängung von Lebensmittelanbau führt. Immerhin kann man der Menschheit zugutehalten, dass den ersten Cyanobakterien vermutlich auch nicht so klar war, mit der Photosynthese die Große Sauerstoffkatastrophe auszulösen.

Jede Hiobsbotschaft von der Klimafront wird daher zu einer modernen Glaubensprobe: Glaubst du weiter an die Fähigkeit der Politik, Wissenschaft und Technik, die Erderwärmung noch begrenzen zu können? Glaubst du an die Bereitschaft von Individuum und Gesellschaft, die Folgen einer konsequenten Klimapolitik mitzutragen und erforderliche Einschränkungen zu akzeptieren?

Konsumgesellschaft und Klimarettung

Der US-Schriftsteller Jonathan Franzen hat diese Fragen vor einem Jahr in einem viel beachteten Essay mit Nein beantwortet. „Nennen Sie mich einen Pessimisten oder nennen Sie mich einen Humanisten, aber ich kann nicht erkennen, dass sich die menschliche Natur demnächst grundlegend ändern wird. Ich kann mir zehntausend Szenarien durch den Kopf gehen lassen, und nicht in einem von diesen erkenne ich, wie das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden kann.“ Franzen sagt nicht, dass dieses Ziel nicht theoretisch eingehalten werden könnte. Doch praktisch sei die Menschheit eben nicht dazu in der Lage.

Eine gewisse Bestätigung findet Franzens These in einer radikaleren Analyse. „Die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Der Konsument hat sich sein freudloses Paradies mittels eines wahrhaft beispiellosen, in der Geschichte unserer Erde noch niemals da gewesenen Energieverbrauches errichtet.“ Diese aktuell anmutende Feststellung stammt nicht aus der Gegenwart, sondern bereits aus dem Jahr 1954. In einem mehrteiligen Radio-Feature warnte der Journalist Erich Kuby schon damals vor den unabsehbaren Folgen eines Bevölkerungswachstums verbunden mit einem Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauchs an Energie.

Im dritten Teil erfahren Sie, was jetzt getan werden muss.

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