Als Arash Derambarsh noch studierte, war sein Budget begrenzt: „Nach Abzug der Miete blieben mir monatlich 400 Euro“, erinnert er sich. „Ich habe am Tag nur eine richtige Mahlzeit zu mir genommen. Lernen fällt schwer, wenn man hungrig ist.“ Während der Jurastudent fasten musste, landete der Überfluss der Supermärkte in deren Mülltonnen – pro Supermarkt durchschnittlich 20 Kilogramm täglich.
Auch jenseits der Ländergrenzen ist die Situation nicht besser. Weltweit gehen jährlich 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verloren, das entspricht etwa einem Drittel der insgesamt produzierten Menge. Die Zahl ist alarmierend, Konsequenzen werden daraus aber kaum gezogen.
„Es kann nicht sein, dass genießbare Lebensmittel im Müll landen, während Menschen in Frankreich und anderen Ländern Hunger leiden.“ Derambarsh sagt und denkt das seit Jahren, noch während er trotz Hunger studierte, Anwalt für Strafrecht in Paris wurde, promovierte. Der Handlungsspielraum einer Einzelperson ist begrenzt. In Deutschland gibt es ein paar wenige Menschen, die „containern“ gehen. Das heißt, sie sammeln Lebensmittel aus den Abfalleimern der Supermärkte. Das ist illegal und kann bestraft werden. In Frankreich wurden die noch genießbaren Lebensmittel meist gechlort, um zu verhindern, dass sich jemand am Müll bedient.
Derambarsh startete eine Online-Petition
Parallel zu seiner juristischen Karriere engagierte sich Arash Derambarsh politisch. 2014 wurde der damals 35-Jährige zum Stadtrat von Courbevoie gewählt, einer Gemeinde im Nordwesten von Paris. Ende des Jahres begann er die ersten öffentlichen Aktionen, um auf den Missstand aufmerksam zu machen. Er suchte sich einen Supermarkt in Courbevoie aus, nahm abends die übrig gebliebenen Lebensmittel in Empfang und verteilte sie gemeinsam mit einem Dutzend Freiwilliger an Bedürftige. „Wir haben das an jeweils drei Abenden der Woche gemacht und zwar für einen guten Monat.“
Die Zeitungen berichteten, Derambarsh wurde zu Interviews im Radio und Fernsehen eingeladen. So bekam er die Öffentlichkeit, die er brauchte, um eine Veränderung im ganzen Land zu erreichen. 2015 startete Derambarsh eine Online-Petition für ein Gesetz, das den Supermärkten offiziell verbietet, noch Genießbares in den Müll zu werfen. Er war damit so erfolgreich, dass die französische Regierung das Gesetz nur vier Monate später einstimmig beschloss – als erstes Land weltweit.
Seit dem 11. Februar 2016 müssen Supermärkte ab 400 Quadratmetern Größe nicht verkaufte Lebensmittel an ehrenamtliche Organisationen spenden. Das Gesetz ist erfolgreich – bei der französischen Tafel Banque Alimentaire etwa sind die Spenden durch Supermärkte um 19 Prozent gestiegen.
Der Beschluss macht Derambarsh zu einer Art Helden. Auch die internationale Presse berichtete über sein Engagement, er gab einen TED-Talk, wurde vom amerikanischen Magazin Foreign policy als einer der „Top 100 Global Leaders of 2017“ genannt. Der Pariser Anwalt mit iranischen Wurzeln zeigt sich gerne öffentlich und in den sozialen Netzwerken. Längst hat er die nächste Petition gestartet, um ein Gesetz für ganz Europa durchzusetzen.
Kritische Stimmen im Internet meinen, Derambarsh sei die Aufmerksamkeit wichtiger als der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. Doch ob seine Agenda Derambarsh hilft oder andersherum. Im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung braucht es jemanden, der nach vorne tritt und das Thema in die Medien hebt, denn bisher zeigen sich die meisten Ländern ziemlich lethargisch.
Die deutsche Regierung etwa möchte die Lebensmittelverschwendung bis 2030 halbieren, hat dafür aber keine konkreten Maßnahmen, geschweige denn ein Gesetz. Dabei geht Problem sogar weit über den sozialen Aspekt hinaus: Das verschwendete Essen verursacht weltweit 3,3 Gigatonnen CO2 – damit ist die Lebensmittelverschwendung drittgrößter Klimasünder nach den USA und China. Außerdem ist die Landwirtschaft für nahezu 70 Prozent der aussterbenden Arten verantwortlich.
Inzwischen haben auch andere Länder vergleichbare Gesetze
Inzwischen haben auch andere Länder vergleichbare Gesetze beschlossen. Italien etwa, oder jüngst Tschechien. Verstößt ein Supermarkt gegen das neue Gesetz, sollen dort bis zu 390.000 Euro fällig werden. In Frankreich droht mit 3750 Euro pro Vergehen eine vergleichbar milde Strafe. Das führt dazu, dass ein kleiner Anteil der Geschäfte das Gesetz noch immer ignorieren – getreu dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Arash Derambarsh kämpft weiter für sein Gesetz: Anfang Februar hat der Anwalt einen E-Leclerc-Supermarkt im südwestfranzösischen Mimizan auf frischer Tat ertappt und angezeigt. „Das war vor allem eine symbolische Aktion“, sagt der inzwischen 39-Jährige. Er hat öffentlich dazu aufgerufen, ihm jeden Gesetzesverstoß zu melden. Schon nach kürzester Zeit kam eine Liste von über 200 Supermärkten zusammen. „Das können wir nicht zulassen“, sagt der Anwalt. „Es gibt arme Menschen, die hungrig sind und essen müssen.“