Roland S. klingt nicht wie jemand, der zur Übertreibung neigt oder sich unnötig in etwas hineinsteigert. Aber wenn der Immobilienmakler darüber klagt, dass er sich bei längeren Fahrten in seinem Mercedes EQS unwohl fühlt, es in den Beinen kribbelt und er das auf elektromagnetische Strahlen im Elektroauto zurückführt, dann klingt das durchaus glaubhaft.

Der Mann kennt sich aus mit Strahlung. Vor Jahren arbeitete er für ein Unternehmen, das Kristalle für die Halbleiterindustrie produzierte. Dazu braucht es extrem starke Magnetfelder. Vor denen hat der Kaufmann Respekt, da sie Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben können.

„Es kribbelt in den Beinen“

Das bestätigt auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). „Im medizinischen Bereich werden starke statische Magnetfelder von mehreren Tesla (das heißt mehreren tausend Millitesla) für bildgebende Verfahren eingesetzt. In diesem Bereich können für Patienten, aber auch für das medizinische Personal akute Wirkungen, wie zum Beispiel Schwindel oder Übelkeit, auftreten.“ Weiter schreibt das BfS: „Für von Gleichstromleitungen ausgehende statische elektrische Felder, wie sie in üblichen Expositionssituationen auftreten, sind keine gesundheitlichen Gefahren nachgewiesen. Auch die von Gleichstromleitungen ausgehenden statischen magnetischen Felder sind in üblichen Expositionssituationen unbedenklich.“ Im Gegensatz zu Röntgen- und Gammastrahlung reiche die Energie von elektromagnetischen Feldern jedoch nicht, um das Erbmaterial zu schädigen und Krebs zu verursachen.

Gut abgeschirmt
Der EQS ist das Elektro-Flaggschiff von Mercedes. Kabel und E-Bauteile sind nach Angaben des Herstellers sorgfältig isoliert und gegeneinander abgeschirmt. So soll verhindert werden, dass elektromagnetische Strahlen zu den Insassen gelangen.
Gut abgeschirmt
Der EQS ist das Elektro-Flaggschiff von Mercedes. Kabel und E-Bauteile sind nach Angaben des Herstellers sorgfältig isoliert und gegeneinander abgeschirmt. So soll verhindert werden, dass elektromagnetische Strahlen zu den Insassen gelangen.

Aber gilt das auch im Auto? Wie stark sind dort die magnetischen Felder? Und unterscheiden sich Elektroautos von Verbrennern?

„Wir nehmen das Thema sehr ernst“

Ein Gespräch mit Martin Reuter hilft weiter. Der promovierte Elektrotechniker ist bei Mercedes-Benz verantwortlich für die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) der E-Antriebe. Oder anders gesagt: Er muss unter anderem dafür sorgen, dass im Elektroauto keine gesundheitsschädliche Strahlung entsteht.

„Wir nehmen das Thema sehr ernst und betrachten es von der Entwicklung eines Fahrzeugs bis zur Freigabe“, sagt Reuter. Als Basis dienen die Empfehlungen des BfS, das sich wiederum auf die WHO bezieht. Die Weltgesundheitsorganisation wertet alle medizinischen Forschungen aus und veröffentlicht über die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) Grenzwerte als Empfehlungen – für die Strahlenbelastungen durch Mobiltelefone oder Mobilfunkmasten, aber auch im Elektroauto. Diese liegen aktuell in der EU für elektrische Felder bei 5 Kilovolt pro Meter (5 kV/m), für Magnetfelder bei 100 Mikrotesla (100 µT).

Grenzwerte sind nur eine Empfehlung

Da die WHO aber keine Regierungsorganisation ist, haben diese Werte allerdings keine gesetzgebende Funktion. Hersteller können, müssen sie aber nicht übernehmen. Für Reuter ist das keine Frage: „Mercedes hält sich natürlich an diese Grenzwerte“, sagt Reuter. „Gerade auch, um Befürchtungen wie die des EQS-Fahrers entkräften zu können.“

Reuters Team untersucht die EMV in einem eigenen Prüfgebäude in Sindelfingen. 50 Millionen Euro hat der Hersteller 2019 hier investiert, um Antennensysteme sowie die bis zu 250 in einem Auto verbauten elektronischen Komponenten zu testen. In der S-Klasse beispielsweise sind über fünf Kilometer Kabel verlegt. „Wir sorgen beispielsweise dafür, dass das Radio nicht brummt, wenn der E-Motor läuft.“ Deshalb müssen die Ingenieure alle Kabel und E-Bauteile sorgfältig isolieren und gegeneinander abgeschirmt. „Prinzipiell unterscheiden sich E-Auto und Verbrenner aber sehr wenig. Beide haben die gleichen kritischen Quellen für magnetische Felder wie Sitzheizung, Klimaanlage, Assistenzsysteme oder Lautsprecher.“

Wellen-Experten
Im metallisch abgeschirmten Prüfgebäude für elektromagnetische Verträglichkeit und Hochfrequenz-Antennensysteme in Sindelfingen testet Mercedes die im Fahrzeug verbauten elektrischen und elektronischen Systeme. Foto: Mercede-Benz
Wellen-Experten
Im metallisch abgeschirmten Prüfgebäude für elektromagnetische Verträglichkeit und Hochfrequenz-Antennensysteme in Sindelfingen testet Mercedes die im Fahrzeug verbauten elektrischen und elektronischen Systeme. Foto: Mercede-Benz

Im Elektroauto kommen zwar noch E-Aggregate wie Batterie, Motor oder Bordlader hinzu. Doch Untersuchungen zeigen, dass die Magnetfelder weniger von der elektrischen Leistung der Elektromotoren abhängen als von der Position der Batterie, von den Kabeln und der Leistungselektronik.

Die Seibersdorf Labor GmbH aus Österreich führte 2009 zur „Bestimmung der Exposition durch Magnetfelder alternativer Antriebskonzepte“ im Auftrag des BfS sogar Fahrversuche mit damals verfügbaren Hybrid- und Elektroautos wie dem Toyota Prius, dem vollelektrischen Fiat Panda Electric und dem Mercedes-Transporter Atego BlueTec Hybrid durch. Gemessen wurde in den Fahrzeugen die Strahlenwerte sowohl auf Rollenprüfständen als auch im Straßenverkehr unter realen Verkehrsbedingungen. Berücksichtigt wurden zudem unterschiedliche konstante Fahrgeschwindigkeiten sowie die Auswirkungen von Beschleunigungs- und Bremsmanövern.

Erhöhte Werte beim Bremsen und Beschleunigen

Das Ergebnis: Bei den Hybrid-PKWs lagen die lokal auftretenden Maximalimmissionen zwischen 29 und 34 Prozent unter dem ICNIRP-Referenzwertes für die Allgemeinbevölkerung, im vollelektrischen Fiat Panda immerhin noch drei Prozent. „Diese Maximalwerte“, heißt es im Abschlussbericht der Forscher, „treten in den meisten Fällen lokal stark begrenzt, am Fahrer- und Beifahrerplatz typischerweise im Fuß- und Unterschenkelbereich auf. In manchen Fällen, bei ungünstiger Lage der Batterie bzw. der Verkabelung unmittelbar unter oder hinter der Rückbank, wurden (je nach Fahrzeug stark unterschiedlich) auch im Unterleibsbereich auf der Rückbank Immissionswerte bis zu maximal 34 Prozent des Referenzwertes gemessen.“ Vor allem bei Bremsvorgängen sowie beim Beschleunigen des Fahrzeugs.  

An anderen Stellen, zum Beispiel im Kopf- oder Rumpfbereich von Fahrern sowie Passagieren, waren die gemessenen Werte deutlich niedriger. „Dies eröffnet Minimierungspotenzial“, folgerte das BfS damals, „das Hersteller bei der Fahrzeugentwicklung nutzen können.“

Eine Frage der Abschirmung

Und das tun sie, wie Mercedes-Ingenieur Reuter versichert. Um die Strahlenbelastung zu verringern, verlege Mercedes Kabel und E-Bauteile deshalb so weit wie möglich im Unterboden oder Motorraum, also von der Kabine durch eine Metallschicht getrennt. Außerdem sinkt die Feldenergie mit wachsendem Abstand überproportional. Im freien Raum ist das Magnetfeld bei doppeltem Abstand nur noch ein Viertel so stark. Eine Isolation oder Abschirmung kann es sogar auf ein Zehntel senken. „Schon ein paar Millimeter mehr Abstand von Kabeln oder Leitungen können hier sehr viel bewirken“, sagt Elektrotechniker Reuter.

Kribbeln in den Beinen
Magnetfeldimmissionen im Fußbereich des Beifahrers eines Fiat Panda Electric unter stationären Verhältnissen bei
100 Nm mechanischer Last an der Antriebsachse bei 90 km/h. Abgebildet sind oben das Zeitsignal (10Hz bis 100 kHz), in der Mitte das Spektrum (1 Hz-100 kHz) und unten die spektrale Verteilung der Immissionen mit Bezug zum Referenzwert. Grafik:

Jene Studie aus Österreich untersuchte seinerzeit übrigens auch die Belastung durch elektrische Strahlung in zwei Fahrzeugen mit Verbrennerantrieben, einem VW Passat und einem Audi A4. Das Ergebnis: Die Ingenieure ermittelten im Fußraum vorne eine ähnlich starke Strahlung wie im Elektroauto. Verantwortlich dafür war hier der Motor eines Lüftungsgebläses und dessen Verkabelung. Bei höchster Leistungsstufe lagen die Messwerte in einem Fall sogar über den empfohlenen Referenzwerten. Aber auch hier lieferten die Magnetfeldmessungen keinerlei Hinweise auf ein Gefährdungspotenzial. Auch nicht für Träger etwa von Herzschrittmachern.

Und seit 2009 hat die Autoindustrie die Konstruktion der Fahrzeuge mit Hybrid- und Elektroantrieb weiter verbessert. Bei heutigen Elektromotoren verhindert beispielsweise ein Alu-Druckguss-Gehäuse das Austreten elektromagnetischer Strahlung. Zudem werden Filter eingesetzt, die eine elektromagnetische Strahlung an den Schnittstellen nach außen verringern. Zum Schutz der Insassen, aber auch um Störungen im Zusammenspiel der elektronischen Systeme zu verhindern.  

Ungeklärte „Phänomene“

Mercedes-Kunde Roland R. beruhigt das alles nicht. Er ist viel unterwegs in seinem EQS – beruflich wie privat. Nach 1,5 Jahren stehen schon über 60.000 Kilometer auf dem Tachometer seines Luxus-Stromers. Auf langen Strecken macht er es sich auch schon mal gerne auf der Rückbank bequem und lässt sich von seiner Frau chauffieren. „Dann“, klagt er, „kribbelt es noch schneller als vorne. Vielleicht, weil ich direkt über dem Heckmotor sitze?“ Auch wenn der Elektro-Mercedes mit bis zu 200 kW Gleichstrom an der Schnellladesäule zieht, spürt der Fahrer das nach eigenen Angaben körperlich.

Obwohl es keinen direkten physikalischen Zusammenhang gibt, wiegelt Physiker Reuter derlei Beobachtungen von Kunden nicht einfach ab. Wissenschaftlichen Untersuchungen würden solche „Phänomene“ bestätigen. Alleine die Angst vor einer schleichenden Vergiftung, beispielsweise durch Abgase einer Fabrik, oder der Nähe eines Atomkraftwerks, könne Menschen Bauchschmerzen bereiten oder sie sich unwohl fühlen lassen: Jeder Mensch sei da ganz unterschiedlich sensibilisiert.

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5 Kommentare

  1. HR Freund

    2.5kV/m ist eiN sportlicher Grenzwert in der EU. In der Schweiz gelten 60V/m für nichtionisierende Strahlung und der Salzburger Vorsorgewert liegt bei 6V/m. Das ist auch ziemlich genau der kritische Wert, welchen die Russen in den 40er Jahren ermittelt haben und alle nur darüber gelacht haben – sie waren auch nicht fähig diesen tiefen Wert einzuhalten.
    Die WHO macht Grenzwerte, um eine minimale Vorgabe zu definieren und alle berufen sich darauf, haben damit ja auch erfüllt.
    Das Problem ist, das die WHO an sich nicht vertrauenswürdig ist. Sie weiss, warum sie sich diplomatische Immunität – selbst bei Vorsätzlichkeit – in die Charta geschrieben hat.
    Gerade arbeitet die WHO an einem Pandemiegesetz, welches dann alle Länder ratifizieren sollen – und damit die Impfpflicht aufgrund des WHO Entscheides überall durchdrückt.

    Tatsache ist, die Hersteller von EAutos machen viel, doch das Maximum mögliche macht man aufgrund von Rentabilität natürlich nicht.

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  2. E. Schiele

    Seit über 20 Jahren wird in jedem Verbrenner (je teurer desto mehr) in jeder kleinen und gerade nicht sichtbaren bzw. abgedeckten Ecke der Karosserie irgendein Steuergerät verbaut, um all die ganzen Komfortfunktionen zu ermöglichen. Hier war Elektrosmog nie ein Thema! Beim E-Auto wird zunächst viel mehr abgeschirmt, schon aus Sicherheitsgründen. Zudem werden die Funktionen immer mehr zentral und mittels Software gesteuert, sodass viel weniger grosse und kleine Steuergeräte im Auto verteilt und versorgt werden und damit Kabelbäume kreuz und quer durch die ganze Karosserie laufen müssen. Zudem ist ein E-Auto wg. der stärker wahrnehmbaren Fahrgeräusche ggü. einem Verbrenner generell besser gedämmt, sodass ich insgesamt davon ausgehe, dass der auf den menschlichen Körper einwirkende E-Smog in einem E-Auto signifikant geringer ist, als bei einem Verbrenner bisheriger Bauart.

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  3. Günter Latz

    Hallo Herr Rother, ein sehr interessanter Artikel: Wie gefährlich ist Strahlung im E-Auto und dazu den Kommentar von Mercedes-Kunde Roland R. beruhigt das alles nicht: Ungeklärte „Phänomene“
    Ich selbst fahre seit 4 Jahren eine Zoe…und sehr früh hat mich das Thema schon angetriggert: Meine Gesundheit, mein Schrittmacher usw.
    Und alles das Sie mit Mercedes zusammen da schreiben ist nicht wirklich die entscheidende Wahrheit. Wir Menschen haben ein sehr empfindliches Nervensystem das auf alle Schwingungen reagiert u. besonders auf die feinstofflichen u. die sind wie bei Mercedes beschrieben auch gut abgeschirmt aber trotzdem sind in unterschiedlichen Fahrzeugen unterschiedliche weitere Systeme und die sind nicht abgeschirmt. Ich arbeite seit vielen Jahren in dem Bereich der Quantenmedizin die vor allem diese feinste sensorische Ebene unseres Körpers betrifft.
    So habe ich damals mit einem Hersteller von EAV Systemen und meinen Möglichkeiten Messungen mit mir vorgenommen. Angeregt von einem Test der in Österreich von einer ähnlich arbeitenden Firma mit einem Tesla durchgeführt wurde u. damit gab es dramatisch schlechte Werte für die Testperson. Die Messungen mit mir in der Zoe dagegen zeigten, dass für mich keine besondere Belastung bestand – und ich auch bei längeren Fahrten keine Probleme körperlicher Art hatte.
    Wenn Sie an dem Thema weiter interessiert sind, schreiben Sie mir eine Mail. Auch dem Roland R. könnte vllt sogar geholfen werden…
    MfG Günter Latz

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    • Franz W. Rother

      Hallo Herr Latz,
      vielen Dank für Ihre Schilderung. Ähnliches hatte ich bereits vermutet – die Sensibilität der Menschen fällt sehr unterschiedlich aus. Störungen des persönlichen Wohlbefindens wird man da nicht ausschließen können. Ich selbst habe drei Jahre lang eine Zoe bewegt – ohne, dass je ein Gefühl von Unwohlsein aufgekommen wäre.

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  4. J. R.

    #in Aluhut hilft dagegen auf jeden Fall.

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