Am Wochenende ist in Berlin die siebte Saison der Formel E und erste FIA-Weltmeisterschaft für elektrische Rennwagen zu Ende gegangen. Mit einem Sieg des Mercedes-Benz EQ-Teams und des niederländischen Fahrers Nyck de Vries. Doch wie geht es weiter mit der Rennserie? Audi und BMW sind zum Ende der Saison ausgestiegen, Mercedes könnte am Ende der nächsten Saison folgen. Dafür gibt es angeblich Interesse von Hyundai und Aston-Martin, in die Formel E einzusteigen. Auch um aus der Rennserie wie schon Jaguar, Porsche, Nissan oder DS Erkenntnisse für die Optimierung von Elektroantrieben und von vollelektrischen zu gewinnen.

Zumal in der Saison 9, also Ende nächsten Jahres, in der Formel E bereits die dritte Generation der elektrischen Rennboliden an den Start geht, mit Allradantrieb, noch mehr Antriebskraft und höheren Fahrgeschwindigkeiten. Zudem sollen Ladevorgänge während des Rennens erlaubt sein – Technologiepartner ABB hat dafür spezielle Schnellladesäulen entwickelt, die auf die Akkus der vollelektrischen Rennwagen und auf die unterschiedlichen, herausfordernden Bedingungen an den Rennstrecken abgestimmt sind. Mit einer Ladeleistung von nur 80 kW, aber mit der Möglichkeit, diese zu boosten, also kurzfristig mehr Leistung abzugeben.

Wir haben uns am Rande der Finalläufe in Berlin mit Jamie Reigle über die technischen Entwicklungen, aber auch über die Herausforderungen durch die Corona-Krise unterhalten. Der Kanadier leitet seit Herbst 2017 als Nachfolger von Alejandro Agag die Geschäfte und Geschicke der Formel E-Rennserie, die in diesem Jahr vom Motorsport-Dachverband FIA den Status einer Weltmeisterschaft erhielt.

UPDATE: Am Mittwoch, 18. August, gab Mercedes-Benz bekannt, sich am Ende der Saison 8 von der Formel E zurückzuziehen. Begründung“: „In Zukunft werden wir den technologischen Fortschritt – besonders im Hinblick auf Elektroantriebe – mit Fokus auf die Formel 1 vorantreiben.“

Jamie Reigle mit Alan McNish von Audi
Trennung unter Schmerzen und mit einem letzten Sieg
Audi-Teamchef Allan McNish im Gespräch mit Jamie Reigle. Der Autokonzern nahm in Berlin zum letzten Mal an der Formel E teil. Statt dessen wollen die Ingolstädter mit einem Hybridauto die Rallye Dakar in Saudi-Arabien bestreiten. Foto: Forml E

Herr Reigle, die Formel E-Saison Nummer Sieben ist gerade zu Ende gegangen. Es war kein einfaches Jahr, oder?

Nein, ganz und gar nicht. Nicht nur für uns, sondern für viele andere Sportevents. Denken Sie nur mal an die Fußball-EM oder die Olympischen Spiele, die ebenfalls stark unter Corona gelitten haben. Aber immerhin konnten wir im Unterschied zum Vorjahr in diesem Jahr auch hier in Berlin doch einige Tausend Besucher begrüßen – obwohl es Ende Juni noch hieß, das ginge nicht. Und wir haben trotzdem auch einige spannende Rennen erlebt und erstmals auch eine Weltmeisterschaft ausgetragen. Unter den Umständen muss man damit zufrieden sein. Und ich bin sicher: Saison 8 wird noch deutlich besser laufen.

Auch in der Außenwahrnehmung? Mein Eindruck ist, dass diese Weltmeisterschaft noch nicht die Aufmerksamkeit findet, die sie als Weltmeisterschaft verdient hätte.

Die Wahrnehmung hat sich im Laufe der Jahr schon sehr verändert, ist auch durch TV-Übertragungen deutlich gewachsen. Speziell auch in Deutschland dank der Partnerschaft mit SAT.1. Und auch über die sozialen Medien erreichen wir viele junge Leute. Das ist eine gute Geschichte. Und ähnliche gibt es in Frankreich und Italien. Und wir arbeiten weiter hart daran, um mit starken Medienpartnern die Aufmerksamkeit weiter zu steigern. Aber das Wichtigste ist natürlich, wieder größere Menschenmengen an die Rennstrecken zu locken. Aber ich bin optimistisch, dass uns das im kommenden Jahr wieder gelingen wird.

Audi und BMW haben sich nun von der Rennserie verabschiedet. Schmälert das nicht die Attraktivität der Rennserie?

Das mag sein, warten wir mal ab. Jeder Autohersteller hat seine eigenen Gründe, warum er sich an der Formel E beteiligt – oder nicht mehr. So ein Engagement muss man immer in einem größeren Zusammenhang mit dem jeweiligen Geschäftsmodell sehen. Aus meiner Sicht stehen Audi und BMW in unterschiedlichen Situationen. Wenn sich Audi Sport zurückzieht, bleibt vom Team nicht mehr viel übrig. Nach dem Rückzug von BMW bleibt immerhin noch das Andretti-Team.

BMW begründete den Rückzug damit, dass das Unternehmen aus der Elektro-Rennserie nichts mehr an Erkenntnissen ziehen könnte für die Verbesserung von Serienfahrzeugen…

Das habe ich auch gelesen. Und es hat mich ehrlich gesagt erstaunt. Ich kann mich noch gut an Äußerungen von BMW-Ingenieuren erinnern, wonach sie in der Formel wertvolles Know-how gewinnen. Egal. Unsere Aufgabe ist es, durch das Reglement eine Technologie-Roadmap zu schaffen, die für Fahrzeughersteller hilfreich und gewinnbringend ist. Aber wir machen die Rennserie nicht nur für die Autoindustrie. Und es ist sehr schwer, alle Interessen unter einen Hut zu bringen. Die einen wollen neue Technologien erproben, für andere ist es eine reine Marketingveranstaltung. Jaguar Racing hat im vergangenen Jahr die Reichweite seines i-Pace nur dank der Daten aus der Formel E und eine Verbesserung der Software um etliche Kilometer vergrößern können. Von DS und Porsche höre ich Ähnliches. Ich denke deshalb, dass die Gründe für den Ausstieg von BMW woanders liegen. Aber dazu kann ich nichts sagen.

Von Generation zu Generation haben sich die Autos verändert, sind die Freiheitsgrade für die Teams – und die Autohersteller, die dahinter stecken – größer geworden.

Allerdings. Und die Entwicklung geht ja auch weiter. In den Fahrzeugen der Generation 3, die erstmals in der Saison 2022/2023 antreten, werden die Batterie 100 Kilogramm leichter sein. Es wird einen zweiten Elektromotor an der Vorderachse geben und nochmals mehr Antriebsleistung als in der kommenden, achten Saison. Die Teams werden mehr Freiheiten erhalten, die Software weiterzuentwickeln und anzupassen. Und wir werden schnelles Laden während eines Rennens erleben.

Was bringt das schnelle Laden der Autos während eines Rennens?

Mehr Spannung. Und auch neue Erkenntnisse. Das schnelle Laden eines Elektroautos während einer Reise, sagen wir mal von Berlin nach München, ist doch immer noch für viele Leute mit einem großen Fragezeichnen versehen: Wie lange dauert so etwas? Wir können dann im Rennen demonstrieren, wie schnell ein Ladevorgang zu Ende ist. Ich denke, das könnte bei dem einen oder anderen Konsumenten schon einen Sinneswandel bewirken und die Akzeptanz von Elektroautos steigern helfen.

Ist schon geklärt, wann der Ladestopp stattfindet? Wird den Zeitpunkt jedes Team selbst bestimmen können?    

Nein, das diskutieren wir noch. Die Ladetechnik von ABB gibt uns viele Möglichkeiten an die Hand. Ich finde es spannend, wie wir damit das Format des Rennens um ein technologisches Element erweitern können, um es für die Fans noch aufregender zu machen. Man könnte darüber beispielsweise die Renndauer verlängern von 45 auf, sagen wir mal, 60 Minuten. Mit einem Ladestopp zwischendurch wie früher ein Tankstopp in der Formel 1. Oder das Rennen bekommt zwei Abschnitte mit einem Ladevorgang dazwischen, wobei in einem Teil weniger Antriebsleistung, dafür mehr Regenerationsleistung zur Verfügung steht als im anderen. Oder wir könnten noch radikaler rangehen und wie im Fußball eine einminütige Halbzeitpause einführen, in denen alle Fahrzeuge geladen werden müssen.

Formel E-Management
Ganz entspannt
CEO Jamie Reigle (rechts) zusammen mit dem Formel-E- und ExtremeE-Gründer Alejandro Agag (2.v.l.) sowie weiteren Mitgliedern des Formel-E-Managements im E-Motion-Club von Berlin. Foto: Rother

Wie in der Saison 1, als die Fahrer die Autos wechselten?

Das geschah damals, weil die in den Batterien gespeicherte Energie noch nicht für längere Strecken reichte. Diesmal würde es passieren, um das Rennen spannender zu machen. Die Antriebs- und Ladetechnik gibt uns heute viel mehr Möglichkeiten, kreativ zu sein. Aber wie gesagt: Noch ist nichts entscheiden.

Wann wird es denn entschieden?

In der nächsten Saison. Ich denke, so in sechs oder neun Monaten werden wir es mit den Teams und der FIA ausdiskutiert und eine Entscheidung getroffen haben. Sie sehen, wir werden in der Formel E auch in Zukunft eine Menge Innovationen erleben. Ohne dass die Kosten darüber außer Kontrolle geraten. Audi und BMW wird es noch leidtun, sich aus der Rennserie zurückgezogen zu haben.   

Die Antriebs- und Ladetechnik gibt uns viele Möglichkeiten, kreativ zu sein.“

Jamie Reigle, CEO Formel E

In der Generation 1 waren die Rennwagen Einheitsautos, die Module kamen von Teilelieferanten und waren für alle gleich. Inzwischen haben die Teams weitaus mehr Freiheitsgrade, können beispielsweise den Antriebsstrang, bestehend aus Motor, Getriebe und Inverter im Rahmen des Reglements selbst weiterentwickeln.

Richtig.

Geht es in der Richtung weiter? Wird vielleicht auch die Batterie, die heute noch von McLaren geliefert wird, in Zukunft von den Teams selbst gebaut werden können?

In der Geschichte des Motorsports war es immer so, dass die Teams und die Fahrzeughersteller immer mehr Geld investieren mussten, um Siege zu erringen.  Wir wollten das durchbrechen, haben uns deshalb für eine Deckelung der Kosten entschieden. Wir berechnen immer erst, was eine neue Technologie kostet. Dadurch haben die Teams immer einen klaren Kostenrahmen vor Augen. Um die Frage zur Batterie zu beantworten: Ja, das kann passieren. Aber es ist noch nicht absehbar, wann. Es entwickelt sich technisch gerade so viel: Die Batterien werden leichter, die Zellchemie verändert sich, die Energiedichte steigt ebenso wie die Ladeleistung. Das alles wird die Autos der Formel E leichter und schneller machen, wird sie weiter fahren lassen als heute. Auf alle Fälle verspricht es noch spannendere Rennen.

Die Formel E war beim Start 2014 die erste und einzige Rennserie mit Elektroautos. Inzwischen gibt es die Extreme E, die E-TCR. Auch die DTM wird 2023 elektrisch.     

Sie wollen wissen, ob mich die konkurrierenden Rennserien schmerzen?

So kann man es auch formulieren.

Dann muss ich ein wenig ausholen. Wir waren am Anfang anders als andere Rennserien, weil unsere Autos elektrische Antriebe hatten. Aber auch, weil wir in Städten und nicht auf klassischen Rennkursen fuhren. Die Extreme E ist ein fantastisches Format, aber sie findet weit außerhalb von Städten statt. Und die SUV, die da fahren, sind mit unseren Rennwagen nicht zu vergleichen. Die neuen Tourenwagen-Serien bewegen sich wiederum über Rennstrecken. Motorsport kennt viele Formen.

Formel E Jaguar
Klares Bekenntnis zur dritten Generation
Als erstes Team hat sich Jaguar Racing festgelegt: Auch in der Saison 9 werden die Briten mit ihren i-Type Rennwagen der dritten Generation an der Formel E teilnehmen – um durch Technologietransfers spätestens 2036 klimaneutral zu sein. Foto: Formula E

Und die Formel E findet auch in Zukunft in den Städten statt? Wenn die Autos stärker und schneller werden, wird es aus Sicherheitsgründen Auslaufzonen geben müssen, auch größere Abstände zwischen Piste und Tribünen.

Das müssen wir unbedingt, denn das ist eines unser Alleinstellungsmerkmale. Für uns käme es wesentlich günstiger, wenn wir mit der Serie auf eine Rennstrecke gehen würde. Aber dann wäre es nicht mehr die Formel E. Warum ist Porsche wohl in die Rennserie eingestiegen, warum ABB oder Heineken? Weil sie da sein wollten, wo ihre Fans und Kunden leben. Um ein Rennen in der Formel 1 erleben zu können, müssen diese zu den Rennstrecken rausfahren und dafür Urlaub nehmen. Wir hingegen kommen zu ihnen.

Berlin scheint mir auch wegen der politischen Verhältnisse für die Formel E ein schwieriges Pflaster, aus der Innenstadt hat sie der Senat vertrieben. Sie bleiben der Hauptstadt treu?

Berlin ist die einzige Stadt, in der wir seit Anbeginn der Formel E und ohne Unterbrechung Rennen austragen konnten – auch dank der Unterstützung durch den Senat.

Künftig könnte München als Standort der IAA ein besserer Ort sein.

Unsere Scouts sehen sich jedes Jahr neue mögliche Austragungsorte an – kommendes Jahr sind wir erstmals in Seoul in Südkorea. Aber Berlin ist über die Jahre so etwas wie die Heimat der Formel E geworden. Das alte Flughafengelände gibt uns eine Menge Flexibilität. Aber ja, wenn ein zweites Rennen in Deutschland Sinn machen könnte, in einem Land mit einer starken Autoindustrie und einer langen Motorsport-Tradition, dann könnte München eine Option sein. Schauen wir mal.    

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