In Offenbach am Main stehen acht Ladesäulen nah beieinander, die zumindest deutschlandweit derzeit einmalig sind. Denn sie versorgen Elektroautos nicht nur mit Strom. Bei Bedarf fließt auch Energie aus den Fahrzeugbatterien zurück ins Netz – allerdings nur so viel, dass die angekoppelten Autos noch ihre geplante Reststrecke absolvieren können. Umgekehrt beziehen sie günstigen Strom aus dem Netz, wenn das Wetter mitspielt, also mehr Wind- und/oder Solarstrom produziert wird, als verbraucht werden kann.

Bereitstellung von Regelenergie nennt sich das. Weil immer genauso viel Strom produziert wie verbraucht werden muss, sind Puffer nötig, die bei überschüssigem Angebot Energie aufnehmen und in Mangellagen wieder abgeben. Sie müssen jeweils sekunden-, wenigstens aber minutenschnell einspringen, um das Netz zu stabilisieren. Dafür sind derzeit in Deutschland Pumpspeicherkraftwerke, virtuelle Kraftwerke, etwa miteinander vernetzte und zentral gesteuerte private Solarbatterien, Großbatterien und vor allem Kern- und Kohlekraftwerke zuständig.

Schwankungen im Stromnetz

Letztere erfüllen ihre Aufgabe, ohne dass der Mensch eingreifen muss. Die gewaltigen Generatoren der Kraftwerke drehen sich auf Grund ihrer Massenträgheit mal ein bisschen schneller, mal ein bisschen langsamer, je nach den Anforderungen des Netzes. So produzieren sie jeweils ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger Strom, um Schwankungen im Netz auszugleichen.

Auch wenn zwei der drei letzten deutschen Kernkraftwerke wohl doch nicht, wie bisher geplant, am 31. Dezember die letzte Kilowattstunde produzieren, sondern noch eine Weile weiterlaufen werden, und angesichts der deutschen und gesamteuropäischen Energiekrise auch betagte Braun- und Steinkohlekraftwerke wieder hochgefahren werden, ist doch abzusehen, dass sie alle nur noch eine Gnadenfrist bekommen haben. Regelenergie wird also in Zukunft knapp werden. Statt des bequemen Automatismus` vergangener Tage ist dann neue Technik nötig.

Elektroautos als Strompuffer 
Künftig werden in größerem Umfang Stromspeicher erforderlich, weil Wind- und Sonnenkraftwerke im Unterschied zu Gas-, Kohle oder Atomkraftwerke nicht konstant Energie liefern. Die Batterien von E-Autos könnten dafür genutzt werden, wenn sie an der Ladesäule stehen. Dafür müssten allerdings die Ladesäulen eigens dafür präpariert werden. Grafik: Next Kraftwerke
Elektroautos als Strompuffer
Künftig werden in größerem Umfang Stromspeicher erforderlich, weil Wind- und Sonnenkraftwerke im Unterschied zu Gas-, Kohle oder Atomkraftwerke nicht konstant Energie liefern. Die Batterien von E-Autos könnten dafür genutzt werden, wenn sie an der Ladesäule stehen. Dafür müssten allerdings die Ladesäulen eigens dafür präpariert werden. Grafik: Next Kraftwerke

In Offenbach haben sich der südkoreanische Autohersteller Hyundai Motor Group, der ebenfalls südkoreanische Elektronikkonzern LG Electronics mit der Kölner Shell-Tochter Next Kraftwerke, Betreiber von virtuellen Kraftwerken, sowie dem Netzbetreiber Amprion zusammengetan, um eine dieser Zukunftstechniken zu erproben, ohne die das Netz zusammenbrechen würde. „Der notwendige und rasche Ausbau der erneuerbaren Energien geht mit einem erhöhten Bedarf an Flexibilitätspotenzialen einher“, sagt Markus Stobrawe, Leiter Energiemarkt und Systembilanz von Amprion. „Als Übertragungsnetzbetreiber sind wir sehr an neuen Wegen und Technologien interessiert, um diese Potenziale ausschöpfen zu können.“

Acht Hyundais als virtuelles Kraftwerk

Für das Projekt stellte Hyundai Motor Group acht Elektroautos des Modells Hyundai Ioniq 5 zur Verfügung, die bereits serienmäßig mit der Möglichkeit ausgestattet sind, nicht nur Strom aufzunehmen, sondern auch zu spenden – etwa einem liegengebliebenen anderen Elektroauto. Die Fahrzeuge und Ladesäulen am Standort von Hyundai Motor in Offenbach sind für die Erbringung der Sekundärregelleistung in einem so genannten Sub-Pool zusammengefasst – sie bilden also ein kleines virtuelles Kraftwerk. Diesen Sub-Pool hat Next in sein virtuelles Kraftwerk integriert.

Kohlekraftwerk Neuwerk 
Das Braunkohlekraftwerk Neurath im Rheinischen Revier ist das modernste seiner Art und ein wichtiger Lieferant von Regelenergie. Eigentlich sollte es zum Jahresende stillgelegt werden - die Energiekrise warf diesen Plan jetzt über den Haufen. Foto: RWE
Kohlekraftwerk Neuwerk
Das Braunkohlekraftwerk Neurath im Rheinischen Revier ist das modernste seiner Art und ein wichtiger Lieferant von Regelenergie. Eigentlich sollte es zum Jahresende stillgelegt werden – die Energiekrise warf diesen Plan jetzt über den Haufen. Foto: RWE

LG Electronics und Hyundai Motor Group teilen Next die verfügbare Menge an Regelenergie mit – negative bedeutet, es ist Kapazität in Form von Traktionsbatterien in den Pkw vorhanden; positive Regelenergie bedeutet, die Autobatterien können Strom ins Netz einspeisen. Next Kraftwerke stellt diese Mengen bereit und gibt sie frei, wenn Amprion Bedarf an Regelenergie hat. Für Technik und Steuerung des Sub-Pools sind LG Electronics und die Hyundai Motor Group zuständig.

Strom fließt ins Netz zurück

Um genau prognostizieren zu können, wann die Fahrzeuge an der Ladesäule stehen und damit für die Regelenergieleistung verfügbar sind, hat LG Electronics eine App entwickelt. In diese tragen Hyundai-Mitarbeiter die Zeiten ein, in denen ihre Fahrzeuge mit den bidirektionalen Ladesäulen – die sowohl Strom liefern als auch Strom aufnehmen können verbunden sind.

„Wir haben in Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern eine Fahrzeugflotte für die Sekundärregelleistung präqualifiziert, welche die technisch höchsten Anforderungen aller Regelenergieprodukte besitzt“, sagt Alexander Krautz, Head of Business Development von Next Kraftwerke. „Wir haben nachgewiesen, dass eine Regelenergieerbringung aus E-Fahrzeugen möglich ist, ohne deren Nutzbarkeit einzuschränken.“

Zukünftig sollen auf Haushaltsebene Wallboxen und Solarbatterien den Sub-Pool ergänzen. Die technische Eignung für die Präqualifikation haben Wallbox und Heimspeicher bereits nachgewiesen.

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