Es war noch Boliviens Ex-Präsident Evo Morales, der das erste in Bolivien entworfene und hergestellte Elektroauto vorstellte. Der Mini-Pkw kommt aus der Stadt Cochabamba, Hersteller ist die Firma „Industrias Quantum Motors S.A“. Der „E2“ genannte Wagen hat Platz für nur drei Passagiere, ist gerade einmal 2,50 Meter lang und nur 1,2 Meter breit. Also um einiges kleiner als ein Smart EQ (2,70 Meter lang und 1,66 Meter breit). Vor allem ist der kleine Stromer aus Bolivien deutlich langsamer: Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 45 km/h, sein Kompagnon, der „E3“, bringt es auf eine Geschwindigkeit von 60 km/h, die von einem Elektromotor mit vier Kilowatt Leistung erzeugt wird.

An Bord waren zunächst fünf Tiefzyklus-Bleibatterien mit einer Speicherkapazität von zusammen 100 Amperestunden. Diese sind inzwischen durch importierte Lithium-Ionen-Batterien ersetzt worden. Doch an der maximalen Reichweite hat sich dadurch nichts geändert: Spätestens nach 40 Kilometer muss der E2 wieder an die Steckdose. Angeboten wird der Micro-Stromer zu Preisen zwischen 5.000 bis 6.000 US-Dollar je nach Ausstattung. Das ist selbst für bolivianische Verhältnisse ein hoher Betrag: Das Durchschnittsgehalt eines Bolivianers lag 2019 unter 700 Dollar. Trotzdem konnte Quantum Motors bereits 250 Autos des Typs verkaufen – die ersten 50 waren in weniger als einer Woche verkauft.

Das ist erstaunlich. Aber um dem Autochen gerecht zu werden, darf man es auch nicht einfach allein unter technischen Gesichtspunkten betrachten. Die Wege und „Straßen“ sind in Bolivien oft marode und hohe Fahrgeschwindigkeiten deshalb ohnehin nicht möglich. Regnet es, wird die Hauptstraße sofort zur rutschigen Piste. Bis die Planierraupen kommen, legt der Verkehr dann eine Zwangspause ein. So hat es der Autor nahe des Lithiumabbaugebiets Salar de Uyuni 2019 selbst erlebt. Die geringe Reichweite des E2 relativiert sich da schnell, zumal es ein Auto für die Stadt ist.

20 Millionen Tonnen „weißes Gold“

Man muss das erste bolivianische Elektroauto vielmehr im gesamtpolitischen Kontext sehen – als Versuch, einen größeren Teil der Wertschöpfung aus dem Abbau von Lithium im eigenen Land zu behalten. Bolivien ist das Land mit den größten Lithiumvorkommen der Welt. Schätzungsweise rund 20 Millionen Tonnen des „weißen Goldes“ liegen unter der Salzwüste Salar de Uyuni. Da liegt die Idee nahe, damit auch der Mobilität im eigenen Land eine neue Wendung zu geben. Man strebe nach „wirtschaftlichen und ökologischen Lösungen durch die Bereitstellung von Elektrofahrzeugen“, heißt es dazu von Quantum Motors.

Gefährdetes Naturwunder
Blick über „Salar de Uyuni“, die Salzwüste in den bolivianischen Anden. Etwa 20 Millionen Tonnen Lithium werden unter der Oberfläche vermutet. Foto: YLB

Die Idee, mit dem Lithium den Wohlstand in dem bitterarmen Andenstaat zu heben, nahm vor zehn Jahren mit dem damaligen sozialistischen Präsidenten Evo Morales Fahrt auf. Von den Gewinnen aus dem Öl- und Gasgeschäft landeten damals nur kümmerliche 18 Prozent in der Staatskasse – 82 Prozent behielten internationale Konzerne ein. Das sollte sich bei der Ausbeutung der Lithium-Vorkommen nicht wiederholen. „Wenn wir darauf verzichten, unsere Rohstoffe zu industrialisieren, werden wir Bolivien nie verändern können.“ Morales gründete 2017 den Staatskonzern Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB), um zusammen mit internationalen Partnern die Abbaustätten den Lithium-Abbau zu betreiben. Der Bau eines bolivianischen Elektroautos war ihm deshalb ebenso wichtig wie der Aufbau eines Instituts für Lithiumtechnologie in Petosi, an dem junge Menschen an Batterietechnologien.

Umweltverträgliche Gewinnung mit Restsole

Einer der Partner von YLB war der deutsche Mittelständler ACI Systems aus dem schwäbischen Rottweil, besser gesagt deren Spin-Off ACI Systems Alemania (ACISA). Dieses schloss 2018 mit der Regierung Morales einen Vertrag über eine umweltverträgliche Produktion von hochreinem Lithiumhydroxid, direkt aus der so genannten Restsole, ohne Einsatz von Süßwasser und obendrein kostengünstig. „Die vertraglich zugesicherte Restsole“, hieß es damals in einer Pressemitteilung, „ermöglicht eine Ausbeute von rund 40.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr. Der Abraum wird auf ein Minimum reduziert. Das Projekt beansprucht nur zwei Prozent der Fläche des Salar de Uyuni.“ Die Produktion sollte Ende 2022 starten und sich über 70 Jahre hinziehen. 85 Prozent des Lithiums sollten nach Deutschland gehen, der Rest sollte an Ort und Stelle zu Hochleistungsbatterien verarbeitet werden – und unter anderem im Quantum E2 zum Einsatz kommen.

„Weißes Gold“ säckeweise
Das in den Anden gewonnene Lithiumcarbonat wird in 20 Kilo-Säcken in die ganze Welt exportiert. In Bolivien selbst bleibt nur ein kleiner Teil. Foto: YLB

Doch der Plan ging nicht auf: Nach heftigen Protesten der Opposition zog Morales das Batterie-Projekt Anfang November 2019 zurück und annullierte den Vertrag mit dem deutschen Unternehmen ohne Angaben von Gründen. Nur fünf Tage später jagte man den Politiker wegen angeblichen Wahlbetrugs vom Hof.

Deutsch-Bolivianische Kooperation ruht

Was wird nun aus dem Gemeinschaftsprojekt? Fragt man bei ACISA nach, heißt es dazu von der Sprecherin Doris Schulz: „Momentan gibt es keine Entwicklung. Da unser Konzept auf die dortige Situation maßgeschneidert ist, arbeiten wir, soweit möglich, von Deutschland aus am Projekt weiter. Wir haben bisher nicht nur finanzielle Mittel und viel Know-how, sondern auch sehr viel Engagement und Herzblut investiert. Daher ist unser Bestreben, es auch umzusetzen. Unsere Planung ist deshalb, zeitnah nach der Wahl in Bolivien mit der neuen, demokratisch gewählten Regierung des Landes Gespräche über eine Fortführung des Projektes zu führen.“

Doch wann die Neuwahlen stattfinden können, steht noch nicht fest: Wegen der Corona-Krise waren die ursprünglich für Mai geplanten Wahlen abgesagt worden. Angedacht ist nun ein Termin im August. Bis dahin liegt das Projekt auf Eis.

Was nicht heißt, dass der Abbau von Lithium zum Erliegen gekommen wäre, wie ein Besuch am Salar de Uyuni zeigt.

Schwere Schäden an der Umwelt

An einem klaren Frühsommertag wirkt der über 100 Quadratkilometer große Salzsee in den Anden auf den ersten Blick wie eine kolossale Fata Morgana. Ein Naturwunder auf über 3660 Metern Höhe, dem man allerdings mächtig zusetzt. Entlang des südlichen Randes dröhnen lautstarke Industriemaschinen. Und Hunderte von schweren Lastwagen haben mit ihren Reifen braune Linien in die riesige weiße Fläche gefräst. Sie führen raus zu großen Stahltürmen, an denen Arbeiter mit Maschinenkraft Bohrgestänge durch die Salzkruste stoßen. Die Stangen fressen sich langsam durch die darunterliegende Sole und meterdicke Schichten aus Magnesium und Kalium, bis sie das eigentliche Ziel erreichen: Lithium, die Schlüsselkomponente für den Treibstoff des 21. Jahrhunderts. Der Rohstoff ist sehr rar und macht laut den Wissenschaftlern des „U.S. Departments of Energy Office of Science“ nur 0.0007 Prozent der Erdkruste aus.

Die Förderung des Lithiums aus den südamerikanischen Böden ist entsprechend lukrativ. Lithiumkarbonat aus der chilenischen Atacama-Wüste wird pro Tonne für etwa 2.000 US-Dollar gewonnen. Im Verkauf bringt die Substanz – je nach Reinheit und Qualität – bis zu 14.000 US-Dollar. Doch das Alkalimetall wird nur in geringen Mengen an der Börse gehandelt, was den Zugang erschwert und den Nachschub für die Auto- und Elektronikindustrie begrenzt.

Und es verursacht in den vom Abbau betroffenen Regionen in Chile, Argentinien und Bolivien schwere Schäden an der Umwelt. Denn die Förderung mit konventionellen Methoden verschlingt große Wassermengen. Baut man herkömmlich ab, werden für die Herstellung von einer Tonne Lithiumsalz zwei Millionen Liter Wasser verbraucht – und dies in einer der trockensten Regionen der Welt.

Es wäre also gut für das lokale Ökosystem, wenn sich möglichst schnell der Abbau mit Hilfe der Restsole durchsetzen würde.

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