Die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG erprobt einen Erdsonden-Kältespeicher im industriellen Maßstab. Das Geothermie-Projekt „MissElly“ soll zeigen, wie „regenerative, aber volatile Umweltkanäle“ für die Industrie nutzbar gemacht werden können. Denn die Herausforderungen der Wärmewende liegen nicht nur in der Dekarbonisierung von Heizsystemen. Auch die Kühlung von Gebäuden oder Prozessen muss dekarbonisiert werden. So verursacht allein stationäre Kältetechnik in Deutschland fast 14 Prozent des gesamten Stromverbrauchs, bei wachsender Tendenz. Das Ziel des Instituts ist es daher, die Kältebereitstellung für die industrielle Nutzung zu reduzieren.
Voltavision: Schritt Richtung Klimaneutralität
Für den Praxistest kooperiert das Institut mit einem industriellen Partner. Das Unternehmen Voltavision aus Bochum stellt Prüfstandsequipment her und testet Batteriezellen und Hochvoltbatterien für Elektroautos. Auf dem Bochumer Gelände des Unternehmens baut das Fraunhofer IEG in den nächsten vier Jahren eine Pilotanlage. „Als Akteur beim Wandel zu klimafreundlicher Elektromobilität streben wir stets danach, auch selbst schnellstmöglich klimaneutral zu arbeiten“, erklärte Lore Mall, verantwortliche Projektleitung bei Voltavision.
Kälte ist während der Winter- und Übergangszeit im Überschuss vorhanden. Wird diese saisonale Kälte gespeichert, könnten Kältebedarfe ganzjährig ressourcenschonend gedeckt werden, so die grundlegende Idee des Projekts. „Wenn die Außentemperatur niedrig ist, wird schon jetzt das Kühlwasser der Anlagen über die Umgebungskälte in der Luft gekühlt“, erklärte Mall. Diese Freikühlung reiche an sehr warmen Tagen allerdings nicht aus, sodass stromintensive Kompressionskälte zum Einsatz kommen müsse.
Um den Freikühlanteil zu erhöhen, sei die Idee entstanden, vor Ort im Boden gespeicherte Kälte zu nutzen. Im Vorfeld der Planungen hatte eine Machbarkeitsanalyse des Fraunhofer IEG aufgezeigt, dass ein Erdsondenfeld als saisonaler Kältespeicher für die Industrie funktionieren kann.
Verschaltung der Sonden ist der Clou
Für die Kühlanlage werden 30 bis 40 Sonden im Abstand von höchstens zehn Metern in 100 Metern Tiefe verlegt. Eine Sole läuft als Betriebsmittel in geschlossenen Rohrschleifen im Untergrund und gibt die abzuführende Prozesswärme an die Sonden ab. Um den Kältespeicher zu regenerieren, läuft die Anlage nicht nur, wenn Prozesse gekühlt werden müssen, sondern auch, wenn die Temperaturen eigentlich tief genug sind. Zudem kühlt sich das Sondenfeld ab, wenn die Temperaturen des Untergrunds sinken. Im Sommer ist dies beispielsweise in der Nacht der Fall. So stehe den Anlagen stets genügend nachhaltige Kälte zur Verfügung, heißt es vom Fraunhofer IEG.
Der Clou der Anlage sei die Verschaltung der Sonden, erklärte Anja Hanßke, die Leiterin des Projekts und des Kompetenz-Zentrums „Wärmenetze 4.0“ am Fraunhofer IEG. Eine smarte Betriebssteuerung regle die tägliche Verschaltung der Sonden tagesaktuell, etwa parallel, seriell oder in bestimmten Zonen. Dadurch entstehe ein „dynamisch auf thermische Lasten regelbares System mit einer maximalen Leistungs- sowie Energiespeicherungsfähigkeit“, ist sich Hanßke sicher.
Der zu versorgende Gebäudekomplex von Voltavision weist im Jahresverlauf einen Kälteleistungsbedarf von bis zu 420 kW auf. Die angestrebte Leistung des saisonalen Kühlsystems beziffert das Fraunhofer-Institut im Mittel auf etwa 150 kW und in der Spitzenleistung auf bis zu 550 kW. Die Integration der Pilotanlage soll den Stromverbrauch des Unternehmensstandorts um etwa 53 Prozent auf unter 107.500 kWh pro Jahr reduzieren. In erster Linie ist die Kältespeicherung im Untergrund als Ergänzung gedacht und soll den Stromverbrauch durch herkömmlich eingesetzte Kompressionskältemaschinen (KKMs) verringern.