In der Hamburger Hafen-City wird die Zukunft gebaut: Ein ganz neues Wohn- und Geschäftsquartier entsteht. Und die Architektenteams und Bauherren scheinen darum zu wetteifern, wer die nachhaltigsten, modernsten und ungewöhnlichsten Bauvorhaben zu dem neuen Stadtviertel beiträgt. Ein besonderer Hingucker soll das achtgeschossige „we-house“ der Projektentwicklungsgesellschaft Archy Nova werden, in das Studenten- und Sozialwohnungen, Eigentumswohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen wie Coworking-Spaces einziehen sollen. Die Entwürfe zeigen dschungelartig mit Kletterpflanzen bewachsene Holzwände und mit Solarpanelen ausgestattete Fassaden aus karbonisiertem Holz, die hinauf führen zur mit einem begehbaren Wald und Gewächshäusern ausgestatteten Dachfläche. Ein autarker Wasser- und Biomasse-Kreislauf versorgt all die lebendigen Gebäudebestandteile. 

Ein blau-grünes Gebäudekonzept, so nennen das die Architekten. Und blau-grün statt grau sollen in Zukunft nicht nur einzelne Gebäude, sondern gleich ganze Städte werden. Denn in dem exotisch anmutenden Gebäudeentwurf der Hamburger stecken Lösungsansätze für ganz konkrete Probleme in Innenstädten. Eines dieser Probleme ist in den vergangenen drei Jahren besonders spürbar geworden: Durch den Klimawandel werden die Sommer in Deutschland immer heißer und trockener. Die langen Hitzephasen sorgen nicht nur für Dürre auf dem Lande, sondern auch für Hitzestau in den Städten.

Typisch deutsche Bauweise verschärft das Hitzeproblem

„Eigentlich ist unsere typisch deutsche Bauweise mit sehr massiven Beton- oder Kalksandsteinwänden schon ganz gut geeignet, um Hitze draußen zu halten“, sagt Thomas Auer. Der Ingenieur hat sich mit seinem Unternehmen Transsolar in Stuttgart und als Professor an der TU München auf klimagerechtes Bauen spezialisiert. „In der Fläche, also auf den Dörfern und in den Vorstädten, müssen wir gar nicht so viel ändern, um auch in heißen Sommern angenehm zu wohnen“, sagt er. Ein paar Rollos oder schattenspendende Markisen vor große Fensterflächen, Dachflächen besser isolieren – das dürfte für das Einfamilienhaus im Grünen reichen. „Anders sieht es in den Innenstädten aus.“

Immer angenehme Temperaturen 
Beim Hamburger we-House der Projektentwicklungsgesellschaft Archy Nova ist die Holzfassade fast schon dschungelartig bewachsen. Für Kühlung im Sommer sorgen auch Solarpanele und ein üppiger Dachgarten. Skizze: Archy Nova
Immer angenehme Temperaturen
Beim Hamburger we-House der Projektentwicklungsgesellschaft Archy Nova ist die Holzfassade fast schon dschungelartig bewachsen. Für Kühlung im Sommer sorgen auch Solarpanele und ein üppiger Dachgarten. Skizze: Archy Nova

Immer häufiger klettern die Temperaturen in den Städten so hoch, dass sie für die Bewohner gesundheitsgefährdend werden können. Zu eng bebaut, zu viel Beton, Glas und Stahl, zu viele versiegelte Flächen zwischen Häuserschluchten, so lautet, kurz gefasst, die Analyse von Stadtplanern und Klimaforschern. Die typische Bauweise von Stadtimmobilien mit hohen Gebäuden über tiefen Straßenschluchten mit dunklem Asphalt ist platzsparend und effizient, aber überhaupt nicht auf lange Hitzesommer ausgelegt – sie heizen sich enorm auf.

Klimaanlagen pumpen Wärme in die Umgebung

Der Absatz von Klimaanlagen steigt entsprechend jeden Sommer sprunghaft an. Doch die helfen nur im Haus: Weil Klimaanlagen warme Luft aus den Wohnungen heraus und in die Umgebungsluft pumpen, heizen sich die Städte am Ende nur noch mehr auf. Zusätzlich verbrauchen Klimaanlagen viel Energie und haben daher einen großen CO2-Fußabdruck. Klimaanlagen nachrüsten kann also nicht die Lösung sein, um das sommerliche Leben in Wohnungen und Büros in den Städten auf Dauer angenehmer zu machen.

Also lautet die Lösung: Blau-grün. „Städte müssen Betonflächen in Grün- und Wasserflächen umwandeln“, sagt Auer. Es braucht mehr Bäume, Sträucher, Grasflächen, mehr begrünte Fassaden und Dächer, mehr Brunnen, Seen und Teiche. Denn die kühlen ihre Umgebung auf natürliche Weise und sorgen für ein angenehmeres Stadtklima. So soll auch das We-House mit seinen Holzwänden und Grünfassaden, mit den Wasserkreisläufen und Gewächshäusern nicht einfach nur gut aussehen und den Bewohnern einen besonders angenehmen Wohnraum bieten. Es soll auch dabei helfen, das ganze Viertel im Sommer abzukühlen und für bessere Luft zu sorgen.

Treibhausgase sind schuld am Klimawandel. Ingenieure wollen deshalb CO2 aus der Luft herausfiltern – und für die Produktion von synthetischem Sprit nutzen. Auf Island haben gerade die Bauarbeiten an einer neuen Großanlage begonnen, die auch Audi zugute kommen soll. Klima

In Shanghai und Singapur, aber auch in einigen europäischen Städten wie Mailand, Rotterdam, Utrecht, Eindhoven und Paris gehören grüne Hochhäuser, Einkaufszentren oder öffentliche Gebäude schon seit einigen Jahren zum Stadtbild. „In Deutschland fangen viele Immobilienbesitzer erst seit zwei, drei Jahren an, umzudenken“, sagt Gerd Hansen, Gründer und Chef der Projektentwicklungsgesellschaft Archy Nova, die das Hamburger we-house realisieren will. „Denn bislang stand hier beim Thema Klima und Energieeffizienz eher das Thema Heizen und Wärmegewinnung im Winter im Vordergrund.“ Zwar helfen Maßnahmen wie Wärmedämmung auch im Sommer dabei, Hitze draußen zu halten. „Ob man ein Haus oder eine Wohnung im Sommer auch gut durchlüften kann oder wie man Fensterflächen gegen Sonneneinstrahlung schützt, das wird aber bei der Bauplanung oft noch nicht mit bedacht.“

Wärmepumpen können auch kühlen

Viele Häuslebauer denken etwa über Wärmepumpen nach, um im Winter kostengünstig und nachhaltig zu heizen. Dass man sich aber auch für eine sogenannte reversible Luft-Wasser-Wärmepumpe entscheiden kann, die nicht nur heizen kann, sondern auch kühlen, haben viele noch nicht auf dem Schirm. Wie solche Kühlsysteme sogar im großen Maßstab funktionieren können, das zeigt zum Beispiel der KöBogen in Düsseldorf, ein vom Star-Architekten Daniel Libeskind entworfener City-Komplex mit Handels-, Gastronomie- und Bürogebäuden. Hier sind nicht nur die Fassaden und das Dach mit „schwebenden Gärten“ bepflanzt worden. Die flexible Wärmepumpe unter dem Gebäude nutzt auch kühles Grundwasser, um sogenannte Kühldecken in dem Gebäude mit Energie zu versorgen: Das sind unter die Decke gehängte Bauelemente, die aus vielen, feinen Wasserschläuchen bestehen. Der angrenzende „Kö-Bogen II“, den die Düsseldorfer Architekten um Christoph Ingenhoven entworfen haben, setzt noch stärker auf das Prinzip blau-grün: Die gesamte Fassade und das Dach sind mit grünen Hecken bepflanzt.

Der Sommer kann kommen
 Luft-Wasser-Wärmepumpen lassen sich auch zum Kühlen von Wohnräumen nutzen. Einige besitzen bereits serienmäßig über eine integrierte Kühloption - und ziehen bei Bedarf die warme Luft aus dem Gebäude heraus. Foto: Rotex
Der Sommer kann kommen
Luft-Wasser-Wärmepumpen lassen sich auch zum Kühlen von Wohnräumen nutzen. Einige besitzen bereits serienmäßig über eine integrierte Kühloption – und ziehen bei Bedarf die warme Luft aus dem Gebäude heraus. Foto: Rotex

Wenn das Leben in den Städten künftig auch im Sommer noch angenehm sein soll, dann müssen solche blau-grünen Bauelemente von der Ausnahme zur Regel werden, sagt Klimaingenieur Auer. „Für Neubauten im Nicht-Wohnungsbereich sind nachhaltige Kühlsysteme inzwischen vorgeschrieben“, sagt er. Einige Städte experimentieren zudem bereits mit einer Gründachpflicht für Neubauten, darunter Bremen, Dortmund und Bottrop. „Mindestens genauso wichtig wie der Neubau sind aber die Bestandsgebäude“, sagt Auer.

Smarte Steuerungen mit Klimasensoren

Im Bestand können auch schon kleinere bauliche Veränderungen helfen, erklärt er. Zum Beispiel neue Fenster: Derzeit sind große Fensterflächen modern. Die allerdings absorbieren besonders viel Wärmestrahlung und leiten sie in die Wohnungen und Büros weiter. Dagegen hilft, die Fensterflächen ein Stück weiter nach hinten zu setzen – und sie mit außenliegenden Rollos und Jalousien oder mit vorragenden Gebäudeteilen wie Balkonen zu beschatten. Auch Dreifachverglasung und Scheiben, die sich automatisch selbst verdunkeln, haben Fensterhersteller im Angebot. Fenster sollten außerdem so gestaltet sein, dass sie sich in den kühleren Nachtstunden möglichst vollständig öffnen lassen, um die Nachtluft zum Kühlen der Gebäudemasse zu nutzen.

Smarte digitale Steuerungselemente können helfen, das beste aus baulichen Gegebenheiten zu machen: Mithilfe von Klima-, UV- und Temperatursensoren sorgen sie etwa dafür, dass Rollladen und Markisen genau im richtigen Moment aus- und einfahren oder dass sich Fenster in der Nacht automatisch zum Lüften öffnen. „Auch moderne Deckenventilatoren, die sich über Apps steuern lassen, setzen wir zur Zeit gerne ein“, sagt Auer. Dabei können die Ventilatoren so gesteuert werden, dass sie gerade in Altbauten mit hohen Räumen einen Hitzestau unter den Decken vermeiden.

Elektronische Hilfsmittel sind Energiefresser

Wem nächtlich geöffnete Fenster in der Stadt zu heikel sind, der kann auch spezielle Lüftungsschlitze und -klappen installieren, die sich ebenfalls automatisiert steuern lassen. Allerdings, gibt Bauplanungs-Experte Hansen zu bedenken, „sind alle elektronischen Hilfsmittel letztlich auch Energiefresser.“ Mittelfristig aber müsse es mit Blick auf den Klimaschutz darum gehen, den Energieverbrauch in Immobilien so weit wie möglich zu senken – oder ihn durch regenerative Energien zu decken, die im Haus selbst generiert werden, etwa durch Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Fassaden.

Entscheidend ist, dass alle an einem Strang ziehen – Stadtplaner, Gesetzgeber und Immobilienbesitzer und -nutzer. Schließlich hilft es wenig, wenn einzelne Gebäude ergrünen,  während das umliegende Stadtviertel eine hitzeflirrende Betonwüste bleibt. Oder wenn das Haus mit allen Schikanen zur Klimatisierung ausgestattet wird – aber die Besitzer statt  hitzeresistenten Bäumen, Gräsern und Sträuchern bloß  triste Steingärten anlegen.

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