Corona sorgt immerhin für eine kleine Atempause in der Klimakrise. Im ersten Halbjahr 2020 wurden weltweit mehr als eine Milliarde Tonnen weniger CO2 in die Atmosphäre gepustet als im Vorjahreszeitraum, ergab eine internationale Studie, an der unter anderem Forscher des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung beteiligt waren. Lockdown und Homeoffice haben in vielen Ländern dafür gesorgt, dass weniger gefahren, geflogen und produziert wurde. Deutschland konnte dadurch immerhin sein Klimaziel für 2020 erreichen.

Doch das wird nicht reichen. Nach dem Pariser Klimaabkommen müssen die globalen Emissionen bis 2030 jedes Jahr zwischen drei und acht
Prozent sinken, um die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad zu
begrenzen. „Das Wichtigste bleibt, CO2-Emissionen zu vermeiden“, sagt
Felix Creutzig. Der 41-jährige Physiker aus Berlin hat am Sachstandsbericht des Weltklimarats mitgeschrieben. Alternativ könne man auch versuchen, das Treibhausgas wieder aus der Luft zu holen. „Dafür brauchen wir möglicherweise auch CCS-basierte Technologien.“

CCS? Die drei Buchstaben stehen für Carbon Capture and Storage. Zu
Deutsch: für das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid. Theoretisch und technisch ist das kein Problem, das haben bereits viele Projekte an Kraftwerken gezeigt. Die Betreiber fingen das Gas direkt am Schornstein ein, wuschen es beispielsweise chemisch aus – und pressten es dann in die Erde. Doch der Prozess braucht Energie, senkt damit den Wirkungsgrad von Kraftwerken und steigert deren Kosten. Viele Menschen fürchten zudem, das hochkonzentrierte Gas könnte das Grundwasser verseuchen oder Erdbeben auslösen, wenn es in die Erde gepresst wird. Pläne für ein CCS-Pilotprojekt in Deutschland wurden deshalb 2011 auf Eis gelegt.

Kollektor fängt CO2-Moleküle

Doch aus der Welt ist das Verfahren noch nicht: Im schweizerischen
Hinwil sowie in Hellisheidi im Südwesten Islands stehen Anlagen, die
Hoffnung machen, eines der drängendsten Probleme unserer Zeit ingenieurstechnisch lösen zu können. Durch „Direct Air Capture“, also das
Einfangen von CO2 aus der Luft. Seit 2009 arbeiten Christoph Gebald und Jan Wurzbacher mit ihrem Unternehmen Climeworks daran. „Auf die Idee hat uns unser Doktorvater gebracht“, erzählt Gebald. Der heißt Aldo Steinfeld und war einst Professor der beiden Deutschen an der ETH Zürich. Mit seinen Studenten diskutierte er Verfahren, um das bei der Verbrennung von fossilen Kraftstoffen entstehende CO₂ einzufangen und nutzbar zu machen. Die Idee ließ die beiden nicht mehr los.

„Das Wichtigste für das Klima bleibt, CO2 zu vermeiden“
Die beiden Climeworks-Gründer Christoph Gebald (l.) und Jan Wurzbacher vor den Kollektoren ihrer Anlage im Schweizer Hinwil. Foto: Julia Dunlop/Climeworks

„Wir haben daraus ein Verfahren entwickelt, das so effizient arbeitet,
dass es sich rechnet“, sagt Gebald. Der Clou des Verfahrens ist ein
Filtersystem auf Zellulose-Basis. Wie ein Schwamm nimmt der kleinwagen-große Kollektor CO2-Moleküle mithilfe eines Ventilators aus der Umgebungsluft auf, bis er gesättigt ist. In der zweiten Phase des Prozesses wird der Filter unter Vakuum gesetzt und auf 100 Grad erhitzt – die nötige Energie liefert in Hinwil die Müllverbrennungsanlage, in Island ein geothermisches Kraftwerk. Die nur lose anhaftenden CO2-Moleküle lösen sich dabei vom Filtermaterial und werden dann mit Unterdruck aus dem Kollektor gesaugt. Über eine kleine Pipeline werden sie in Hinwil zu einem nahegelegenen Gewächshaus geleitet.

Pro Jahr kann diese Climeworks-Anlage mithilfe von 18 Kollektoren etwa 900 Tonnen CO2 aus der Umgebungsluft einfangen. In Island machen sich die Ingenieure hingegen eine chemische Eigenheit von CO2 zunutze: Es reagiert mit Mineralien. So geht es innerhalb von zwei Jahren mit Vulkangestein in 2000 Metern Tiefe eine feste Bindung ein. Climeworks ist dazu vor drei Jahren mit den isländischen Unternehmen CarbFix und On Power eine Kooperation eingegangen.

„Orca“ in Island jagt auch für Audi

Eine erste Pilotanlage namens „Arctic Fox“, die in der Nachbarschaft des geothermischen Kraftwerks Hellisheidi auf Island errichtet wurde, arbeitet bereits und macht im Jahr etwa 50 Tonnen des Klimagases unschädlich. Eine deutlich größere Anlage soll im kommenden Frühjahr den Betrieb aufnehmen und dann jährlich 4000 Tonnen CO2 in Stein verwandeln – die Bauarbeiten dazu in diesen Tagen begonnen. “Der Beginn des Baus von Orca ist ein wichtiger Meilenstein für Climeworks und ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Klimawandel“, freut sich Firmengründer Gebald. „Climeworks‘ neue Anlage Orca zeigt, dass eine skalierbare und reine Carbon Dioxide Removal-Technologie mit Direct Air Capture möglich ist – und wir freuen uns, dass wir beim Vorantreiben der Carbon Dioxide Removal-Industrie eine wichtige Rolle spielen.“ 1000 Tonnen CO2 wird „Orca“ übrigens für Climeworks-Partner Audi vertilgen. Um diese Menge auf natürlichem Wege zu binden, müsste man 80 000 Bäume anpflanzen.

Geothermisches Kraftwerks Hellisheidi auf Island
Seit 2012 wurden hier bereits mithilfe der Pilotanlage Arctic Fox rund 200 Tonnen CO2 in die unterirdischen Basalte verpresst. Foto: Arni Saeberg/CarbFix

Gebald ist begeistert: Mit weiteren Anlagen könne er „jährlich zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid mineralisieren. Das weltweite Potenzial ist gigantisch, es könnte bei 2000 Gigatonnen liegen“. Allerdings ist das Verfahren noch sehr teuer. Die Climeworks-Anlagen arbeiten derzeit zu Kosten von rund 600 US-Dollar pro Tonne. Aber seit US-Präsident Donald Trump der Industrie einen Zuschuss von rund 50 US-Dollar versprach für jede Tonne CO2, die sie wieder unter die Erde bringt (und 35 Dollar für anderweitige Verwendungen), liefern sich Anbieter aus aller Welt ein Wettrennen, um die Prozesse möglichst schnell effizienter und kosten-günstiger zu machen.

E-Fuel als Nebenprodukt

Bei Climeworks arbeiten Teams schon an den Kollektoren der nächsten und übernächsten Generation. Aber die magische Grenze von 100 Dollar pro Tonne werde man wohl erst „in fünf bis zehn Jahren“ erreichen, so Gebald. Wettbewerber Global Thermostat aus USA gibt an, CO2 heute bereits für 150 US-Dollar pro Tonne einfangen zu können. Und längst sind noch nicht alle
Potenziale ausgeschöpft, das aus der Luft gefilterte CO2 kommerziell zu nutzen. Nicht nur im Gewächshaus oder als Kohlensäure in Softdrinks.

Climeworks liefert derzeit CO2 für drei Forschungsprojekte – unter anderem von Audi – zu synthetischen Kraftstoffen: Die Diskussionen mit Doktorvater Steinfeld sind nicht vergessen.


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1 Kommentar

  1. Christian Bläul

    Das wichtigste steht in der Bildunterschrift: „Das Wichtigste für das Klima bleibt, CO₂ zu vermeiden“.

    Die im Artikel genannten CO₂-Mengen absolut winzig. Durchschnittsdeutsche produzieren 9 Tonnen CO₂ pro Jahr – wir reden also selbst bei der „deutlich größeren“ Anlage von einem Dorf oder einer sehr, sehr kleinen Nachbarschaft. CCS ist nur für die sonst nur extrem schwer und teuer vermeidbaren Emissionen sinnvoll.

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