■ Über 500 Kilometer Seekabel durch die Nordsee verlegt
■ Fast zwei Milliarden Euro investiert, fünf Jahre Bauzeit
Windstille in Deutschland, dunkle Wolken treiben vor der Sonne: die Flügel der Windkraftanlagen, Sonnenkollektoren können kaum Strom liefern – die erneuerbaren Energiequellen schwanken. „Dunkelflaute“ nennen Experten diesen Zustand.
Ausgleich dafür kommt seit Ende März aus Norwegen. Über die 623 Kilometer lange Leitung NordLink wird Strom aus Wasserkraft in das deutsche Stromnetz eingespeist. Zwischen den Konverterstationen in Tonstad/Südwestnorwegen und in Nortorf bei Wilster/Schleswig-Holstein verläuft die Gleichstromtrasse NordLink. 516 Kilometer sind reines Seekabel zwischen dem Vollesfjord in Norwegen und dem Deich in Büsum. Onshore kommen hinzu 54 Kilometer Erdkabel von Büsum bis Nortorf in der Wilstermarsch sowie 53 Kilometer Freileitung zwischen dem Vollesfjord und Tonstad, einer rund 2.000 Einwohner zählenden Gemeinde am Sirdalssee.
Norwegische Wasserkraft trifft deutsche Windenergie
Dort sind die jeweiligen Konverterstationen, in denen der Strom von Gleich- in Drehstrom (und umgekehrt, je nach Fließrichtung) umgewandelt und dann in das deutsche oder ins norwegische Drehstrom-Übertragungsnetz eingespeist wird. Für die Umstellung der Fließrichtung wird etwa eine Stunde veranschlagt. Gleichstrom wird wegen der Übertragungslänge und hohen Leistung (1.400 MW) zum verlustarmen Stromtransport verwendet.
„Die Verbindung der norwegischen Wasserkraft mit der deutschen Windenergie bietet Vorteile für beide Länder“, erläutert Markus Nalepinski, der NordLink-Projektdirektor. „Wenn beispielsweise in Deutschland ein Überschuss an Windenergie erzeugt wird, kann dieser über NordLink nach Norwegen übertragen werden. Das gilt vor allem im Winter, wenn die Verbraucher in Norwegen viel Strom für Licht und Wärme benötigen, aber auch in norwegischen Trockenphasen. Die Wasserspeicher in Norwegen dienen dann als ‚natürliche Speicher‘ für die Windenergie, indem das Wasser in den Speichern verbleibt. Umgekehrt kann Deutschland bei hohem Bedarf grüne Energie aus Wasserkraft aus Norwegen importieren.“
Das zeigte sich bereits in der Probephase von NordLink zwischen Anfang Dezember 2020 und Ende März: In diesem Zeitraum wurde der Strom zu etwa 25 bis 30 Prozent von Deutschland ins winterkalte Norwegen exportiert. Doch in der Regel wird es wohl umgekehrt sein: Grüner Strom aus Wasserkraft in Norwegen wird hierzulande Versorgungsengpässe abfedern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne sich rar macht – und gerade kein Gas- oder Atomkraftwerk Strom liefern kann.
„Klimawandel gemeinsam bekämpfen“
Die Quelle dieser erneuerbaren Energie sind mehrere Seen in der rauen Gebirgslandschaft Südwestnorwegens mit dem Sira-Kvina-Wasserkraftwerk bei Tonstad, das in den 1960er Jahren gebaut wurde und die größte Anlage unter über zehn weiteren Kraftwerken in der Region ist. Die vier Turbinen der Sira-Kvina-Anlage leisten insgesamt 3,9 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Damit gilt Sira-Kvina als das bedeutendste Wasserkraftwerk in ganz Norwegen.
„Von deutschen Politikern, Wirtschaftsvertretern wie auch anderen Bürgern werde ich immer wieder auf den hohen Anteil an Wasserkraft bei der Stromerzeugung und natürlich die vielen Elektroautos in Norwegen angesprochen. Den Klimawandel können wir nur alle gemeinsam in einem internationalen Kraftakt bekämpfen. Wir sind stolz und froh, dass zwischen Deutschland und Norwegen nun eine der längsten Seekabelverbindungen der Welt geknüpft worden ist. NordLink trägt durch den Austausch von grünem Strom zwischen den Ländern dazu bei, die Energiewende voranzubringen,“ so Norwegens Botschafter Petter Ølberg in einem Statement gegenüber EDISON.
Deutsche Verbraucher sollen nach den Ideen der NordLink-Macher neben dem wichtigen Faktor Versorgungssicherheit vom Import des grünen Stroms auch finanziell profitieren: Herrscht in Deutschland Dunkelflaute, ist das Angebot niedrig und sind die Preise hoch, soll Strom aus Norwegen nach Deutschland fließen. Sind die Strompreise am Spotmarkt hierzulande niedrig, wird Strom nach Norwegen geleitet.
Ob das kommen wird bleibt jedoch abzuwarten, da der Handel an den Strombörsen die Preise bestimmt. NordLink-Mitbetreiber TenneT, einer der führenden europäischen Übertragungsnetzbetreiber, wertet täglich die Bewegungen an den Strombörsen aus und kann über seine Schaltzentrale in Lehrte bei Hannover den Stromfluss im NordLink-Kabel entsprechend steuern.
Gegenwind für norwegische Windkraftwerke
Für Norwegen hat die Stromlieferung noch einen anderen Aspekt: Dort wird immer heftiger über die Errichtung von Windkraftparks selbst in der Landschaftsidylle abgelegener Regionen gestritten. So betreiben die Stadtwerke München beispielsweise mehrere Anlagen in einem Windpark rund 100 Kilometer nördlich von Oslo. Dort sind auf dem 705 Meter hohen Kjølberget zwischen Elverum und Schweden 13 Windkraftanlagen vorgesehen, die 220 Meter in den Himmel ragen werden. Zum Vergleich: die Kölner Domtürme bringen es nur auf 157 Meter. 14 weitere Windkrafträder der Münchner stehen auf der Insel Frøya, etwa 90 km westlich von Trondheim. Strom aus Deutschland – ausgerechnet von Windkraftanlagen – könnte dieser Auseinandersetzung neue Impulse geben.
Für die Stromautobahn NordLink wurden das staatliche norwegische Unternehmen Statnett und die deutsche DC Nordseekabel GmbH & Co. KG zu Partnern. An diesem Unternehmen sind der Übertragungsnetzbetreiber TenneT (Bayreuth) und die KfW-Bank (Frankfurt/Main) zu jeweils 50 Prozent beteiligt. Die Gesamtkosten für NordLink liegen bei fast zwei Milliarden Euro.
Rund fünf Jahre lang wurde ab September 2016 an NordLink gebaut, nach vorausgegangenen fünf Jahren der Planungs- und Genehmigungsphase durch Landes- und Bundesbehörden. Herausfordernd für die Bauleute war dabei die Verlegung des Seekabels im streng geschützten UNESCO-Weltnaturerbe/Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.
„Da zur Installation der Kabel im Wattenmeer Schiffe mit sehr geringem Tiefgang benötigt wurden, war man auf längere Perioden mit geringem Wellengang und wenig Wind angewiesen. Wenn sich die Wetterlage kurzfristig verschlechterte, musste man die Kabelverlegung entweder aussetzen oder durch einen Schnitt des Kabels komplett unterbrechen“, erläutert NordLink-Projektdirektor Nalepinski.
Kernkraftwerk Brokdorf in Sichtweite
Davon wird am 27. Mai bei der offiziellen Inbetriebnahme von NordLink kaum die Rede sein: Pandemiebedingt digital, statt vor Ort in der Konverterstation Nortorf, sollen sich von deutscher Seite Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther zusammenschalten mit Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg, der Wirtschaftsministerin Tina Bru, den ManagerInnen der beteiligten Partnerunternehmen und NordLink als wegweisendes Projekt europäischer Zusammenarbeit im Energiesektor würdigen.
Beispielhaft für die Energiewende wird damit in der schleswig-holsteinischen Wilstermarsch ein neues Kapitel aufgeschlagen – und ein altes beendet: Nur wenige Kilometer weiter wird das Kernkraftwerk Brokdorf am Jahresende 2021 vom Netz gehen, stillgelegt und voraussichtlich über 15 Jahre zurückgebaut.
Brokdorf hatte 1986 den Betrieb mit 1.480 MW Bruttoleistung aufgenommen und ist eines der leistungsstärksten Kernkraftwerke hierzulande. Während der Bauzeit ab 1976 hatte die Anlage die heftigsten Proteste von Atomkraftgegnern in Deutschland mit über 100.000 Teilnehmern ausgelöst.
Der 27. Mai 2021 wird in Nortorf denn wohl so vergehen wie viele andere Tage, ruhig und beschaulich: Rotbunte Milchkühe grasen auf sattgrünen Weiden, von der nahen Elbe fegt frischer Nordwestwind über die platte Marschlandschaft. An der Bushaltestelle stehen ein paar Pendler und ärgern sich übers Abgehängt sein auf dem Dorf, bis der 6602er nach Wilster heranrollt.