Noch in den 1950er-Jahren gab es den saftigen Braten nur am Sonntag, Wurstwaren kamen selten aufs Brot. Heute löst Fleisch – in Massen produziert und verzehrt – gesundheitliche und ökologische Probleme aus. Zum hohen Flächenverbrauch kommt die enorme Umweltbelastung durch Pestizide und Fungizide, die man für das pflanzliche Futter der Tiere auf die Ackerflächen versprüht. 70 Prozent der in den USA jährlich verbrauchten Antibiotika gehen in die „Beef“-Produktion, damit die Tiere das bleiben, was die Bauern gesund nennen.
Gut 15.000 Liter Wasser sind nötig, um ein Kilo Rindfleisch herzustellen. Der Zeitgeist verlangt jedoch nach reiner Nahrung, biologisch angebaut. Was tun?
Jetzt kommen alternative Proteinlieferanten wie In-Vitro-Fleisch ins Spiel. Die Firma „Memphis Meats“ präsentierte schon 2016 den ersten eigenen Burger, will mittlerweile auch künstliches Enten- und Hähnchenfleisch in petto zu haben. Derzeit suchen die US-Amerikaner aber immer noch Investoren.
Auch „Mosa Meat“ in den Niederlanden (hier kann man ebenfalls noch investieren) und die israelische Firma „Supermeat“ (Anfang des Jahres drei Millionen US-Dollar eingesammelt) arbeiten an Fleisch ohne Schlachtung – das auch noch besonders günstig werden soll.
Unser aller Kunstfleisch
Schon vor vier Jahren gelang es Forschern, wertvolles Rindfleisch aus Stammzellen zu züchten. Im Muskelgewebe finden sich Stammzellen, die Schäden am Muskel reparieren. In Brutkästen wachsen und vermehren sich jene Zellen in einem Nährmedium, gewonnen aus dem Blut ungeborener Kälber.
Im zweiten Schritt reifen die Zellen in einem Gel-Medium zu Minimuskeln. Damit die heranwachsen können, wird das Gewebe mit elektrischen Impulsen oder mechanisch stimuliert. Neben den Kosten scheint auch die industrielle Produktion die Crux zu sein. Vielleicht sehen wir also die ersten künstlichen Rinderfilets eher im Gourmet-Tempel – und erst viel später beim Discounter.
Vorurteile: Ist das lecker?
Eine weitere Frage bleibt spannend: Überwiegen die Vorteile beim Fleisch aus der Retorte – oder die Nachteile?
Andrzej Pazgan von der Tierschutzorganisation Peta erklärt: „Wir sehen die Produktion von ‚kultiviertem‘ Fleisch als eine sinnvolle Entwicklung. Obwohl der Fleischkonsum bei uns rückläufig ist, gilt Fleisch für viele Menschen immer noch als wichtiger Bestandteil der Ernährung. Die Möglichkeit, Fleisch ohne die desaströsen Auswirkungen für die Tiere zu produzieren, schafft die Voraussetzungen für eine nachhaltige Zukunft.“
In Fleisch aus Mastanlagen seien immer wieder Rückstände von Antibiotika und Belastungen mit multiresistenten Keimen festgestellt worden. Kultiviertes Fleisch werde in einem kontrollierten Umfeld hergestellt – und diese Problematik voraussichtlich nicht gegeben sein.
Wissenschaftler der „Oxford University“ berechneten schon vor sieben Jahren, wie stark Fleisch aus dem Labor die Umweltbelastungen senkt. Ergebnis: Je nach Tierart benötigt die Herstellung des alternativen Fleisches bis zu 45 Prozent weniger Energie und bis zu 96 Prozent weniger Wasser. Treibhausgas-Emissionen werden sehr deutlich auf vier, die erforderliche Nutzfläche auf nur noch ein Prozent reduziert, wenn man als Vergleich die bisherige landwirtschaftliche Tierhaltung zugrunde legt.
Auch weniger Regenwald fällt den Kettensägen zum Opfer, weil weniger Flächen benötigt werden. Die Rodung des wertvollen Habitats, das heute zu Weiden umfunktioniert wird, entfällt. Dennoch benötigt das Kunstfleisch in der Produktion Strom. Baut man dafür neue Kraftwerke, die durch ihre Emissionen die Umwelt schädigen? Es scheint so, als ob die Vorteile überwiegen. Pazgan: „Das Fleisch wird ohne das enorme Tierleid in den Mast- und Zuchtanlagen, Transport und bei der Schlachtung hergestellt. Das Verfahren – sobald es etabliert ist – kann potenziell das Leben von Milliarden von Tieren retten.“
Fleisch ohne Fleisch
Einen ganz anderen Weg zum künstlichen Fleisch geht man auch bei den Kaliforniern von Impossible Foods. Das Unternehmen setzt auf pflanzliche Burger, die aber im Gegensatz zu den Soja-Produkten, die es heute schon im Supermarkt gibt, auf einen speziellen Geschmackscocktail setzen.
„Wir essen Fleisch, seit wir in Höhlen leben, doch die Verwendung von Tieren zur Herstellung ist eine prähistorische und zerstörerische Technologie. Unser Weg ist es, Fleisch aus Pflanzen herzustellen, sodass wir nie wieder Tiere verwenden müssen“, heißt es vom Unternehmen.
Stattdessen besteht der Burger aus Weizenprotein und Kartoffelprotein, die das fleischige Kauen liefern. Dazu kommen Kokosnussöl und ein Schuss Soja. Und Xanthan. Fraglich bleibt, ob die Verbraucher jene neuen Produkte schätzen. Vielleicht wäre es auch eine Lösung, den eigenen Fleischkonsum zu minimieren. Doch immer mehr Menschen schaffen den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg in die Mittelschicht. So gilt es in Indien oder Chile als Zeichen des eigenen Erfolgs, zur Mittagspause bei Fastfood-Bratern einzukehren. So lange kein echtes Umdenken beginnt, liegt die Zukunft dann vielleicht doch – im Fleisch aus der Retorte.