Langsam gleiten die weißen Riesen an der kanadischen Insel Fogo Island vorüber – Eisberge auf ihrer Reise von Grönland. „Vier Jahre sind sie nach Süden unterwegs, von April bis Juni kommen die meisten zu uns“, erläutert Clemens Dywer. Der pensionierte Lehrer gehört zur Gruppe von zwölf sogenannten Commmunity Hosts. Als Fremdenführer leiten sie Touristen über die gerade mal 25 Kilometer breite und 14 Kilometer lange Insel mit ihren 2500 Einwohnern. Das Eiland liegt selbst für kanadische Verhältnisse ziemlich am Ende der Welt – irgendwo im Nirgendwo am Rand des Nordatlantiks.
Noch bis in die 1960er Jahre lebten dort 6000 Menschen. Die Nachfahren englischer und irischer Einwanderer verdienten ihr Geld mit dem Kabeljaufang. Fisch schwamm reichlich im Meer vor Neufundland, doch dann war die See leer gefischt. Immer mehr Familien waren auf Sozialhilfe angewiesen, die Menschen auf Fogo verarmten. Von der Regierung gab es Umsiedlungsprämien. Wer konnte, der gab seine Heimat auf.
Auch die Fischerfamilie Cobb mit ihren sieben Kindern zog weg aus dem Dorf mit dem Namen Joe Batt’s Arm. Nach acht Generationen war für die Cobbs Schluss auf der Insel. Am 10. Juli 1975 vernagelte Vater Cobb das Haus. Die Familie suchte in der kanadischen Provinz Ontario ihr neues Lebensglück.
Die Topmanagerin auf der Fischerinsel
Lebensglück – ein treffendes Stichwort für die damals 16 Jahre alte Tochter der Cobbs. Zita Cobb studiert Wirtschaftswissenschaften, macht Karriere in der Ölindustrie, wird 1999 Finanzvorstand des Glasfaseroptikunternehmens JDS Fitel und gilt 2000 als eine der drei bestbezahlten Topmanagerinnen Nordamerikas. Im Jahr darauf, im Alter von 43, löst sie ihren Vertrag auf. Sie lässt sich ihre Aktienoptionen von weit mehr als 50 Millionen Dollar auszahlen und segelt ein Jahr lang rund um die Welt. Dann folgt sie dem Ruf ihrer Heimatinsel und kehrt zurück, um den Menschen auf Fogo Island zu helfen.
Zita Cobbs Idee: Schaffung von neuen Arbeitsplätzen jenseits der traditionellen Fischerei. „Nur auf diese Weise kann die weitere Abwanderung der 2500 Bewohner gestoppt und damit die wirtschaftliche und kulturelle Verödung aufgehalten werden“, sagt sie. Ihre Lösung für Fogo verbindet Natur und Kultur der Insel miteinander: „Beides muss bewahrt werden durch verantwortungsbewusstes Unternehmertum.“ Schritt für Schritt geht die Heimkehrerin vor: Zunächst gründet sie mit ihrem Bruder Anthony und Bewohnern der Insel die gemeinnützige Shorefast-Stiftung, die Kleinkredite an Existenzgründer auf Fogo vergibt. „Damit folgen wir dem Konzept des bengalischen Wirtschaftswissenschaftlers Muhammad Yunus, der für seine Idee der Mikrokredite im Jahr 2006 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde“, sagt Cobb.
Weißes Luxushotel thront über den Holzhütten
Das wichtigste Kapitel in Fogos Erfolgsstory beginnt jedoch mit dem Luxushotel Fogo Island Inn, das im Frühjahr 2013 eröffnet wurde. Wie ein weißes UFO schwebt die minimalistische Holz- und Stahlkonstruktion über den Felsen am Rand des Fischerdorfes Joe Batt’s Arm. Geplant vom kanadisch-norwegischen Architekten Todd Saunders wirkt das Hotel auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper. Doch wer länger hinschaut bemerkt die Anlehnung des Neubaus an die althergebrachte, heimische Bauweise – ein Teil des Gebäudes steht wie Fogos bunte Fischerhütten auf Stelzen.
In den Jahren 2006 und 2007 präsentierte Heimkehrerin Cobb ihre Idee des Luxushotels erstmals den Inselleuten. Die reagieren zunächst skeptisch: Würden überhaupt Touristen den Weg auf die Insel finden, wo nur Natur ist und sonst nichts? Wo im Jahr 1965 das erste Auto über die felsigen Pisten rumpelte? Wohin auch heute nur sieben Mal am Tag ein Fährschiff verkehrt, von dem winzigen Hafen mit dem bezeichnenden Namen Farewell aus, was man auch locker mit „…und Tschüss“ übersetzen könnte?
Neue Jobs für die Inselbewohner
Doch dann wird gebaut, und zwar mit Beteiligung der Insulaner. Hunderte finden während der Bauperiode Arbeit – als Schreiner und Schlosser etwa. Zita Cobb lässt Designer auf die Insel kommen. Sie schauen sich auf der Insel um, besprechen die Entwürfe für Tischwäsche, Tagesdecken, Kissen und Bettvorleger des Hotels, ja selbst die Anhänger für die Zimmerschlüssel. Vieles wird dann von den Bewohnern in Heimarbeit gefertigt.
In der neuen, örtlichen Schreinerei entsteht anfangs das Hotelmobiliar für das Hotel, inzwischen nimmt der kleine Betrieb Aufträge aus aller Welt an. Architekt Kingman Brewster siedelte von New York nach Fogo über, wollte eigentlich nur ein paar Monate auf der Insel arbeiten – und blieb. Mit einem Team von acht Männern baut er Designmöbel: „Gerade haben wir einen Auftrag von der kanadischen Botschaft in Brüssel: Sie haben bei uns Stühle und Tische für den Speisesalon bestellt.“
Abgesehen vom Hotel belebt Cobb die Insel mit Künstlern. Architekt Saunders baut vier futuristische Ateliers in die karge Landschaft. Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Fotografen können dort mit Unterstützung der Shorefast-Stiftung einige Wochen lang arbeiten. „Zeitgenössische Kunst hat für Zita einen wichtigen Platz“, sagt Nicolaus Schafhausen. Der gebürtige Düsseldorfer ist Direktor der Kunsthalle Wien und kommt mehrmals im Jahr nach Fogo, um die Bewerbungen der Kreativen für das Sommerstipendium zu sichten: „Jedes Jahr erreichen uns hunderte Bewerbungen aus aller Welt.“
Heute kommen Besucher aus der ganzen Welt
Und das Fünf-Sterne-Luxushotel Fogo Island Inn in der Einsamkeit der kanadischen Provinz Neufundland-Labrador? Die 29 lichtdurchfluteten Zimmer und Suiten sind gefragt – die meisten Gäste reisen für zwei, drei Tage in die Einsamkeit von Fogo, mittlerweile auch aus Deutschland. Ein Luxushotel, das so ganz anders ist: Es gibt keine einheitliche Arbeitskleidung, kein dienerndes Personal – der Fremde fühlt sich wie ein Freund, herzlich aufgenommen in einer großen Inselfamilie.
Ab etwa 1250 Euro gibt es ein Doppelzimmer pro Nacht: Drei-Gänge-Menüs am Mittag und Abend auf Sterne-Niveau, Softdrinks, Shuttleservice und die Inseltour mit Einheimischen wie Clemens Dwyer sind im Preis enthalten. Und der Blick vom Hotelbett auf die nahen und doch so unwirklich erscheinenden Eisberge – er ist ohnehin unbezahlbar.
100 direkte und dauerhafte Arbeitsplätze sind durch das Hotel entstanden, 80 Prozent der Beschäftigten sind Einheimische. Selbstverständlich gibt es ein innovatives Wasser- und Abwassersystem und Solarstrom. Der Gewinn der gemeinnützigen Luxusherberge fließt in die Shorefast-Stiftung für weitere Mikrokredite vor allem an Einheimische. Aber es gibt gleich neben dem Hotel auch den Hubschrauberlandeplatz, wo gestresste Gäste vom nächsten internationalen Airport Gander sich mal eben einfliegen lassen – wohl die Kehrseite von Nachhaltigkeit.
Clemens Dwyer, der vor 70 Jahren auf Fogo geboren wurde, resümiert am Ende der Inseltour: „Früher waren wir ein weißer Fleck auf dem Globus, heute kommt die halbe Welt zu uns.“