Andreas Henke, Chef des Audiosysteme-Herstellers Burmester, liebt Elektromobile und freut sich auf das Zeitalter des autonomen Fahrens. Warum? Weil er dann Musik noch intensiver erleben kann. Eine gute Soundanlage ist natürlich die Voraussetzung dafür. Ein Gespräch über die Verbindung zwischen Ohr und Hirn, über feuchte Augen und Jonny Cash zum Mitsingen.

Herr Henke, wie wichtig ist Musik für Sie?

Sehr wichtig. Mit Musik kann man immer mehr Botschaften verpacken als allein mit Worten.

Wo hören Sie am liebsten Musik?

Früher morgens im Bad. Heute nicht mehr – da höre ich heute den Deutschlandfunk. Aber wenn ich in mein Auto steige, bin ich immer von Musik umgeben – dank eines tollen Soundsystems (lacht).

Das wahrscheinlich von Burmester entwickelt wurde.

Ja klar.

Das war jetzt die Werbeeinblendung. Trotzdem überrascht mich die Antwort.

Warum?

Weil ich erwartet hätte, dass Sie Musik am liebsten in einem Konzertsaal hören.

Ich bin tatsächlich neuerdings häufiger Gast bei den Konzerten der Berliner Philharmoniker oder auch in Berliner Jazzclubs. Live-Musik ist nicht zu übertreffen. Wenn man Musiker bei der Arbeit beobachtet, lernt man sehr viel über Musik, was sich in Messprotokollen nicht niederschlägt. Das ist für unsere Arbeit sehr wichtig. Burmester vermittelt ein Kulturgut, wir übertragen nicht einfach nur Frequenzen. Aber mein beruflicher Zeitplan lässt solche Live-Erlebnisse leider nicht sehr häufig zu. Darum höre ich in Summe viel mehr Stunden Musik im Auto, als im Konzertsaal oder auch daheim.

Im Auto war der Musikgenuss bislang aber doch eher Nebensache. Das Radio diente als Informationsquelle für Verkehrsnachrichten…

…Ja, aber auch früher schon zeugten Aufkleber auf der Heckscheibe des Autos oft von Verstärkern und Zusatz-Lautsprechern, die man sich nachträglich ins Auto eingebaut hatte. Nicht, um besser Verkehrsnachrichten zu hören, sondern um Musik zu hören.

Heute gibt es komplexe Soundanlagen schon ab Werk. Was treibt diese Entwicklung?

Die Autos von heute werden immer besser gegen Störgeräusche isoliert, von außen oder vom Motorraum. Damit wird das Auto zu einem Ort, an dem man sehr gut die Außenwelt abschalten kann. Da kann man auf dem Weg zur Arbeit dann sehr gut sein kleines Privatkonzert genießen.

Wir sind gerade in einem Sportwagen von Porsche unterwegs. In einer solchen Umgebung wollte man früher eigentlich nur den Sechszylinder-Boxer hören, ein Radio würde da eher als Störung empfunden.

Exakt.

Wir sind allerdings in einem Modell mit Hybridantrieb unterwegs und rollen gerade elektrisch durch die Stadt. Ich könnte mir vorstellen, dass in einem solchen Biotop der Stellenwert der Musik noch einmal steigt.

Der Umstieg auf die Elektromobilität, der nicht aufzuhalten ist, wird uns eine ganz neue Klangumgebung bescheren. Bislang war unser Gehirn immer damit beschäftigt, die bekannten „Störgeräusche“ vom Motor auszublenden. Das hat mit der Zeit und der Gewöhnung ganz gut geklappt. Aber mit dem elektrischen Fahren kann sich das Gehirn jetzt mehr und mehr auf die Musik konzentrieren. Das gilt erst recht, wenn wir in das Zeitalter des autonomen Fahrens eintreten. Dann können noch mehr Hirnregionen für den Musikgenuss freigegeben werden. Damit wird das Soundsystem für die Entspannung an Bord mindestens ebenso wichtig wie der Massagesitz, das Lichtkonzept oder das Beduftungssystem. In 15 Jahren werden wir uns alle fragen, wie wir den heutigen Zustand aushalten konnten – 600 Kilometer mit nur kurzen Pausen zwischendurch hinter dem Lenkrad zu sitzen und selbstlenkend mit Tempo 160 in den Urlaub zu brausen. Das wird uns im Rückblick sehr bizarr vorkommen.

Wenn man Musik hört, muss etwas mit einem passieren, sagen Sie. Was sollte denn da passieren?

Man vergisst alles um einen herum, weil man in die Musik hineinfällt. Das Herz fängt an zu pochen und es kann Gänsehaut, feuchte Augen oder Hände geben. Musik kann Gefühlslagen wunderbar verstärken. Wenn sie über ein Soundsystem gut transportiert wird, funktioniert das ohne Anstrengung.

Ist das gesund, wenn es an Bord eines Autos passiert, das man noch selbst lenken muss?

Guter Punkt. Wenn man sich zu sehr in seiner Sound-Zelle einigelt, könnte man fast vergessen, dass man ja noch in einem Auto unterwegs ist und verliert möglicherweise den Fokus auf die Straße. Wenn ich sportlich unterwegs bin, mache ich deshalb auch die Musik ganz aus. Dann gehört alle Konzentration dem Fahrzeug.

Musik ist nicht gleich Musik. Die Soundqualität dürfte auch stark von der Quelle, dem Tonträger abhängen. Musik von einer CD hat eine andere Qualität als Musik, die in komprimierter Form über das Internet ans Ohr gelangt.

Ich gebe Ihnen Recht. Gute Soundsysteme legen die Schwächen von schlecht produzierter oder schlecht übertragener Musik schonungslos offen. Wir haben deshalb hier in diesem Fahrzeug extra einen Sound-Enhancer eingebaut, der sich auf die Nutzungsgewohnheiten der Menschen einstellt und die wollen ja vielleicht auch mal etwas hören, das qualitativ nicht ganz so dolle ist.

Das heißt? Wie passiert das?

Es sorgt dafür, dass schlechte Aufnahmen oder schlecht übertragene Sounddateien einigermaßen passabel klingen. Das ist ein heikles Thema, denn ein Musiksignal ist sehr, sehr fein und äußerst fragil. Wenn man es auf dem Weg von der Quelle bis zum Ohr beschädigt, lässt es sich nicht immer zu 100 Prozent reparieren. Eine sorgfältige Signalbehandlung ist deshalb das A und O.

Wer Musik liebt, sollte also von Streaming-Diensten die Finger beziehungsweise das Ohr lassen?

Keineswegs. Es gibt inzwischen auch Streaming-Dienste, die sehr hochwertige Daten anbieten. Dann macht auch der mobile Musikgenuss extrem viel Spaß. Es lohnt sich aber, genau hinzuhören: Die Datenraten allein sagen noch nichts über das Musikerlebnis aus. Den großen Anbietern fehlt da scheinbar oft die Muse und Sorgfalt, das Original sauber abzunehmen, zu wandeln und „faltenfrei“ bis zum Kunden zu senden. Wir arbeiten daher gerne mit Tidal und Qobuz.

Aus welcher Quelle speist sich die Musik, die wir gerade hören?

Sie kommt von einem Memory-Stick, einem ganz klassischen USB-Stick.

Das reicht für einen „absoluten Klang“, wie es gerne in der Werbung heißt?

Mit dem Wort „absolut“ wäre ich vorsichtig. Absoluten oder perfekten Klang gibt es nicht, denn jeder hört anders. Das liegt einerseits an den Ohren, aber auch an den unterschiedlichen Vorstellungen, wie sich etwas anhören sollte. Deswegen reichen auch Messwerte nicht aus: Sie sind eine gute Basis, aber am Ende zählt nur, ob es etwas in uns auslöst.

Woran erkenne ich eigentlich ein gutes Soundsystem – für das Auto oder daheim?

Man sollte beim Testen die Lautstärke stark variieren. Ein gutes System liefert auch bei niedriger Lautstärke noch alle Details vollständig. Wenn dann nur noch der Bass dröhnt oder nur noch die Hi-Hat des Schlagzeugs zu hören ist, stimmt die Qualität nicht. Ebenso wenn ich merke, dass ein Stück in hoher Lautstärke einfach nur nervt, oft weil dann Verzerrungen überhand nehmen.

„Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist“, heißt es in einem Stück von Herbert Grönemeyer.

Klasse Song, Lautstärke ist aber kein Qualitätsbeweis per se. Da herrscht ein großes Missverständnis bei vielen Menschen vor. Einige neigen deshalb dazu, im Auto eine schlecht abgestimmte Anlage lauter laufen zu lassen als nötig. Musik kann dann schnell zur Belastung für das Gehirn werden.

Und das Gehör anderer.

Leider. Unser Gehirn ist sehr intelligent und das Gehör entwickelt sich schon weit vor unserer Geburt. Wir sind deshalb sehr früh in der Lage, Stimmen und Instrumente intelligent zu unterscheiden und „unseren“ Sound zu finden. Grundsätzlich kann man sagen: Alles, was nicht authentisch, nicht natürlich ist, belastet uns. Nicht nur beim Hören.

Haben Sie deshalb Hirnforscher angestellt?

Es hilft, die Verbindung zwischen Hirn und Ohr besser zu verstehen und auf der Basis der wissenschaftlichen Forschung die Systeme zu verbessern.

Was haben Sie dabei gelernt?

Zum Beispiel, wie das Gehirn Störgeräusche eliminiert. Das funktioniert im Kopf ähnlich wie ein Noise-Cancellation-System bei Kopfhörern: Ein wiederkehrendes, berechenbares Geräusch kann durch das Gehirn sehr gut ausgeblendet werden. Wenn ich mit meinem Auto fahre und den Motor hochdrehe, ist mein Gehirn in der Lage, diese Frequenz herauszufiltern. Auch eine Straßenbahn, die regelmäßig vor dem Haus vorbeifährt, hört man irgendwann nicht mehr. Das ist sehr angenehm, denn dann kann die Leistung des Gehirns für andere Dinge verwendet werden.

Musik variiert allerdings stärker als das Geräusch einer Straßenbahn.

Gut klingende Musik transportiert eine Menge Informationen. Das Gehirn merkt das und kann diese Informationen auswerten – ebenso, wenn der Musik Effekte beigemischt werden.

Zum Beispiel?

Wenn der Bass aufgepimpt wird oder am Computer künstlich Dynamik erzeugt wird oder wenn ein Computer Schlagzeug spielt statt eines Drummers mit seinen immer wieder selben minimalen, aber menschlichen „Fehlern“. Musik ist dann nicht mehr authentisch und damit nicht für den Menschen gemacht. Das mag esoterisch klingen. Aber der Mensch, finde ich, sollte seine fünf Sinne so einsetzen, wie sie von der Evolution entwickelt wurden. Sonst entsteht Stress und langfristig Degeneration.

Das elektrifizierte, geräuscharme Fahren ist also eine Wohltat für Gehör und Gehirn?

Definitiv. Man fährt entspannter, kann die Musik besser genießen oder auch die freiwerdende Rechenleistung für andere Dinge wie fürs Denken nutzen. Das heißt, die verbesserte Gesprächsqualität kommt sicher auch den vielen Telefonaten zugute, die Geschäftsreisende unterwegs über das Autotelefon führen. Für ein gutes Soundsystem spricht deshalb nicht nur das emotionale Argument, Musik besser hören zu können. Es verbessert auch die Qualität von Telefonkonferenzen.

Worauf kommt es bei einem Soundsystem an? Auf den Verstärker, die Lage und die Abstimmung der Lautsprecher?

Die Qualität hängt von einer komplexen Kette von Einzelfragen ab. Es hängt unter anderem von der Rechenleistung ab, die an Bord eines Autos zur Verfügung steht. Entscheidend ist aber auch die Positionierung der Lautsprecher. Vereinfacht gesagt: Ein Klang ist bei hohen Frequenzen sehr präzise, wenn wir ihn auf das menschliche Ohr richten. Der Hochtöner sitzt deshalb idealerweise auf Ohrhöhe. Beim Bass ist die Positionierung nicht ganz so wichtig, weil die Wellenlängen sehr groß sind: Bei 100 Hertz haben wir beispielsweise gute drei Meter Wellenlänge. Deshalb ist es hier weniger entscheidend, wo der Tieftöner sitzt. Neben der Positionierung ist auch die Verbauqualität enorm wichtig: Dass die Lautsprecher vibrationsfest montiert sind, dass beispielsweise die Gitter stabil vom Rahmen gehalten werden und so weiter. Darüber hinaus muss sowohl die Auslegung des Verstärkers als auch die des einzelnen Lautsprechers perfekt aufeinander abgestimmt sein. Es ist ein bisschen wie beim Kochen: Hervorragende Zutaten helfen, aber das Wissen um die Komposition, die Verarbeitungsqualität und die Fähigkeit, fein abzuschmecken, sind für wahrlich große Erlebnisse essenziell.

Das klingt, als wäre das Einrichten eines Soundsystems in einem Auto eine größere Herausforderung als das Aufstellen einer Hifi-Anlage in den heimischen vier Wänden.

Das mag so klingen, aber beides hat Chancen und Tücken. Beim Auto besteht der große Vorteil darin, dass wir wissen, wo die Zuhörer sitzen. Und wir kennen die wesentlichen Materialien. Damit ist der Raum sehr gut definiert und es ist entsprechend einfach, den Schall zu richten. In einer Wohnung haben Sie zwar bei Stereowiedergabe nur zwei Lautsprecher, die auch leicht in ein Stereo-Dreieck zu stellen sind. Aber wir wissen nie, in welchem Raum die Anlage spielen wird. Sind dort harte Materialien wie Glas, Stein, Parkett verbaut, gibt es Teppiche, Vorhänge, Sichtbeton oder Raufaser-Tapete. Deshalb ist es wichtig, sich vor dem Aufstellen einer Anlage erst einmal den Raum genauer anzusehen. Man kann beispielsweise einfach mal in die Hände klatschen und dann hören, wie der Schall reflektiert wird. Dann versteht man sehr schnell, was erforderlich ist, um den Klang zu optimieren. Damit ist auch klar: Lautsprecher beliebig im Raum zu verteilen kann nichts werden.

Der Preis dafür ist hoch – die Preise für eine Burmester-Anlage starten bei 30.000 Euro….

Und können leicht noch höher sein. Aktuell reicht die Spanne nach oben bis 300.000 Euro. Und wir werden im kommenden Jahr noch einmal nach oben erweitern – es gibt ausreichend Kunden die bereit sind, auch das Doppelte auszugeben. Damit ist man dann klanglich und erlebnisseitig in einer eigenen Liga, aufgrund neuester Erkenntnisse und der besonderen Hingabe unserer Entwickler sowie des exzessiven Einsatzes exklusiver Materialien.

Und die Unterschiede merkt man?

Ich bin sicher: Mit verbundenen Augen werden Sie die Unterschiede garantiert auch heraushören. Viel zu viele Menschen unterschätzen ihr Gehör, dabei kann ich versichern, dass bislang noch jeder den Unterschied gehört hat.

Und welche Art von Musik hören Sie auf solchen High-End-Anlagen?

Musik muss zur Stimmung passen, ich bin da nicht festgelegt. Ich höre Pop und Rock ebenso gerne wie Blues und klassische Musik. In jüngster Zeit habe ich auch ein Faible für elektronische Musik entwickelt. Wichtig ist die Qualität der Aufnahmen: Bei einigen Musikern bemerke ich ein nachlassendes Interesse daran, gute Musik zu produzieren. Da scheint das Streben nach dem schnellen Dollar ausgeprägter zu sein als der künstlerische Anspruch. Deshalb werden viele neue Aufnahmen stark in der Dynamik begrenzt und dann macht das Zuhören selbst mit einer Burmester-Anlage nicht mehr so viel Spaß.

Was werden Sie auf der Heimfahrt hören?

Ich denke, ich fange mal mit Johnny Cash zum Mitsingen an und hebe später mit Malia auf dem Flug ab.

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