1995 kletterten der Leadsänger der 80er-Jahre-Band A-ha und der Chef der norwegischen Umweltgruppe Bellona in einen umgebauten elektrischen Fiat Panda, den sie aus der Schweiz importiert hatten, und begaben sich auf eine Autoreise. Sie fuhren in Oslo herum, weigerten sich, die horrende Straßenbenutzungsgebühr der Stadt zu bezahlen, parkten illegal, wo immer sie konnten, und ignorierten jeden Strafbescheid, der ihnen erteilt wurde. Schließlich beschlagnahmten die Behörden ihr Auto und versteigerten es zur Deckung der inzwischen aufgelaufenen Bußgelder.

Doch die Aktion erregte viel Aufmerksamkeit in den Medien, und die öffentliche Diskussion darüber erreichte die Politik. Die Folge: Bald darauf wurden Elektrofahrzeuge von der Straßenbenutzungsgebühr befreit. Es war der erste von vielen anderen Anreizen, die im Laufe der Jahre noch folgen sollten, um Norwegen zum Land mit der im Verhältnis zur Bevölkerung weltweit höchsten Dichte an Elektroautos zu machen.

60 Prozent der Neuzulassungen in Norwegen entfallen mittlerweile auf vollelektrisch angetriebene Autos, weitere 15 Prozent auf Plug-in-Hybride. Das bedeutet, dass unter dem Strich inzwischen drei von vier verkauften Neuwagen entweder ganz oder teilweise elektrisch fahren.

Das Land sieht sich damit auf einem guten Weg, das von der Regierung 2016 gesetzte Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2025 den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren – Pkw wie leichte Nutzfahrzeuge auf Null herunter zu fahren.

„Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Denkweise geändert hat“, sagte Christina Bu, die Generalsekretärin vom norwegischen Verband „Norsk elbilforening“, in dem sich 75.000 Besitzer von Elektroautos organisiert haben, um die Rahmenbedingungen für das Antriebskonzept zu verbessern und Menschen für die Elektromobilität zu gewinnen. „Vor sieben Jahren standen die Menschen der Technik noch sehr skeptisch gegenüber. Inzwischen sagt die Mehrheit der Norweger:  Mein nächstes Auto wird ein Elektromobil.“

Ölnation setzt auf Strom

Wer sich auf den Weg macht, die Erklärung dafür zu finden, trifft auf eine einfache, wenn auch unerwartete Logik. Da ist zum einen die Tatsache, dass Norwegen zwar immer noch ein großer Öl- und Gasproduzent ist, aber inzwischen selbst fast die gesamte Energie aus einer einzigen, erneuerbaren Quelle schöpft: der Wasserkraft. Das bedeutet, dass der Umstieg auf die Elektromobilität für Norwegen eine viel umweltfreundlichere Option ist als für Länder, in denen der Strom immer noch größtenteils in Kohlekraftwerkem erzeugt wird. Und es bedeutet, dass Norwegen, wenn es seine Emissionen von Kohlendioxid deutlich reduzieren will, kaum eine andere Wahl hat, als seinen Verkehrssektor umweltfreundlicher zu gestalten.

Die Regierung hat das früh erkannt und konsequent gehandelt. Schon 1990 schuf sie erste Anreize für den Kauf und Betrieb von Elektroautos, indem sie diese zunächst zeitlich befristet, dann dauerhaft von der Kfz-Kaufsteuer befreite, die in Norwegen, die je nach Gewicht des Fahrzeugs und der Qualität der Abgasreinigung bis zu 10.000 Euro betragen kann.

Verbrenner werden weiterhin hoch besteuert

„Dies war ein wichtiger Schritt“, sagte Bu. „Norwegen war ein sehr armes Land, bevor wir die Ölvorkommen vor der Küste entdeckten. Autos waren deshalb ein Luxusartikel. Sie wurden immer sehr hoch besteuert. Autos sind in Norwegen auch heute noch deutlich teurer als anderswo. Aber ohne die Erwerbssteuer fielen die Anschaffungskosten für ein Elektroauto auf das Niveau eines konventionell angetriebenen Pkw.

Und bei der Streichung der Kaufsteuer blieb es nicht. Auch die Mehrwertsteuer auf den Kauf der Autos entfiel bald darauf. Obendrein erhielten Fahrer von Elektroautos das Recht, kostenlos auf einigen städtischen Parkplätzen zu parken und Busspuren zu nutzen. Für Elektroautos sind die Fähren frei. Und dank A-ha müssen sie auch keine Straßenmaut zahlen. Zudem werden gewerblich genutzte Elektroautos niedriger besteuert als Benziner  oder Diesel.

Ständig unter Strom
Christina Bu, die Generalsekretärin der Elektromobilisten-Vereinigung „Norsk elbilforening“, fährt selbst einen e-Golf von Volkswagen.

Einige der Fördermaßnahmen der Anfangszeit wurden zwar inzwischen reduziert. So dürfen Elektroautos die Busspuren in den Städten heute nur noch dann nutzen, wenn im Fahrzeug wenigstens zwei Personen sitzen. Und seit 2017 haben lokale Behörden das Recht, von Elektroauto-Besitzern bis zur Hälfte der Park-, Straßenbenutzungs- und Fahrgebühren zu verlangen, die für konventionell angetriebene Fahrzeuge gelten – es gibt inzwischen so viele Stromer im Land, dass die Privilegien deutliche Spuren in den Budgets der Städte und kommunalen Betriebe hinterließen. 

Kaufentscheidung „fast aufgezwungen“

Aber insgesamt, so Bu, sei „die Kombination aus einer großen einmaligen Ersparnis beim Autokauf und den wesentlich niedrigeren Kosten – Kraftstoff, Mautgebühren, Parkgebühren, Wartung – für das Fahren des Autos immer noch ein sehr starkes finanzielles Argument“. Im Laufe seiner Lebensdauer spare man mit einem Elektroauto in Norwegen „wirklich eine Menge Geld“.

Das war es sicherlich, was Wenche Charlotte Egelund, 57, überzeugte, die mit ihrem Partner vor zwei Jahren einen VW Golf Electric kaufte, als sie aus dem Zentrum von Oslo wegzogen. „Die Anreize waren entscheidend“, sagte sie. „Die Steuer- und Mehrwertsteuerbefreiungen, kostenlose kommunale Parkplätze, kostenlose gebührenpflichtige Straßen – alles Dinge, die uns den Stau in der Hauptverkehrszeit vermeiden lassen.“

Tatsächlich, so Egelund, seien die Anreize so erheblich gewesen, dass sie fast „das Gefühl hatte, die Entscheidung sei mir aufgezwungen worden“. In finanzieller Hinsicht war es, als gäbe es keine andere vernünftige Option. Ich frage mich allerdings, ob diese Option wirklich so grün ist, wie man uns sagt. Ist ein Auto, das mit sauberem Diesel fährt, wirklich schädlicher als die Umweltauswirkungen, die mit der Produktion einer Hochvolt-Batterie für ein Elektroauto einhergehen?

Dieselauto als Zweitwagen für Fernfahrten

Die Postbotin Rachel Ritman, 56, die am Stadtrand von Fredrikstad lebt, kaufte ihren Opel Ampera vor zwei Jahren und sagte, sie habe ihre Wahl nicht bereut, auch wenn sie sich „nicht sicher sei, ob wir ohne die Anreize elektrisch gefahren wären“. Die Reichweite des Autos sei gut, sagte sie: 400 Kilometer im Sommer, 320 Kilometer im Winter. Geladen wird der Wagen fast ausschließlich daheim.

Der Beitrag erschien zuerst im Guardian. EDISON publiziert ihn im Rahmen der Initiative Covering Climate Now, einem Zusammenschluss von mehr als 400 Zeitungen, Zeitschriften und Newssites weltweit, der die Berichterstattung über Wege aus der Klimakrise fördern will.

Sowohl Ritman als auch Egelund verfügen allerdings über ein zweites, dieselbetriebenes Auto für besonders lange Fahrten, zu Landhütten im hohen Norden oder in den Urlaub. Auch der Medienberater Sten Bråthen, 55, kaufte seinen Nissan Leaf als Zweitwagen, „um die Kinder herumzufahren und zur Arbeit zu kommen“. Aber der Stromer biete so viele Vorteile, „dass wir, als wir letztes Jahr ein neues Hauptauto bekamen, nicht zweimal darüber nachdachten, elektrisch zu fahren“.

Die staatlichen Anreize seien bei der Kaufentscheidung entscheidend gewesen, gesteht Bråthen: „Ich denke, wir wären auch ohne die anderen Anreize – kostenlose gebührenpflichtige Straßen und Parkplätze – zurechtgekommen, aber die tatsächlichen Kosten für den Kauf waren so viel niedriger als bei gewöhnlichen Autos hier in Norwegen“. Er mahnte jedoch, dass Norwegen deutlich mehr Ladestationen brauche, wenn der Anteil der Elektroautos weiter so stark ansteige.

Die Dynamik ist erst in den letzten Jahren in den Markt gekommen. Trotz der Anreize blieben die EV-Verkäufe in Norwegen bis zum Jahr 2010 gering. Das änderte sich erst, als eine Reihe kleinerer, erschwinglicherer Elektroautos von Herstellern wie Mitsubishi und Nissan auf den Markt kamen. Einen zweiten Schub erfuhr die Nachfrage, als dank einer verbesserten Speichertechnologie größere Elektroautos auf den Markt kamen, die sowohl von der Reichweite als auch vom Platzangebot familientauglich waren.

Mercedes EQC in der Innenstadt von Oslo
Dank der großzügigen Förderung in den vergangenen Jahren haben sich viele Norweger Elektroautos zugelegt, die sie sich sonst nicht hätten leisten können. Foto: Mercedes-Benz

Versteckte Steuersenkung für Reiche?

E-Auto-Aktivistin Bu sagt, die Anreize seien inzwischen so vielfältig, dass „viele Leute sagen, sie hätten beim Kauf eines Elektroautos – von Tesla, Jaguar oder Audi – das teuerste Auto gekauft, das sie je hatten. Einfach weil sie berechnet haben, wie viel sie in den kommenden Jahren sparen werden, und weil sie es für sinnvoll halten“.

Das hat zu dem Vorwurf geführt, dass Norwegens Förderung von Elektrofahrzeugen eine versteckte Steuersenkungen für die Reichen ist, die sich nun ein größeres oder ein Zweitauto zulegen. Denn viele Norweger mit niedrigerem Einkommen können weiterhin nur davon träumen, ein Elektroauto zu besitzen. Und auch in Norwegen werden drei von vier Autokäufen auf dem Gebrauchtwagenmarkt getätigt.

Bu – dessen Organisation eher die Positionen der Verbraucher als die der Fahrzeughersteller vertritt – lehnt dies mit dem Argument ab, dass „wir die Autos, die wir heute fahren, erneuern müssen. Und der einzige Weg, um die Modernisierung der Fahrzeugflotte zu erreichen, führe über das Neuwagengeschäft.“ Sie geht davon aus, dass Elektroautos bald zehn Prozent des gesamten Pkw-Bestandes in Norwegen ausmachen. Und auch im Gebrauchtwagenmarkt steige deren Anteil kontinuierlich weiter an.

Batterieherstellung bleibt ein Problem

Sie sagt, sie sei zuversichtlich für die Zukunft von Elektrofahrzeugen – auch in den Ländern, die heute noch den Großteil ihrer Energie aus fossilen Quellen beziehen. Denn Studien würden zeigen, dass Elektroautos selbst bei einem Betrieb mit Strom, der aus Kohle oder Erdgas gewonnen wird, nicht schädlicher für das Klima seien als Benzinautos.

„Als Gesellschaft müssen wir eindeutig zwei Dinge tun“, sagte sie. „Wir müssen mehr erneuerbare Energie produzieren und Autos, die damit betrieben werden können“, sagte sie. „Wir müssen beides tun, so schnell wie möglich. Wir können nicht warten, bis der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt.“

Wie sie einräumt, werden Elektroautos „niemals wirklich umweltfreundlich sein.“ Schuld daran seien die Batterien, deren Herstellung „das Hauptproblem“ sei. Bu: „Wir brauchen eine CO2-neutrale Batterieproduktion in Europa“.

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