Jüngst stellte Volvo mit dem EX30 ein neues vollelektrisches Einstiegsmodell sowie mit dem EM90 einen elektrischen Van vor. Damit und mit dem neuen EX90 sowie dem elektrischen XC40 will der skandinavische Autobauer gleichermaßen auf allen drei Hauptmärkten in China, Europa und den USA punkten. Gleichzeitig verabschiedet sich Volvo konsequenter als andere Premiummarken schon lange vor dem Verkaufsverbot in der EU im Jahr 2035 von der Verbrennertechnik. Seine Strategie erklärt Volvo-CEO Jim Rowan hier im Interview.
Mr. Rowan, Volvo ist ebenso wie der Stellantis-Konzern kürzlich aus dem Verband der europäischen Automobilhersteller ACEA ausgetreten. Was war das Motiv dafür – wollen Sie vielleicht einen eigenen Verband gründen?
Einfach ausgedrückt: Wir wollen bis 2030 vollelektrisch sein – und der ACEA strebt das erst im Jahr 2035 an. Das bedeutet unterschiedliche Schritte zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Wir sind nach wie vor bereit, in bestimmten Fragen zusammenzuarbeiten, die wir für die gesamte Branche für sinnvoll halten, wie zum Beispiel beim Thema Ladeinfrastruktur und bei Normierungsfragen. Aber wir haben nicht die Absicht, zum jetzigen Zeitpunkt einen weiteren Verband zu gründen.
Sie haben sich besorgt darüber geäußert, wie langsam einige Ihrer Konkurrenten die Antriebswende betreiben. Nun scheinen sich auch die Gesetzgeber in manchen Ländern der EU mit einer Verlangsamung des Prozesses zu arrangieren.
Auch wenn wir die Umstellung unseres Produktportfolios auf vollelektrische Fahrzeuge mit einem hohen Tempo angehen, heißt das nicht, dass andere Unternehmen tatenlos sind. Auch sie produzieren bereits Elektroautos. Und wenn man sich die Ladestandards anschaut, macht es auch absolut Sinn, weiterhin an einem Strang zu ziehen. Es macht beispielsweise aus meiner Sicht aber keinen Sinn, parallel unterschiedliche Ladenetzwerke und dabei auf unterschiedliche Ladestandards zu setzen. Wir haben deshalb mit Tesla in den USA eine Vereinbarung über die Nutzung ihres Ladenetzes und ihres Ladestandards NACS getroffen. Und ich glaube, dass man in Europa und anderen Regionen der Welt diesem Beispiel folgen sollte.
Volvo ist Teil des chinesischen Geely-Konzerns, produziert inzwischen aber auch in USA. Sie kennen damit alle drei großen Automobilmärkte. Haben Sie den Eindruck, dass die Antriebswende in Europa, USA und in China mit der gleichen Geschwindigkeit voranschreitet?
Wenn man den Prozess aus einer globalen Perspektive betrachtet, sehen wir in der Tat drei unterschiedliche Szenarien: In den USA wird die Westküste in einem guten Tempo elektrifiziert, was durch den Inflation Reduction Act gefördert wird. Das Landesinnere hinkt hinterher, auch wenn der Aufbau der Ladeinfrastruktur durch die Bemühungen von „Electrify America“ unterstützt wird.
Sie sprechen vom Betreiber des großen Schnellladenetzes, hinter dem unter anderem der Volkswagen-Konzern steht.
Richtig. In Europa ist die Umstellung auf Elektroantriebe im Norden bereits weit fortgeschritten, in Südeuropa hat sie gerade erst angefangen. In beiden Fällen ist es ein Vorteil für Volvo, dass wir noch Fahrzeuge mit Hybridantrieb anbieten und nicht nur Batteriefahrzeuge. Damit allein wäre der Weltmarkt aktuell noch nicht in den Griff zu bekommen. Und China unternimmt ebenfalls große Anstrengungen bei der Elektrifizierung, unter anderem auf Drängen von Hunderten Großstädten, die unter einer massiven Luftverschmutzung leiden.
Sie haben angekündigt, Anfang kommenden Jahres das letzte Auto mit Dieselmotor zu produzieren. Wie lange werden Sie noch in Plug-in-Hybride investieren?
Wir beschäftigen uns in unseren Testeinrichtungen noch mit dieser Technik, investieren aber kein Geld mehr in sie. Wir haben beim Volvo XC60 und XC90 alles getan, was wir konnten, um die elektrische Reichweite zu erhöhen, unter anderem durch den Einsatz von Batteriezellen mit höherer Energiedichte und einer verbesserten Leistungselektronik. Aber der Spielraum ist jetzt ausgeschöpft – mehr geht nicht.
2030, Sie sagten es, will Volvo nur noch E-Autos anbieten. Bis dahin sind es nur noch sechs Jahre. Ist das nicht eine seltsame Vorstellung?
Absolut nicht. Das Unternehmen, das weltweit die Nummer eins im Verkauf von Elektroautos ist, macht das schon seit Jahren und verkauft eine Menge Autos. Es ist also nicht so, dass wir uns auf dünnes Eis begeben würden.
Sie reden von Tesla?
Tesla ist Marktführer bei den Verkaufszahlen und der erfolgreichste Automobilhersteller, was die Marktkapitalisierung anbetrifft. Das beweist, dass man als reine Elektroauto-Marke schon heute sehr erfolgreich sein kann.
Volvo hat kürzlich mit einem elektrischen Van, dem EM90, die Welt überrascht. Das Modell soll vorerst nur in China angeboten werden. Chancen für die Fahrzeuggattung auf anderen Märkten sehen Sie nicht?
Wir wissen nicht genau, ob die Nachfrage in einigen Jahren in anderen Regionen vorhanden sein wird. Vor 20 Jahren hat aber auch niemand voraussehen können, wie erfolgreich SUVs einmal sein würden. In China macht das Modell jetzt schon Sinn, weil an den Wochenenden viele generationenübergreifende Aktivitäten stattfinden: Mutter, Vater und Großeltern fahren hier gerne gemeinsam mit den Kindern irgendwohin. Sie suchen dabei Komfort und ein erstklassiges Reiseerlebnis. Unser EM90 ist da ein gutes Angebot, zumal das Fahrzeug die gleichen Sicherheitsstandards erfüllt wie all unsere Autos.
Volvo wird 2023 voraussichtlich rund 700.000 Fahrzeuge weltweit verkaufen. Mit dem EX90 und dem EX30 kommen im Frühjahr zwei neue Modelle auf den Markt. Überspringen Sie damit die Schwelle von einer Million Fahrzeugen?
Beim Börsengang im Oktober 2021 sagten wir, dass wir bis Mitte des Jahrzehnts etwa 1,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr verkaufen würden – und wir sind auf dem besten Weg dahin. Wir haben unser Portfolio sehr gezielt elektrifiziert und das hilft uns jetzt. Die Leute brauchen einen kompakten SUV wie den EX30, und in diesem Segment ist eine Reichweite von 480 Kilometer absolut in Ordnung. Und sogar noch weniger, wenn man weniger teure LFP-Batterien verwendet, um den Fahrzeugpreis zu senken. Das war ein weißer Fleck, den es zu schließen galt, um neue Kunden und neue Verkäufe zu gewinnen. Die gleiche Bedeutung hat unser großer EX90 für die Gewinnung neuer Kunden.
Viele Ihrer Kollegen ächzen derzeit unter den Herausforderungen der Transformation. Womit könnten Sie die aufmuntern?
Da gibt es eine Sache, über die nie gesprochen wird. Ich komme bekanntlich nicht aus der Automobilindustrie, sondern aus dem Technologiesektor. Ich bin Fertigungsingenieur und habe meinen Master mit einer Arbeit über Zulieferketten gemacht.
Worauf wollen Sie hinaus?
Der Bau von Verbrennungsmotoren ist mit einer enormen Komplexität verbunden. Denn es gibt Motoren mit 1,2, 1,6 und zwei Litern Hubraum, mit vier, sechs oder gar acht Zylindern. Alle Kolben haben unterschiedliche Größen, ebenso alle Kolbenringe, Zylinder, Zylinderköpfe und Motorblöcke. Das gleiche gilt für Schrauben Muttern und Bolzen. Bei Elektroantrieben sieht die Teileliste und damit auch die Lieferkette völlig anders aus. Es gibt einen Elektromotor – vielleicht in zwei Größen – und eine Batterie, um unterschiedliche Leistungen darstellen zu können. Um diese an verschiedene Fahrzeugsegmente anzupassen, fügt man einfach weitere Modulen hinzu oder verkleinert diese. Das war’s. Das hohe Drehmoment gibt es umsonst.
Sie wollen sagen: Der Antriebsstrang wird also in der Hersteller eher preisgünstiger als teurer. Wann wird die Herstellung eines Elektroautos denn genauso viel kosten wie die eines Autos mit Verbrennungsmotor?
Wir sind an dem Punkt bereits angekommen. Sogar im Falle unseres kleinsten Autos in einem eher preisempfindlichen Segment: dem EX30. Wir haben erklärt, dass wir ihn für 35.000 Dollar verkaufen werden und daraufhin Kommentare bekommen, wonach wir bei dem Preis keine Gewinne erzielen würden. Aber das stimmt nicht. Die meisten Fahrzeughersteller sind sehr verschwiegen, was ihre Margen bei Batterieautos und Verbrennern angeht, aber wir waren in dem Punkt völlig transparent. Die Kosten für Lithium können die Gleichung hier und da zwar noch verändern. Aber unsere Gewinnspanne beträgt heute bei den Elektroautos neun Prozent. Beim EX30 werden wir sie auf 15 bis 20 Prozent steigern. Ich versichere Ihnen: Das ist nicht weniger als wir mit einem Verbrenner erwirtschaften.
Wann werden wir das Schwarz auf Weiß sehen?
In sieben Monaten, wenn wir unsere Ergebnisse für das zweite Quartal 2024 vorlegen. Dann werden Sie sehen, wie viele EX30 wir schon verkauft haben und welche Gewinne wir damit eingefahren haben. Wir werden dann der einzige Autohersteller sein, der in dieser Hinsicht an die Zahlen von Tesla herankommt. Und wir werden eines der ersten Traditionsunternehmen sein, das mit ordentlichen EV-Verkaufszahlen und anständigen Gewinnspannen schon in der neuen Ära angekommen ist.