Eines muss man den Renault-Strategen lassen: Sie spielen die Retro-Karte bei den Elektromobilen mit dem R5, bald dem R4 und dem in knapp zwei Jahren erscheinende Twingo ziemlich gut. Und wer Renault sagt, meint inzwischen auch wieder Alpine. Die Franzosen tun gut daran, die Sportdivision nicht verkümmern zu lassen. So will es auch Renault-Chef Luca de Meo, der jahrelang bei Alfa Romeo beschäftigt war. Anders als Stellantis pflegen die Franzosen diese Tradition und lassen Alpine nicht zu einer besseren Ausstattungsvariante verkommen. Auch wenn die AmpR-Small-Plattform des vollelektrischen Alpine A290 die gleiche ist wie beim Renault R5 E-Tech Electric.
Allerdings ist der Alpine A290 der Vorreiter für die Technik und nicht der Renault. So gesehen, erfolgte die Entwicklung von oben. Das merkt man auch an dem guten Fahrwerk des R5 samt der Multi-Link-Hinterachse. Die Unterschiede stecken im Detail und die sind wichtig. Das fängt schon beim Elektromotor an, der die interne Bezeichnung 6AM trägt. Es also derselbe wie im Renault Scenic E-Tech Electric, während der kleine R5 ein schwächeres Triebwerk mit der Bezeichnung 6AK an Bord hat.
Um den größeren Motor im A290 unterzubringen, entwickelten die Ingenieure eigens einen Aluminium-Hilfsrahmen. Um dem Alpine A290 trotz des kurzen Radstands von 2,53 Metern Beine zu machen, haben die Ingenieure auch am Fahrwerk optimiert. Grundsätzlich hat der Alpine eine breitere Spur als der Renault R5. Zudem helfen steifere Lager und Achsschenkel. Auch haben die Stoßdämpfer hydraulische Anschläge. „Die sind ganz wichtig für das Fahrverhalten“, erklärt Baureihenleiter Charlie Biardeau.
Stärkere Bremsen und größere Räder
Aufgrund der größeren Bremsscheiben aus der Alpine A110 mit Monoblock-Sätteln, die sich auch unter starker Hitze nicht verformen, rollt der Alpine auf 225er-19-Zoll-Walzen. Damit diese ganze Ingenieurskunst nicht verpufft, dosiert die Torque PreControl die Antriebskraft für beide Vorderräder, bevor das Torque Vectoring mit Bremseingriffen an einzelnen Rädern den Rest erledigt. So kommt der 1.479 Kilogramm schwere Stromer ganz ordentlich um jede Kurve.
Diese Zutaten stimmen also. Aber wie steht es um die fahrerischen Qualitäten? Wir sitzen in einem Alpine A290 GTS, dem Spitzenmodell mit 160 kW (218 PS) Leistung und einer Batterie mit einer Speicherkapazität von 52 Kilowattstunden. Die soll dank der serienmäßigen Wärmepumpe nach dem WLTP-Zyklus für gerademal für 364 Kilometer reichen.
Strom wird mit maximal 100 kW geladen
Geladen wird mit maximal 100 kW, was selbst für ein Fahrzeug mit 400-Volt-Technik nicht üppig ist. Immerhin sind die Akkus in 30 Minuten von 15 auf 80 Prozent wieder gefüllt. An einer AC-Wallbox mit 11 kW dauert es hingegen 3:20 Stunden, um den Ladestand von zehn auf 80 Prozent zu heben. Der Alpine A290 kann auch als Energiequelle für Haushaltsgeräte dienen (V2L). Und ab nächstem Jahr soll der kleine Stromer sogar zu V2G (Vehicle-to-Grid) in der Lage sein. Der Besitzer könnte sich mit dem rollenden Stromspeicher also den einen oder anderen Euro hinzuverdienen, wenn er sich dem Netzbetreiber andient.
Aber dafür kauft sicher keiner einen Alpine mit Elektroantrieb. Für die Kunden der Marke zählen eher die dynamischen Qualitäten. Nun denn: Ein kurzer Druck auf den Startknopf und der „Hot Hatch“ (Alpine-Jargon) erwacht zum Leben. Schon im Save-Modus (bei Renault heißt der Eco) ist man mit dem kleinen Franzosen ganz flott unterwegs. Bei den beiden anderen Fahrmodi Normal und Sport ist das Vorankommen etwas dynamischer, die Gasannahme direkter. Auch der Sound des Elektromotors, der durch ein paar Verbrenner-Töne angereichert wird (manche können es nicht lassen) ist präsenter.
Gut austariertes Fahrwerk
Die Anstrengungen der Ingenieure, dem Alpine A290 eine sportliche Basis zu geben, waren nicht vergebens. Das Fahrwerk ist zwar sportlich-straff, aber nicht zu hart und durchaus verbindlich. Kurz aufeinanderfolgende Querfugen werden trotz des kurzen Radstands gut weggedämpft. Hinter das Komfortkapitel können wir als schon mal einen Haken machen.
Aber bei einem Alpine geht es wie gesagt immer auch um die Dynamik. Mit einer Achslastverteilung von 57 Prozent (vorne) zu 43 Prozent (hinten) ist der Franzosen-Sportler einigermaßen gut austariert. Um die Kurven wetzt er ziemlich behände, auch wenn die für Fronttriebler typische Neigung zum Untersteuern nicht zu verbergen ist.
Bei 170 km/h ist Schluss
Und wie flott geht es voran? In 6,4 Sekunden erreicht der Stromer aus dem Stand Tempo 100, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 170 km/h schnell. Sportwagenfeeling kommt aber weder in der einen noch in der anderen Gangart auf. Und besonders sparsam ist der Alpine auch nicht: Nach unserer Testfahrt meldete der Bordcomputer einen Verbrauch von 17,9 kWh/100 km. Die offiziellen Werksangaben nennen einen Drittelmix von 16,6 kWh/100 km.
Die Lenkung ist in Ordnung und lässt den Fahrer über die Traktionsverhältnisse nicht im Unklaren. Beim Herausbeschleunigen sind die Lenkeinflüsse jedoch deutlich spürbar. Das Lenkrad ist griffig und verströmt mit den Knöpfen für die Fahrmodi, den Boost und die Rekuperation ein wenig Formel-1-Feeling. Rekuperieren kann man in vier Stufen, von null (Segeln) bis hin zu stark.
Etwas kraftlos trotz Boost-Knopf
Allerdings ist ein One-Pedal-Fahren nicht möglich, da der Alpine ab acht km/h in den Rangierkriech-Modus schaltet. Die Rekuperationsstufe eins entspricht der Motorbremse bei einem Auto mit Verbrennungsmotor. Der kleine rote OV-Hebel am Lenkrad (Overtake / Überholen), gibt dem Kraftzwerg für 6,4 Sekunden die Sporen. Allerdings werden dabei keine Extra-Vitamine freigeschaltet, sondern wird nur die Maximalleistung abgerufen. Die steht übrigens auch dann zur Verfügung, wenn man das Gaspedal voll durchdrückt wird.
Den Boost-Knopf hätte man sich also sparen können. Da wären ein paar Zusatz-KW besser gewesen, um den Sportwagen-Charakter zu betonen. Die Bremsen verrichten ihren Dienst immerhin tadellos. Den französischen Ingenieuren ist es sogar gelungen, den Übergang von der Rekuperations- zur analogen Reibbremse zu kaschieren. Chapeau Monsieurs.
6000 Euro Aufschlag für GTS-Version
Das Infotainment zeigt die typisch modernen Renault- und Google-Gene. Und ja, der altbekannte Satellit zum Verstellen der Lautstärke und zur Wahl der Radiosender ist auch hier vorhanden. Das Instrumentendisplay misst 10,25 Zoll und der Touchscreen 10,1 Zoll. Das Infotainment ist etwas zu verspielt: Bei Vollgas fliegen einem im Kombi-Instrument schnelle Dreiecke wie in einem 1960er-Jahre Science-Fiction Film entgegen. Wer will, kann sich im zentralen Bildschirm alle möglichen Telemetriedaten anzeigen lassen. Angefangen von den G-Kräften, die auf den Fahrer wirken, bis hin zu den Bremswerten.
Entsprechend zweispältig fällt unser Fazit nach der ersten Testfahrt mit dem elektrischen Alpine aus. Der A290 kann vieles gut, es macht durchaus Spaß, ihn zu fahren. Aber er fühlt sich eher an wie ein getunter Renault R5 E-Tech Electric denn wie ein echter Alpine. Alpine ruft für den A290 in der 130 kW (177 PS) starken GT-Version 38.700 Euro auf, die von uns gefahrene GTS-Version mit 160 kW Leistung kostet wenigstens 44.700 Euro. In der mit feinem Leder ausgeschlagenen und vollausgestatteten Premiere-Version sind sogar 46.200 Euro fällig.
Das wären immerhin über 12.000 Euro mehr als die für den Renault 5 in Topausstattung hinzulegen wären – ohne das im Alpine fahrtechnisch echtes Sportwagen-Feeling aufkäme. Aber vielleicht schafft es ja der Alpine A390, mehr Endorphine auszuschütten, wenn er im kommenden Jahr auf den Markt kommt. Spekuliert wird hier über eine Antriebsleistung von bis zu 440 kW oder 600 PS.