Auf den Autobahnen ist deutlich weniger los, auf den Radwegen dafür umso mehr. In den Fernzügen der Deutschen Bahn ist auch kurz vor dem Wochenenden jede Menge Platz. Und auch in den Straßenbahnen und Linienbussen ist in diesen Tagen leicht ein Sitzplatz zu finden – so sie denn überhaupt noch fahren.

Die Corona-Krise hat die Anteile der Verkehrsträger am Personenverkehr in Deutschland gravierend verändert. Ein klarer Gewinner ist der Fahrrad: Um in Zeiten von Kontaktsperren und Reiseverboten wenigstens ein wenig Bewegung zu bekommen, um fit zu bleiben und den Frühling zu erleben, haben viele Menschen ihren alten Drahtesel aus dem Keller geholt und wieder fahrtüchtig gemacht. Viele entdecken dabei, dass das Fahrrad nicht nur ein Sport- und Freizeitgerät sein kann, sondern sich auch hervorragend für Besorgungsfahrten eignet und im alltäglichen Kurzstreckenverkehr dem Öffentlichen Nahverkehr sogar überlegen sein kann. Die Bedingungen dafür sind gerade perfekt: Ein stabiles Hoch sorgt für reichlich Sonnenschein. Und die Menschen haben jede Menge Zeit.

„Radfahren neu positionieren“

„Das Verkehrsmittel Fahrrad steht vor einer Rennaissance“, freut sich Jörg Müsse, Geschäftsführer des Händlerverbandes Bike&Co aus Verl. „Wir haben die Chance, das Radfahren neu zu positionieren und als Teil einer intelligenten Mobilität stärker im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern.“ In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gewinne das Fahrrad als preiswertes Verkehrsmittel zusätzlich an Attraktivität.

Mit dem Klapprad zum Bus
Fahrrad statt Linienbus
Viele Menschen meiden aus Ansteckungsangst derzeit öffentliche Verkehrsmittel und fahren statt mit dem Bus lieber mit dem eigenen Rad durch die Stadt. Foto: Pressedienst Fahrrad

Auch Wasilis von Rauch, Vorsitzender des Bundesverbandes Zukunft Fahrrad aus Berlin, sieht gute Voraussetzungen, um nun eine Veränderung im Mobilitätsverhalten vieler Menschen zu erreichen – weg vom Auto, hin zum Fahrrad. Wie auch Burkhard Stork, der Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) plädierte er in einer vom Pressedienst Fahrrad organisierten Videokonferenz dafür, das Radwegenetz schleunigst auszubauen. Stork: „Wir haben jetzt erstmals auch kein Finanzproblem.“ Die Bundesregierung habe insgesamt 2,4 Milliarden Euro für den Neu- und Ausbau von Fahrradwegen zur verfügung gestellt, allein 900 Millionen Euro für die kommenden drei Jahre. „Wir müssen den Kommunen jetzt Mut machen, das Geld auch auszugeben.“

Berliner „Pop-up-Radwege“ als Vorbild

In Berlin waren Mitte März innerhalb weniger Tage entlang vieler Hauptverkehrstraßen so genannte Pop-up-Radwege entstanden – mit Baken, Piktogrammen und gelben Klebestreifen wurden in Kreuzberg und anderen Stadtteilen kurzerhand Teile der mehrspurigen Straßen für den Autoverkehr gesperrt und für den Radverkehr reserviert worden. Auch Parkstreifen für Autos waren auf diese Weise umgewidmet worden. Auch in Hamburg, Düsseldorf und Aachen fand die Aktion Nachahmer. Ähnliche Aktionen hatte es zuvor schon im kalifornischen Oakland sowie in Bogota, der Hauptstadt von Kolumbien, gegeben. Der ADFC-Vorsitzende plädiert dafür, die provisorischen Radwege wenigstens für ein Jahr zu erhalten – „da die Öffentlichen Verkehrsmittel wegen der Ansteckungsgefahr nicht mehr so voll werden dürfen.“ Zudem regte er an, nach dem Vorbild von Berlin „Bewegungsstraßen“ für Fußgänger und Radfahrer einzurichten, die nur Anlieger mit dem Auto befahren dürfen.

Die Neuheiten der Zweiradindustrie belegen: Die Technik des Fahrrads ist noch längst nicht ausgereizt. Und die Zukunft des e-Bikes hat gerade erst begonnen. E-Bikes

Aber nicht nur die Lobby-Organisationen des Fahrradverkehrs, auch die Zweiradindustrie sieht gute Chancen, langfristig von der Corona-Krise zu profitieren. Aktuell herrscht dort, auch das wurde in der Video-Konferenz deutlich, derzeit noch Krisenstimmung herrscht. Viele Fahrradhersteller mussten in den vergangenen Wochen ihre Produktionen stoppen und Kurzarbeit anmelden, wegen der strengen Hygienevorschriften, aber auch wegen Nachschubproblemen. Zudem waren die Fahrradgeschäfte geschlossen – gearbeitet werden konnte und durfte nur in den Werkstätten. Und der Verkauf neuer Fahrräder fand ausschließlich über das Internet statt.

Lockerung der Regeln für S-Pedelecs?

Ab kommende Woche dürfen nun auch die Fahrradläden wieder öffnen und Kunden Probefahrten unternehmen. Zudem haben wichtige Zuliefererbetriebe in Asien die Arbeit wieder aufgenommen, so dass auch die Produktion neuer Räder wieder Fahrt aufnehmen kann, wie Stefan Stiemer vom schwäbischen Tandem-Hersteller Velotraum berichtete. Er äußerte sich deshalb ganz optimistisch: „Wir werden mit einem Rempler aus der Situation kommen, aber keinen Totalschaden erleiden.“

Siegfried Neuberger vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sieht es ähnlich – und gute Chancen auf eine Aufholjagd für seine Mitgliedsunternehmen in den kommenden Monaten. Für kräftige Umsatzzuwächse könnte vor allem das Geschäft mit E-Bikes sorgen, die in diesen Wochen ihre Stärken ausspielen – als Alternative zum Auto wie zum Linienbus. Wie er ankündigte, werde sich sein Verband bei der Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Mehrwertsteuer auf Fahrrad von derzeit 19 auf sieben Prozent abgesenkt wird. Neuberger: „Das wäre ein starkes Signal“.

Mit Abstand bitte
Fahrradwerkstätten durften in den vergangenen Wochen nur Reparaturen durchführen. Ab kommende Woche sin die Läden wieder komplett geöffnet und dürfen auch wieder Inspektionen durchgeführt werden. Foto: Pressedienst Fahrrad

Zudem werde man die Politik drängen, die Regeln für S-Pedelecs zu lockern. Diesen ist aktuell in Deutschland die Benutzung von Radwegen verboten. Und auf den Straßen geraten die Fahrer der bis zu 45 km/h schnellen E-Bikes oft in gefährliche Situationen, weil die Autofahrer die Geschwindigkeit der Räder falsch einschätzen. Neuberger: „Dabei sind S-Pedelecs die idealen Pendlerfahrzeuge.

Heiko Müller vom Fahrradhersteller Riese+Müller aus Darmstadt wird es gerne gehört haben: Er und sein Kompagnon Markus Riese setzen sich seit längerem für eine Lockerung der Vorschriften ein. Sie hatten dazu unter anderem ein Tempolimit auf Radwegen von 25 km/h ins Spiel gebracht.

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