Im zweiten Untergeschoss, ganz rechts in der Ecke, steht die Zukunft und wartet auf mich. Wohl geformte 1,5 Tonnen Elektroauto hängen an der Steckdose in der Tiefgarage. Durchs Fenster schaue ich auf das Cockpit des Renault Zoe. In großen leuchtenden Lettern wird dort der Ladezustand der Batterie ausgewiesen und die aktuelle Reichweite angezeigt: 280! Na klasse, denke ich, das reicht ja dicke für meine 172 Kilometer, die ich als Pendler am Tag zurücklege.
Aufgeregt steige ich ein, setze mich auf die schwarzbezogenen Polstersitze und drücke auf den Startknopf. Stille. Vorsichtig lenke ich den Zoe geräuschlos aus der Parktasche. Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Modern gestylt, leise rollend, umweltfreundlich – ich wollte schon immer ein Elektroauto. Dachte ich zumindest.
Gerade einmal 45.800 Autos mit elektrischem Antrieb rollen laut Kraftfahrtbundesamt über Deutschlands Straßen – bei insgesamt über 34 Millionen PKWs ist das immer noch eine verschwindend geringe Zahl. Da wirkt das von der Bundesregierung angepeilte Ziel von einer Million E-Autos bis 2020 schier unerreichbar. Gleichzeitig versuchen Städte und Kommunen panisch ihren Stickoxidausstoß unter dem Grenzwert zu halten. Wenn ihnen das nicht zügig gelingt, könnte 28 Städten und Regionen schon nächstes Jahr das Unglaubliche drohen: ein Fahrverbot für Dieselautos älterer Bauart.
Umweltschonender Hoffnungsträger
Für die fast zwanzig Millionen Pendler in Deutschland ist das eine Horrorvorstellung. Nicht für jeden sind Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel eine praktikable Alternative. Ein Elektroauto könnte hingegen könnte eine gute Lösung sein. Die Autos mit dem alternativen Antrieb laufen unabhängig von fossilen Rohstoffen, sind klimafreundlich und punkten vor allem in Ballungsräumen, weil sie keine Schadstoffe ausstoßen und nicht lärmen. Hinzu kommt, dass der Neukauf subventioniert wird, jedenfalls solange der Steuertopf mit den 1,2 Milliarden Euro noch gefüllt ist. 4000 Euro Prämie schießt der Bund dazu. Klingt erst mal gut.
Nachdem ich von der Stadt aufs Land gezogen und wieder täglich auf ein Auto angewiesen bin, wirkt mein 19-jähriger Benziner wie aus der Zeit gefallen – von den Spritkosten ganz zu schweigen. Die hätte ich bei einem E-Auto natürlich nicht, stattdessen nur eine etwas höhere Stromrechnung. Aber ist Elektro in der Praxis wirklich billiger als der Verbrenner? Kommt ein E-Auto mit seiner geringen Reichweite für einen Pendler überhaupt in Frage? Wie lange muss es an der Steckdose hängen und wie teuer ist die Anschaffung? Da ich mich ernsthaft mit dem Gedanken trage meine alte Mühle zu verschrotten, habe ich mit dem neuen Kompaktflitzer von Renault – immerhin das meistverkaufte Elektroauto Europas, sechs Tage lang den Praxistest gemacht.
Tag 1 – Guter erster Eindruck
Der erste Eindruck ist ja bekanntlich der wichtigste; und da kann Zoe, vor allem im Vergleich mit meinem klapprigen Nissan Micra der Night Fever Edition, wirklich punkten: Zentralverriegelung, Bordcomputer mit Touch-Screen, inklusive Bluetooth und Navigationssystem, Tempomat, Einparkhilfe und Rückfahrkamera. Also alles, was das moderne Autofahrerherz begehrt.
Mich persönlich machen aber schon elektrische Fensterheber glücklich, vielleicht sollte man das dazu sagen. Das einzige, was die kompakte Zoe mit meinem altmodischen Gefährt gemeinsam hat, ist die knallblaue Farbe. Und natürlich fahre ich normalerweise mit Kupplung. Zoe kommt mit einem Automatikgetriebe daher.
Im dunklen Licht der Tiefgarage versuche ich zu erkennen, wo der Rückwärtsgang liegt, der Schaltknüppel ist nicht beleuchtet. Dann entdecke ich die Fahrstufen vorwärts, rückwärts und neutral auf dem Frontdisplay. Also raus aus der Tiefgarage und ab auf die Straße.
An der Ampel lass ich alle anderen links liegen. Kaum auf der Autobahn, drücke ich das Pedal durch, Zoe beschleunigt völlig mühelos so schnell, dass ich mir fast vorkomme wie Vin Diesel in The Fast and the Furious – ok, wirklich nur fast. Schneller als 140 km/h wird Zoe nämlich nicht, aus Energiespargründen. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke Richtung Zuhause schaue ich auf die Kilometeranzeige, die bei der Geschwindigkeit nur so dahinzuschmelzen scheint.
Nach fast einer Stunde auf der Autobahn mit voll ausgereiztem Tacho ist die Reichweite von 280 auf 150 gesunken. Für eine Strecke, die eigentlich nur 88 Kilometer beträgt, kommt mir das doch sehr viel vor. Renault bewirbt sein Vorzeigeprojekt mit sagenhaften 400 Kilometer Reichweite, erst wer ins Kleingedruckte schaut, findet heraus, dass es in der Praxis auf einmal nur noch 300 sind. Auf seiner Website schreibt der Autohersteller: „Faktoren wie Fahrweise, Geschwindigkeit, Topografie, Zuladung, Außentemperatur und Nutzungsgrad elektrischer Verbraucher haben Einfluss auf die tatsächliche Reichweite.“ Eine Stromtankstelle brauch ich heute trotzdem noch nicht. Ist auch besser so, die nächste ist laut Zoe nämlich fast zehn Kilometer entfernt.
Tag 2 + 3 – Erstes Laden
Für meine Fahrt nach Berlin am nächsten Tag, hab ich mich sicherheitshalber für die öffentlichen Verkehrsmittel entschieden und Zoe am Bahnhof stehen lassen. Da wartet sie einen Tag später auf mich. Immer noch mit meiner ersten Akkuladung unterwegs, fahre ich zum sonntäglichen Kaffee kurz bei der Familie vorbei. Zusammen mit der Hin- und Rückfahrt zum Bahnhof schrumpft die Reichweite auf 30 Kilometer. Also ran an die Steckdose, damit ich morgen pünktlich auf der Arbeit bin.
Wer in seiner Garage nicht zufällig einen Starkstromanschluss verlegt hat, kann den Zoe auch an einer handelsüblichen Steckdose laden, das passende Kabel liefert Renault gleich mit. Wer keine so genannte „Wallbox“ installiert hat, muss laut Renault fast 14 Stunden einplanen um auf volle 100 Prozent zu kommen. Als ich das Renault-eigene Chameleon-Ladesystem einstöpsele, ist es kurz vor halb sechs am Abend. Um fünf Uhr am nächsten Morgen muss ich los – elfeinhalb Stunden, das sollte eigentlich für einen fast voll geladenen Akku reichen. Eigentlich.
Tag 4 – Erste Ladeenttäuschung
Um kurz vor fünf in der Frühe schaue ich gespannt auf das erleuchtete Display: Der Akku ist erst zu 64 Prozent gefüllt – das soll laut Anzeige für eine Strecke von 155 Kilometern reichen. Die Enttäuschung ist groß. Aber ich steige erst mal ein und will mithilfe der Sprachsteuerung meine Zieladresse ins Navi eingeben. Nach jedem Satz arbeitet das System allerdings so lange, dass ich mir in der Zwischenzeit locker einen Kaffee brühen könnte. Nur das Abstellen wäre ein Problem: Flaschen- oder Tassenhalter sucht man im Zoe vergeblich. Also quetsche ich meinen Becher in eine kreisrunde eher nicht dafür vorgesehene Einbuchtung. Der Tag fängt ja gut an.
Auf einer Strecke von faktisch 88 Kilometern frisst Zoe an diesem Morgen so viel Strom wie für 128 reichen sollten. Klar, Heizung an, Radio an, den Tempomat habe ich aber auf der Autobahn vorsichtshalber auf 120 km/h eingestellt. Muss doch eigentlich reichen, finden ja immerhin auch die Grünen. Aber nichts da, bei weniger als der Hälfte der Strecke hab ich schon nur noch 65 Kilometer Reichweite – bei einer Strecke von 48 Kilometern, die noch vor mir liegt.
Am Ende schaff ich es aber mit 27 Kilometer Rest-Reichweite – nichts wie an die Steckdose. Hätte mein Arbeitgeber die nicht im verlagseigenen Parkhaus, wäre auch das wieder ein Problem und ich müsste die nächste „Stromtankstelle“ suchen. 6800 Ladesäulen sind aktuell über Deutschland verteilt. Die Zahl der Anschlüsse beläuft sich auf rund 20.000, an den Säulen gibt es meist zwei Ladebuchsen. Aber nach neun Stunden Ladedauer reicht es immerhin von Düsseldorf nach Köln.
Dann wird es knapp: Mit 55 Kilometern theoretische Reichweite für 50 Kilometer reale Strecke. Nervös befördere ich Zoe aus der Parklücke. Eine ältere Dame beobachtet das Ganze mit ihrem kleinen Dackel. Ihr Gesicht strahlt, freundlich lächle ich zurück. Als ich gerade losfahren will, klopft sie an mein Fenster. „Ist das ein Elektroauto?“, fragt die Dame aufgeregt. Ich nicke. „Das ist ja toll“, ruft sie. Na ja, denke ich, gerade mache ich mir eher Sorgen, ob ich es heute noch nach Hause schaffe.
Das einzige, was mich rettet, ist der energieschonende Eco-Modus, der mich mit 95 km/h über die Autobahn kriechen lässt. Zehn Kilometer hab ich am Ende der Strecke noch. Genauso viele Stunden hat Zoe jetzt zum Aufladen. Im Kopf mache ich schon Notfallpläne, wie ich alternativ zur Arbeit kommen könnte.
Tag 5 – Winter wie bei der Bahn
Kurz vor fünf am nächsten Morgen, Winterzeit. Null Grad zeigt das Thermometer an. Ich gehe zum Auto, schaue aufs Display: 44 Prozent Ladevolumen, 89 Kilometer Reichweite. Wie kann das sein? 89 Kilometer auf dem Tacho, 88 Kilometer Strecke vor mir – und keine Zeit zum Laden. Also Eco-Modus rein und los geht’s. Die Heizung lasse ich vorsichtshalber aus, auch wenn es in meinem kleinen Ufo jetzt ganz schön kalt ist.
Die 95 km/h kommen mir auf der völlig freien Autobahn vor wie Schneckentempo, alle anderen überholen mich locker. Immer wieder der Blick zum Tacho, dann aufs Handy, auf dem ich das Navi vorsichtshalber angemacht habe um die Strecke im Blick zu haben – nicht dass irgendwas zu viel Strom kostet. Auf der Hälfte der Strecke schalte ich dann doch die Heizung an, es ist einfach zu kalt. Weil der Kaffeebecher immer wieder aus der improvisierten Halterung fällt, klemme ich ihn mir zwischen die Beine. Komfort sieht anders aus. Aber Zoe bringt mich sicher ans Ziel, am Ende hat sie sogar noch 15 Kilometer Restreichweite übrig. Dafür bin ich allerdings auch zehn Minuten zu spät im Büro.
Auf dem Heimweg dasselbe Spiel. Da sie mich aber bis jetzt immer nach Hause gebracht hat, lege ich es am letzten Abend drauf an: Eco-Modus aus und mit 140 Sachen über die Autobahn. Die Kilometer purzeln immer weiter, auf der Landstraße trete ich das Pedal bis zum Anschlag durch. Bei 15 Kilometern Restreichweite erscheint eine rote Warnleuchte, bei zehn fängt Zoe energisch an zu piepen.
„Haben Sie an den Eco-Modus gedacht?“, fragt sie mich über das Display. Bei sieben Kilometern zeigt die Anzeige nur noch eine rot gestrichelte Linie, die nächste Tankstelle ist 12 Kilometer entfernt. Mit den letzten Reserven bringt mich Zoe schließlich nach Hause. Den geplanten Einkauf nach der Arbeit muss ich allerdings ausfallen lassen.
Tag 6 – Fazit
Ein letztes Mal im Eco-Modus, ohne Heizung und bei Minusgraden auf die Arbeit. In Düsseldorf surre ich mich zügig mit Zoe durch die Innenstadt. In weiter Ferne schaltet die Ampel auf Rot, aber anstatt – wie ich es sonst gewohnt bin – weiter auf dem Gas zu bleiben, nehme ich den Fuß jetzt sofort vom Pedal. Der Motor arbeitet wie ein Dynamo, er rekuperiert: Das Elektroauto wird langsamer, die Akkuanzeige im Cockpit zeigt an, dass die Batterie gerade geladen wird.
Mit jedem Bremsvorgang gewinne ich wieder ein paar Meter Reichweite dazu. Und das ist definitiv ein positiver Effekt der letzten Tage: Schon nach dieser kurzen Zeit hat sich mein Fahrstil geändert. Ich fahre insgesamt gelassener. Gerade im zähfließenden Verkehr der Rush Hour kann man so gut Strom sparen.
Trotzdem bin ich am Mittag unfassbar erleichtert, als ich wieder in meinen alten klapprigen Benziner mit den manuellen Fensterhebern steige. So schön der Gedanke an ein Elektroauto ist – die vergangenen Tage habe ich jeden Tag gebangt, ob ich von A nach B gelange. Das lag noch nicht einmal daran, dass ich keine Ladestation in der Nähe gehabt hätte, sondern daran, dass ich im Alltag natürlich keine 1:45 Zeit habe, um untätig neben meinem Auto zu stehen.
Und das Laden an der Haushaltssteckdose reicht in der Praxis nun mal nicht aus. Eine Wallbox hätte mein Problem gelöst, aber damit kommen wir auch schon zu der Krux an der Sache mit dem Elektroauto: Es ist für den Otto-Normalverbraucher schlicht und ergreifend zu teuer.
Der kleine Renault kostet neu – und nur die neueste Version auf dem Markt ist aufgrund ihrer Reichweite für Pendler wirklich interessant – inklusive Akku 33.200 Euro. Abzüglich der Kaufprämie (2000 Euro vom Staat, 3000 von Renault) werden 28.200 Euro fällig. Billiger wird es, wenn man den Akku nicht kauft, sondern mietet. 69 Euro pro Monat kostet das. In diesem Fall liegt der Basispreis des Zoe bei 25.200 Euro (abzüglich Prämie: 20.200 Euro).
Das ist immer noch happig für einen Kleinwagen und deutlich teurer als ein vergleichbares Modell mit Verbrennungsmotor. Die Wallbox, ohne die es in meinem Fall nicht geht, schlüge noch einmal mit bis zu 5000 Euro zu Buche. Dafür würden sich die Sprit- bzw. Stromkosten für mich aber auch fast halbieren.
Geringe Reichweite, hoher Preis, schlechte Ladeinfrastruktur – das sind die drei großen Hemmnisse der Elektromobilität. Und es sind die drei wesentlichen Gründe, warum E-Autos vorerst nur etwas für Kurzfahrer, Fans oder wohlhabende Überzeugungstäter sind – die ein Eigenheim samt Wallbox besitzen. Meinen Traum vom Elektroauto habe ich deshalb erst einmal verschoben. Heute ist das noch nichts für mich. Aber vielleicht morgen, wenn die ersten Fahrverbote für Autos mit Verbrennungsmotor ausgerufen werden.