Mit Einfuhrzöllen von 100 Prozent auf Elektroautos aus China will US-Präsident Joe Biden verhindern, dass Tesla, GM und Ford auf dem nordamerikanischen Markt unter die Räder geraten. Auch die EU-Kommission hat eine Anti-Dumping-Untersuchung gestartet, an dessen Ende eine Anhebung der Importzölle für Stromer aus dem Reich der Mitte von derzeit zehn auf 30 Prozent stehen könnte. Die Begründung: Entwicklung und Bau von Elektroautos würden in China massiv staatlich subventioniert, was bei einem Export der Fahrzeuge in großen Stückzahlen nach Europa zu Marktverzerrungen und unlauterem Wettbewerb führe.

Protektionismus schadet nach Ansicht von Andreas Herrmann den europäischen Autoherstellern mehr als dass er ihnen helfe. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu verbessern und die langjährige Führungsrolle zu behaupten, brauche es andere Wege und Maßnahmen, argumentiert er in einem exklusiven Gastbeitrag für EDISON.

Rückblende: Schon einmal bedrohten asiatische Autobauer die Vormachtstellung der deutschen Hersteller. Es war Anfang der 90er Jahre, als Toyota und andere mit neuen, innovativen Entwicklungs- und Produktionsmethoden die Wettbewerber überraschten. Damit gelang es, die Fahrzeuge schneller, günstiger und vor allem mit viel weniger Mängel herzustellen. Doch Volkswagen und Co. lernten rasch: Man übertrug diese Herstellungsmethoden in deutsche Werkshallen und setzte zudem auf eine Emotionalisierung der Fahrzeuge durch konsequente Markenbildung. Der asiatische Angriff war damit abgewehrt, zumindest vorläufig.

Inzwischen droht Ungemach aus China. Beeindruckend und beängstigend zugleich. Etwa 150 Automarken sollen es sein. Viele wollen auf die Weltmärkte. Ein neuerlicher Sturm im Wasserglas? Vielleicht, denn viele dieser Unternehmen machen überhaupt keinen Gewinn und werde durch staatliche Subventionen am Leben gehalten. Andere drohen am fehlenden Vertriebsnetz zu scheitern, und wieder andere dürften schon bald hohe Zölle, wie in den USA, zu spüren bekommen. 

Andreas Herrmann, 59 
Der promovierte Betriebswirt und Marketing-Experte ist Direktor am Institut für Mobilität der Universität St. Gallen in der Schweiz und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Autoindustrie und Themen der Neuen Mobilität. China kennt er unter anderem aus seiner Tätigkeit als Visiting Professor am Automotive Research Center der Tongji-Universität Shanghai. 
Andreas Herrmann, 59
Der promovierte Betriebswirt und Marketing-Experte ist Direktor am Institut für Mobilität der Universität St. Gallen in der Schweiz und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Autoindustrie und Themen der Neuen Mobilität. China kennt er unter anderem aus seiner Tätigkeit als Visiting Professor am Automotive Research Center der Tongji-Universität Shanghai. 

Trotz dieser Einwände. Der Eintritt chinesischer Unternehmen in den Automobilmarkt ist eine existenzielle Herausforderung für die etablierten Spieler. Viel heftiger, viel zielstrebiger, viel nachhaltiger als alles, was wir bislang erlebt haben. Warum ist das so?

Bereits im Fünf-Jahres-Plan von 2010 rief die damalige chinesische Regierung das Ziel aus, China müsse die führende Automobilnation werden. Da beim Verbrennungsmotor die deutschen Hersteller kaum zu schlagen waren, bediente man sich einer simplen Regel: Alle Automobilunternehmen zurück auf Null, ab jetzt gilt die Elektromobilität. Die deutschen Autobauer treten nicht nur gegen chinesische Hersteller an, sondern auch gegen einen Staat mit einer industriepolitischen Idee.

Die Besten sollen sich durchsetzen

Hierzu gehört die Bewirtschaftung der gesamten Wertschöpfungskette. Schon früh wurden Batteriewerke erstellt und die für die Batteriefertigung erforderlichen Rohstoffe gesichert. Neuerdings werden Häfen, Schiffe und Verladeterminals für den weltweiten Vertrieb chinesischer Fahrzeuge gebaut. Darüber hinaus hat die chinesische Regierung die Barrieren für einen Eintritt in den Automobilmarkt vor allem durch Subventionen reduziert. Die vielen Autohersteller stehen untereinander in einem enormen Wettbewerb. Alles gewollt: Die Besten sollen sich durchsetzen.

Was wir in Europa nicht kennen, ist die sehr enge Kooperation zwischen den Autobauern und den Tech-Firmen. Inzwischen bieten sogar Tech-Firmen wie Xiaomi Fahrzeuge an. Es kommt auf Software, Steuerungssysteme, Infotainment und Entertainment an. Das ist die neue Währung. Die Hardware wird von den Autobauer bereitgestellt. Salopp gesagt: Die Software killt das Spaltmaß und damit auch die Tugenden der deutschen Autohersteller.  

„Die Software killt das Spaltmaß und damit die Tugenden der deutschen Autohersteller.“

Was ist zu tun? Wie schon in den 90er Jahren gilt auch jetzt: Rasch lernen und bei einigen Leistungen einen Wettbewerbsvorsprung herausarbeiten. Auf der Automobilmesse in Peking waren sich die CEOs einig. Es braucht die «China speed» bei den deutschen Autobauern.

Was heißt das? Radikales Fahrzeugdesign statt inkrementelle Weiterentwicklungen, Entertainment im Fahrzeug statt viele komplizierte Funktionalitäten, rasche Face lifts incl. Software-Updates statt endloser Entwicklungszyklen, neue (Sub-)Marken statt nicht mehr überschaubare Varianten- und Modellvielfalt, Vollausstattung der Fahrzeuge statt nicht mehr handhabbare Herstellungskomplexität und, ganz wichtig, Technologie ist der neue Luxus im Fahrzeug.

Software-Allianz für Deutschland?

Klingt machbar, aber dafür braucht es einen Aufbruch, eine andere Perspektive. Noch immer agieren die deutschen Hersteller im Klein-Klein: Audi gegen BMW, Mercedes gegen Audi etc. In einer durch die Hardware dominierten Welt hat dieser Wettbewerb alle Akteure beflügelt und Deutschland beachtlichen Wohlstand gebracht. Software funktioniert jedoch anders. Da sie sich viel besser skalieren lässt, braucht es mehr und größere Einheiten. Jedes dieser Unternehmen ist zu klein für eine eigene Softwareplattform. Kooperationen untereinander oder mit anderen Partnern müssen geschmiedet werden, vielleicht sogar eine Software-Allianz für Deutschland. Dieser Schritt ist der entscheidende, jedoch bislang noch nicht gemeistert.

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