Es ist Alltag in Redaktionen: Kurz nach einem wichtigen Event trudeln allerhand Reaktionen und Stellungnahmen in den Postfächern ein – in der Hoffnung, dass die eigene Sicht der Dinge aufgegriffen und verbreitet wird. Zum Beispiel als die EU-Umweltminister neue CO2-Ziele für die Autobranche festlegten. Parteien, Konzerne, Verbände, Unternehmensberatungen: viele Player mit unterschiedlichen Ansichten und Absichten. Sie eint ihr Mitteilungsbedürfnis.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine der ungefragt zugeschickten Aussagen oder Analysen tatsächlich veröffentlicht wird, steigt natürlich mit einem plakativen Zitat. Einer dieser Sätze: „Dem Klima ist es aber egal, ob Kohlendioxid aus dem Auspuff stammt oder beim Verbrennen von Braunkohle für die Stromerzeugung oder die energieintensive Akku-Produktion frei wird.“ Daraus ergab sich zwischen dieser Redaktion und der PR-Abteilung einer Beratung eine angeregte Diskussion über die Quellenlage, die tatsächlichen oder angenommenen CO2-Bilanzen, Ladeverlustleistung beim E-Auto und „norwegische Stromverhältnisse“. Am Ende waren wir uns einig, dass wir nicht einig sind, wie es so schön heißt.

Zahlen lügen nicht – oder?

Dabei ließen sich die Konflikte doch so einfach lösen. Die Experten müssten nur alle geforderten Zahlen und Fakten heraussuchen und könnten dann ausrechnen, was wann die klimafreundlichere Lösung ist. Nur ganz so einfach ist es aber nicht, wie ein Blick auf aktuelle Veröffentlichungen zeigt.

Beispiel 1: Laut einer Analyse des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), hinterlässt der in Elektroautos verwendete Strom schon heute deutlich weniger CO2-Emissionen als Benzin- oder Dieselkraftstoffe – der Ausstoß kann um mehr als die Hälfte sinken. In einer Vergleichsrechnung kommt ein Elektroauto, das mit Normalstrom geladen wird, bei einer jährlichen Laufzeit von 14.300 Kilometern auf 1,06 Tonnen CO2 pro Jahr. Die Vergleichsautos mit Superbenzin (2,52 Tonnen) und jenes mit Diesel (2,56 Tonnen) liegen deutlich darüber.

Wie genau die Interessensvertretung der Stromerzeuger auf diese Werte kommt, welche Fahrzeuge miteinander verglichen wurden und ob CO2-Emissionen aus der Produktion von Fahrzeug und Kraftstoffen eingerechnet wurden, ist in der Veröffentlichung des BDEW nicht zu erfahren. Nur: „Schon heute können E-Auto-Fahrer an vielen Ladesäulen 100 Prozent regenerativ erzeugten Strom tanken oder für das private Laden zu Hause einen Ökostromtarif wählen. Die CO2-Emissionen der Tankfüllung betragen dann: 0.“

Beispiel 2: Das Ergebnis eines neuen Whitepapers „Der Antriebsstrang in der Transformation: Eine ausgeglichene Technologie-Analyse“ des Zulieferers SEG Automotive fällt da schon differenzierter aus. Elektrofahrzeuge können schon heute einen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz leisten, heißt es da. In Ländern, die ihren Strom nur zu geringem Anteil aus fossilen Brennstoffen generieren, spart ein Elektroauto gegenüber einem effizienten Verbrenner über den gesamten Lebenszyklus mehr als 50 Prozent der CO2-Emissionen ein. Also etwa das „Atomstrom-dominierte Frankreich“ oder Norwegen, das „fast seinen ganzen Strom aus Wasserkraft“ gewinnt. In Ländern wie den USA, Indien, China und auch Deutschland ist laut der SEG-Analyse der CO2-Ausstoß in der Stromproduktion so hoch, dass sich „reine Elektrofahrzeuge oder auch PHEVs […] auch auf lange Sicht nur eingeschränkt lohnen bzw. sich zum Teil sogar negativ auf das Klima auswirken“.

Wichtig für den „Umweltvorteil“ seien vor allem zwei Faktoren: Die Lebenszeit des Autos und die Einsparungen pro Kilometer, die regional sehr unterschiedlich ausfallen könnten. In einem Rechenbeispiel über eine Laufleistung von 50.000 Kilometern kann laut SEG ein elektrischer Kleinwagen bei dem aktuellen deutschen Strommix seinen CO2-„Rucksack“ aus der Produktion gegenüber einem vergleichbaren Benziner oder Diesel über seine gesamte Lebenszeit nicht mehr aufholen – das geht nur, wenn er zu 100 Prozent mit regenerativem Strom geladen wird. Anders sieht es bei einer Laufleistung von insgesamt über 150.000 Kilometer aus. Hier ist das E-Auto selbst mit dem aktuellen Strommix besser unterwegs, mit Ökostrom kommt er nur auf einen Bruchteil der Emissionen über das gesamte Fahrzeugleben.

Ein Mittelweg (und bei dem aktuellen Strommix sogar mit weniger CO2-Emissionen behaftet) ist der SEG-Analyse zufolge der 48-Volt-Dieselhybrid. Er kommt in der Produktion nur auf minimal höhere Kohlenstoffdioxid-Emissionen, kann aber im laufenden Betrieb zu Kraftstoff- und CO2-Einsparungen von bis zu 15 Prozent sorgen. Und somit in Ländern, in denen der Strom nicht grün genug produziert wird, sogar zur klimafreundlichsten Variante in der Vergleichsrechnung werden. SEG Automotive, hervorgegangen aus der Bosch-Sparte Starters & Generators, stellt unter anderem genau solche Systeme her.

Was gehört in die Analyse, was nicht?

Auch wir bei EDISON haben natürlich eigene Rechnungen angestellt – und dabei Emissionen aus der Produktion des Akkus, des „klassischen“ Autobaus, des deutschen Strommix, aber auch die Vorkette von Benzin und Diesel vom Bohrloch über die Raffinerie bis zur Tankstelle mit eingerechnet. Am Ende standen recht eindeutige Zahlen: Trotz des CO2-Rucksacks aus der Batteriefertigung schneidet das Elektroauto nach einer Fahrleistung von 40.000 Kilometern besser als ein Benziner und nach 50.000 Kilometern sogar besser als ein Diesel ab. Für Wenigfahrer also nicht die erste Wahl – was ja auch die SEG-Auswertung nahe legt.

Ist jetzt eine der Vergleichsrechnung besser als die anderen? Die Antwort ist ein klares Jein. Je mehr Faktoren man einrechnet, desto näher kommt das Ergebnis der vermeintlichen Realität. Gleichzeitig kann das Ergebnis aber auch ungenauer werden, weil es auf mehr und mehr Annahmen beruht. Für viele Faktoren gibt es schlichtweg keine allgemeingültige Größe. Ein Beispiel: Alleine bis das Benzin an der Tankstelle angekommen ist, wurden geschätzte 500 (Bayerisches Landesamt für Umwelt) bis 700 (Umweltbundesamt) Gramm CO2-Äquivalente pro Liter ausgestoßen. Rechnungen des Internationalen Instituts für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien tendieren eher zum höheren Wert. Heißt also: Alleine bei diesem Faktor weichen die Werte je nach Quelle um 30 Prozent voneinander ab. Ähnlich sieht es bei den Verbrauchswerten aus, die für die jeweiligen Autos angesetzt werden: Nimmt man den Normverbrauch nach NEFZ? Oder den neuen, strengeren WLTP? Oder greift man, wie der ADAC zu selbst ermittelten Verbrauchswerten aus dem EcoTest (die unter anderem wegen eines Vollgas-Abschnitts auf der Autobahn weit über jenen liegen, die Elektroautofahrer laut dem Portal Spritmonitor üblicherweise in der Praxis erzielen)? Auch hier ergeben sich mehrere Liter beziehungsweise Kilowattstunden Unterschied. Womit also rechnen?

Hinzu kommen die Prognosen: Wie entwickeln sich künftig die Nachfrage und die Preise nach Batterierohstoffen? Wie schädlich für Umwelt und Menschen ist deren Abbau heute, wird das in Zukunft so bleiben? Wie sauber wird der Strommix? Und wie umweltfreundlich wird die Förderung fossiler Brennstoffe? Wie sehr brauchen wir noch das eigene Auto in den Städten? Werden sich in einer fahrradfreundlichen Großstadt mit gut ausgebautem ÖPNV ganz andere Verkehrswege ergeben, so dass sich ganz andere Laufleistungen für unsere Autos ergeben? Hier haben wir schlechtweg keine Antwort, die sich in belastbare Zahlen fassen lässt.

Was zählt, ist der Tipping Point

Dennoch enthalten solche Vergleichsrechnungen aller Ungenauigkeiten zum Trotz sehr wichtige Aussagen: Elektroautos brauchen möglichst grünen Strom, sonst wandert die CO2-Emission lediglich vom Auspuff zum Kraftwerk. Abbau der Rohstoffe und Produktion der Batterie sind Themen, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen und auch schon vermehrt in den Fokus rücken. Bei Verbrennern gibt es große Potenziale, die die Hersteller in den kommenden Jahren erschließen müssen – ob als relativ simpler 48-Volt-Hybrid oder aufwändiger Plug-in. Darüber werden die Entwicklungen in der Batterietechnik und beim Strommix entscheiden, was sich wann als ökonomisch und ökologisch bessere Variante durchsetzt.

Klar ist aber auch: Mit steigender Laufleistung nimmt der Vorteil des Elektroautos zu – ob der Tipping Point ein paar Kilometer früher oder später kommt, sei geschenkt. Soll auch heißen, dass wir die Autos und die zur Produktion eingesetzten Rohstoffe entsprechend nutzen sollten. Wer sein Elektroauto mit eigenem Solarstrom lädt: Super. Wer dasselbe Elektroauto nach einer Leasinglaufzeit von drei Jahren mit 15.000 Kilometern Fahrleistung durch ein neues ersetzt: gar nicht super.

Eine Erkenntnis, für die es eigentlich keine Vergleichsrechnung braucht – nur etwas auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Menschenverstand.

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