Auf den ersten Blick ist die Neugestaltung der Mobilität in diesem Land eine Herkules-Aufgabe:
- Schon ökologisch ist alles andere als klar, in welcher Geschwindigkeit ein Ausstieg aus Verbrennungsmotoren sinnvoll ist: Ab wann ist der Strom in Deutschland wirklich so grün, dass die Klimabilanz neuer, energieintensiv hergestellter E-Autos deutlich besser ist, als die effizienter Diesel- und Verbrennungsmotoren?
- Doch die Herausforderungen der Mobilitätswende gehen viel weiter: Ökonomisch steht das Schicksal einer der deutschen Schlüsselindustrien auf dem Spiel. Wie schnell können sich die Automobilindustrie und ihre Zulieferer auf eine wirkliche Mobilitätswende einstellen? Haben sie angesichts der internationalen Dynamik überhaupt eine Wahl? Mit welchen politischen Maßnahmen kann die Mobilitätswende sinnvoll flankiert werden? Droht dem Stuttgarter Raum und anderen Schlüsselregionen der Automobilindustrie eine Entwicklung wie dem Ruhrgebiet ab den 80er-Jahren?
- Und schließlich ist die Mobilitätswende eine kulturelle Herausforderung: Junge urbane Milieus, die sich eine neue Stadtqualität mit weniger Autos wünschen, treffen auf eine ältere Generation, für die das Automobil Ausdruck eines tief verankerten Lebens- und Fortschrittsgefühls ist. Im Verkehr erstickende Ballungsregionen befinden sich in einer völlig anderen Situation als ländliche Regionen, in denen das Automobil die einzige Verbindung zu ärztlicher Versorgung, dem Sportverein oder dem Einkauf ist.
Doch genau in dieser Komplexität steckt eine gewaltige Chance für ein Jamaika-Bündnis: Denn die Mobilitätswende ist das ökologische Kernprojekt der kommenden Jahre. Es verbindet Verkehrs- und Energiewende und muss angesichts der Ressourcen-Intensität von Elektroautos eine Kreislaufwirtschaft von Anfang an mitdenken.
Große Aufgaben
Ohne Digitalisierung, autonomes Fahren und völlig neue Geschäftsmodelle wird die Mobilitätswende nicht gelingen. Sie ist daher ein Innovationsthema par Excellence. Die ökologische Wende wird damit zum Zukunftsthema, das nur mit einer überzeugenden Innovationspolitik gelingen kann.
Und gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass das Projekt die Menschen mitnimmt, auf dem Land, in weniger innovations-geneigten Milieus. Sie muss eine Chance darstellen für den Industriestandort Deutschland und für ein Land im demographischen Wandel und nicht nur für einen Tesla fahrenden Software-Entwickler.
Ob es gelingt, die Konturen einer Mobilitätspolitik der Zukunft zu entwerfen, wird daher einer der Lackmustests für eine mögliche Jamaika-Koalition. Dabei müssen die Partner gar keine fertige Blaupause am Anfang der Legislaturperiode liefern. Das kann heute angesichts der Komplexität der Herausforderung niemand leisten. Gefragt ist vielmehr ein klug aufgesetzter Prozess, der die oben skizzierten Eckpunkte im Blick hat: Ähnlich wie bei der Ethikkommission zur Vorbereitung der Energiewende könnte man sich auf eine Plattform mit allen betroffenen Gruppen verständigen, die einen über die Legislaturperiode hinausreichenden Umbauplan entwirft. Dieser wäre dann Grundlage für die politischen Entscheidungen einer neuen Koalition.