Die Historiker werden das Jahr 2017 rückblickend vielleicht einmal als Wendepunkt, als „Tipping Point“, in der Elektromobilität bezeichnen: Erstmals haben sich die Verkäufe gegenüber dem Vorjahr verdoppelt und damit das nötige Wachstum eingeleitet, um die gesetzten Ziele von Politik und Unternehmen zu erreichen. Die Hersteller haben allesamt Modelloffensiven gestartet und planen mit Verkaufsanteilen von 15 bis 25 Prozent ab 2025. Kurz vor Weihnachten provozierte VW-Vorstand Matthias Müller mit der Forderung, die Subventionen für den Diesel zugunsten einer Förderung für Elektromobile zu kürzen.
Gleichzeitig locken die Unternehmen aber Kunden mit Umtauschangeboten, damit sie neue Benziner oder Euro-6-Diesel kaufen. Aus der Politik gibt es keine klaren Signale – auch jetzt noch, wenn die ersten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge unmittelbar bevorstehen.
So werde ich auch im Freundeskreis immer häufiger gefragt: „Was soll ich denn jetzt für ein Auto kaufen?“ Berichte über Dieselskandal und Fahrverbote in Städten auf der einen sowie Negativberichte über teure, gar „dreckige Elektroautos“ und schlechte Infrastruktur auf der anderen Seite – wie soll sich der Kunde denn da richtig entscheiden?
Der Tausch alter Dieselautos gegen neue bringt fürs Klima gar nichts
Die Klimabilanzen von Elektroautos und Verbrennern umfassend zu vergleichen, ist immer noch sehr schwierig. Denn die Antriebe sind höchst unterschiedlich und die Datenlage ist noch sehr dünn. Es gibt zwar eine Reihe von Studien, aber die kommen mitunter zu höchst widersprüchlichen Ergebnissen.
Um dennoch eine einfache Antwort auf die Frage zu geben, die sich derzeit sicherlich sehr viele Menschen stellen, bemühe ich folgenden pragmatischen Ansatz: Die typische Lebensdauer eines PKW in Deutschland beträgt im Durchschnitt 18 Jahre, manche Modelle sind bis zu 26 Jahre alt, bevor sie verschrottet werden. Alle deutschen Hersteller liegen über dem Durchschnitt. Betrachten wir also einen Zeitraum von 18 Jahren und einen Diesel aus dem Jahr 2010 nach Euro-4-Norm, der somit noch bis 2028 gefahren werden könnte. Er emittiert typischerweise 155 Gramm CO2 pro Kilometer (g/km CO2). Ein Euro 6 Diesel kommt in 2016 auf 128 g/km CO2. Der Besitzer des alten Selbstzünders könnte also schon mal über eine Neuanschaffung nachdenken. Nützt dies aber wirklich dem Klima?
Einer aktuellen Studie zufolge trägt ein Verbrenner (Diesel oder Benzin) einen ökologischen „Rucksack“ von 7,2 Tonnen CO2-Äquivalent für Herstellung, Wartung und Entsorgung des Fahrzeugs mit sich herum. Als Maß für den Vergleich verschiedener Produkte werden in der Lebenszyklusanalyse alle Arten von Emissionen in sogenannten CO2-Äquivalenten ausgedrückt und summiert, um eine Vergleichbarkeit zu erleichtern. Ein Elektroauto kommt laut Klimabilanz des Instituts für Energie- und Umweltforschung auf 10,7 Tonnen, also knapp 50 Prozent mehr. Hinzu kommen dann die Emissionen in der Nutzungsphase für die Bereitstellung von Strom respektive Kraftstoff und die Auspuffemissionen.
Unser Euro 4 Diesel hat somit bei einer jährlichen typischen Fahrleistung von 17.000 Kilometern bis 2016 schon rund 23 Tonnen CO2 emittiert. Bis 2028 kommt er auf insgesamt 54,6 Tonnen. Verglichen damit könnte ich für die kommenden 10 Jahre von 2017 bis 2028 mit einem Euro 6 Diesel jährlich knapp 0,5 Tonnen oder insgesamt 5,5 Tonnen CO2-Emissionen einsparen. Da dieser aber erneut aus der Herstellung mit 7,2 Tonnen CO2 belastet ist, ist dies klimatisch die so gesehen ungünstigere Variante. Ich komme in der Mischkalkulation auf insgesamt 56,3 Tonnen – also mehr, als bei Weiternutzung des alten Diesels (siehe auch die Abbildung). Und im Übrigen: Wo verbringt denn der alte Diesel dann die restlichen mehr als 10 Jahre seines Lebens?
Ein Elektroauto hilft dem Klima schon heute
Tausche ich meinen Euro-4-Diesel gegen ein Elektroauto und fahre ab 2017 elektrisch (mit einem Verbrauch von 12,5 Kilowattstunden pro 100 Kilometer), so addiere ich zwar zu den 23 Tonnen Emissionen aus der Vergangenheit mit dem Diesel 10,7 Tonnen für das neue Elektroauto aus Herstellung, Wartung, Entsorgung hinzu. Zusätzlich schlagen während der Nutzung beim deutschen Strommix für die kommenden zehn Jahre nochmals rund zwölf Tonnen zu Buche. In Summe sieht die Bilanz mit knapp 46 Tonnen bis 2028 aber deutlich besser aus als beim Diesel – egal ob alter oder neuer.
Verlasse ich einmal das Szenario 2010-2028 und schaue auf heute, so lohnt sich die Anschaffung eines Elektroautos verglichen mit einem Diesel 6 der heutigen Generation ökologisch schon in 2020 unter denselben Annahmen. Und auch eine Elektroauto-Klasse mit höherem Verbrauch verschiebt diesen Zeitpunkt lediglich um ein Jahr nach hinten, wie die Abbildung unten zeigt.
Die während der Herstellung von Elektroautos anfallenden Emissionen sind zu einem Großteil der Batteriefertigung zuzuschreiben. In der Entwicklung wird an allen Stellschrauben gedreht, um diese deutlich zu reduzieren. Das gilt sowohl für den Einsatz von Rohstoffen als auch für den Energieaufwand in der Fertigung. Die in den USA entstehende Batteriefabrik von Tesla, die Gigafactory, soll komplett energieautark sein und soll ausschließlich mit Erneuerbaren Energien betrieben werden. Aller Voraussicht nach wird sich mit dem technischen Fortschritt der Emissions-„Rucksack“ eines Elektrofahrzeugs dem eines herkömmlichen Autos angleichen. Womöglich wird er sogar künftig kleiner.
Auch die Stadtluft profitiert
Bei allen Anlaufschwierigkeiten, unter denen Elektroautos in dieser noch frühen Phase am Markt leiden mögen, wie begrenzte Modellauswahl, hohe Anschaffungskosten oder fehlende Lade-Infrastruktur, sind sie ökologisch gesehen nicht nur im Hinblick auf die Gesamtbilanz, sondern vor allem auch für die Luftreinheit und Lärmbelastung in den Städten ein Gewinn.