Die Mobilitätsbranche leidet an Corona. Leider handelt es sich um einen schweren Verlauf. Die weltweiten Kontaktbeschränkungen haben den Bewegungsradius der allermeisten Menschen stark eingeschränkt. Der Flugverkehr ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Eine Insolvenz der Lufthansa ist möglich. Die Deutsche Bahn meldet einen zusätzlichen Kapitalbedarf von rund 10 Milliarden Euro. Die Autohersteller haben wochenlang ihre Produktion eingestellt, Absatz, Umsatz und Ergebnis sind rasant eingebrochen. Autohäuser und Zulieferbranche stehen teilweise mit dem Rücken zur Wand, es gab bereits erste Insolvenzen. Mobilitätsdienstleister wie Autovermieter, CarSharer, Taxidienste vermelden Umsatzeinbrüche um die 80 Prozent. Überall werden bereits staatliche Konjunkturprogramme zur Sicherung des Standortes Deutschland gefordert. Die Politik signalisiert grundsätzliche Handlungsbereitschaft.
Die Corona-Krise als Chance verstehen
Aber reicht eine Sicherung des Standortes Deutschland? Muss die Krise nicht vielmehr als Chance verstanden werden, Versäumtes aus den letzten Jahren nachzuholen, verlorene Spitzenpositionen wieder zurück zu reklamieren oder den vorhandenen Vorsprung auszubauen? Bereits vor Corona zeichnete sich ab, dass vor allem die deutsche Automobilindustrie ihre jahrzehntelange Impulsgeberrolle verloren hatte. Tesla treibt die Elektromobilität voran, Google das autonome Fahren und Uber die Skalierung von Mobilitätsdienstleistungen. In diesem Spiel sind deutsche Unternehmen aktuell nur noch Fast Follower.
Die Brüder Sixt zitieren in diesen Tagen immer wieder Ayrton Senna und seine Aussage „You can not overtake 15 cars in sunny weather…but you can when it is raining“. Das ist die Einstellung, mit der Deutschland durch die Krise gehen sollte.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aus dem Jahr 2014 über Strategien zur Sicherung des Innovationserfolges von Unternehmen in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09. Erfolgreiche Unternehmen haben in diesen Jahren die Innovationsausgaben im Vergleich zum eigenen Umsatz und zum Wettbewerb gesteigert und konnten nach der Krise hiervon nachweislich profitieren. Öffentliche Fördergelder waren hierbei ein wichtiger Impulsgeber.
Zukunftskonzepte gezielt fördern
Die Untersuchung kann ein genereller Wegweiser für die nächsten Monate werden, um nach der Krise gestärkt aus dieser hervorzugehen. Bezogen auf die Mobilitätsbranche sind die Voraussetzungen in Deutschland hierfür hervorragend. Wir verfügen nach wie vor auch im weltweiten Vergleich über extrem starke Unternehmen. Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, Volkswagen, Daimler, BMW, Sixt und viele weitere gehören zur absoluten Weltklasse. Die deutsche Politik hat in den letzten Jahren vernünftig gewirtschaftet, die Schuldenquote gesenkt und kann jetzt aus dem Vollen schöpfen. Trotzdem kann nicht alles gefördert werden.
Es bedarf daher eines politischen Gesamtkonzeptes, das Konjunkturanreize gezielt einsetzt, um die gesamte mobile Wertschöpfungskette aus Zulieferern, Automobilherstellern, Händlern und Mobilitätsdienstleistern in strategischen Zukunftsfeldern zu fördern. Die Industrie und Dienstleister sind Ihrerseits aufgefordert, bisherige Strategien zu aktualisieren und Zukunftskonzepte schnell und fokussiert zu entwickeln und umzusetzen. Hierbei ist ein offener Dialog zwischen Politik und Wirtschaft erforderlich, der auch Versäumnisse aus der Vergangenheit thematisiert, um daraus Erkenntnisse für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ableiten zu können.
Zukunftskonzepte fördern
Schwerpunkte können dabei sein:
- Förderprogramme für Innovationen im Bereich der alternativen Antriebe (Elektromobilität, Brennstoffzelle, etc.) für Zulieferer und Fahrzeughersteller;
- Förderung von Unternehmen, die Innovationen im Bereich von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz vorantreiben;
- Zügiger Ausbau einer flächendeckenden 5G-Infrastruktur als eine der wesentlichen Voraussetzungen für hochautomatisiertes und vollautonomes Fahren;
- Staatlich unterstützte Investitionen in öffentliche und nicht-öffentliche Ladeinfrastruktur zur Überwindung des Henne-Ei-Problems beim Ausbau der Elektromobilität;
- Gezielte Anreize für Kauf und Nutzung stark emissionsarmer und (besser noch) emissionsfreier Fahrzeuge;
- Schnelle Überarbeitung und Implementierung der regulatorischen Rahmenbedingungen für Mobilitätsdienstleistungen, unter anderem die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes (z.B. Entfall der Ortskundeprüfung, Entfall der Rückkehrpflicht für Mietwagen, sozialverträgliche Modernisierung der Beförderungsentgelte) und die Anwendung des CarSharing-Gesetzes (gezielte Privilegierung von Sharing-Angeboten im öffentlichen Parkraum);
- Förderung von Mobilitätsdienstleistern, die einen aktiven Beitrag zur Verkehrswende leisten (Bahn, ÖPNV, elektrische Sharing-Angebote, Pooling-Dienste, Multimodal- und Plattformangebote usw.), zum Beispiel durch die Besserstellung von Mobilitätsbudgets gegenüber Dienstwagen oder über einen einheitlich reduzierter Mehrwertsteuersatz von 7% für alle Angebote.
Ein solches Programm würde nicht nur die kurzfristigen Folgen der Krise abmildern, sondern deutschen Unternehmen einen mittel- bis langfristigen Wettbewerbsvorteil auf dem globalen Markt verschaffen.
Jetzt ist die beste Zeit, um zum Überholen anzusetzen.