Wer wissen will, warum der öffentliche Nahverkehr umsonst sein sollte, muss nur nach Köln schauen. Dort bezahlen Fahrgäste drei Euro für Fahrten durch eine vergleichsweise kleine Stadt. Die Abfahrtszeiten gelten unter den Einheimischen eher als „grobe Richtlinien“. Auf Durchsagen, wenn wieder eine Verbindung ausfällt, wartet man an den Haltestellen ohnehin meist vergebens. Böse Zungen behaupten sogar, die Carsharing-Dienste DriveNow und Car2go seien deshalb so erfolgreich, weil die Kölner wenigstens Bewerbungsgespräche und Flughafen pünktlich erreichen wollen.

Wenn die Groß-Koalitionäre nun den kostenlosen Nahverkehr diskutieren, dann winkt der Chef der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) Jürgen Fenske ab: „Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten.“ Das stimmt. Aber Fenske, gleichzeitig Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, ist auch seit neun Jahren im KVB-Vorstand. 2016 forderten Linke und Piraten im Stadtrat ein „Bürgerticket“. Der Verkehrsclub Deutschland veröffentlichte schon 2012 ein Hintergrundpapier zum Thema.

Da fragt man sich: Warum hat der Mann immer noch keinen Plan für ein solches Bürgerticket in der Schublade? Will er gar keine Fahrgäste? Warum auch immer: Diese Zeit fehlender Visionen muss jetzt ihr Ende finden.

Exklusiver Bahnverkehr für Besserverdiener

Die estnische Hauptstadt Talinn oder die französischen Gemeinde Aubagne haben schon solche Gratis-Angebote. Initiativen wie Schlaubus in Grevenbroich oder Ticketteilen in Berlin denken ebenfalls in diese Richtung. In Hessen gibt es bereits ein Gratis-Nahverkehrs-Ticket – allerdings nur für Beamte, was den ramponierten Ruf der Verkehrsunternehmen als Subventionslöcher mit dicken Pensionszahlungen nicht geradebiegen wird.

Wenn der ÖPNV aber nur noch eine kleine Veranstaltung für Besserverdiener in Innenstädten ist und dank jährlicher Preissteigerungen auch bleibt, dann kann man ihn abschaffen. Dabei sind die hohen Preise unnötig, wie der Blick nach Köln zeigt: Die KVB nahm 2016 genau 188 Millionen Euro mit Zeittickets ein (überwiegend Kölner Bürger) und 56 Millionen mit Bartickets. Unterm Strich bleibt ein Verlust von über 76 Millionen Euro, den der Steuerzahler trägt. (Im Vorjahr 88 Millionen.) Wer sich kein Auto leisten kann, subventioniert nicht nur den ÖPNV mit seinen Steuergeldern, sondern zahlt dazu auch noch die teuren Tickets.

Würden die Kölner Steuerzahler auch die aktuellen Ticketeinnahmen übernehmen, müsssten sie statt 76 etwas über 300 Euro im Jahr an die KVB zuschießen. Das entspricht rund 80 Einzelfahrten oder zwei Innenstadt-Monatstickets mit Fahrrad. Es ist nicht wenig, aber auch keine immense Belastung.

Ein Paar, das von Köln in die Nachbarstadt Bonn pendelt, bezahlt schon wahnwitzige 433,40 Euro im Monat. Und steigt im Zweifel aufs Auto um. Im Stau auf der A59 steht es sich einfach günstiger.

Zeit der Visionen bricht an

Aber in Zeiten, in denen die versteckten Kosten der Umweltverschmutzung von Autos nicht mehr auf die Allgemeinheit umgelegt werden sollen, in denen Anwohner, Umweltschützer, Politiker und Gerichte für saubere Städte kämpfen, muss der ÖPNV in die Bresche springen. Es gibt immer gute Gründe gegen einen Ausbau – München baut ja schon, heißt es von dort. In Köln sollte die Linie unter dem eingestürzten Stadtarchiv eigentlich Nadelöhre auflösen.

Aber es gibt so viele gute Gründe, noch beherzter auf einen Gratis-ÖPNV umzusteigen (unten sind alle aufgelistet), dass man die Entscheidung darüber nicht mehr ÖPNV-Provinzfürsten überlassen darf. Endlich fallen überflüssige Jobs weg: Keine Kontrolleure mehr, keine Automatenentleerer, niemand muss mehr über Tarife grübeln oder Azubi-Bescheinigungen durchgehen. Stattdessen: mehr Bahnfahrerinnen, Technikerinnen und kreative Köpfe im Fahrgastmanagement.

Dazu kommen neue Busse, Bahnen, Schienen, muss alles auch gebaut werden und ist teuer, schon klar. Dafür fällt aber auch eine Menge weg: Arztkosten (Stickoxide verursachen Entzündungen, zudem gibt es viele Unfälle in Städten), Umweltkosten (etwa der globalen Erwärmung), ohne Probleme ließen sich im Gegenzug Parkgebühren erhöhen, Mautgebühren für Autos ohne blaue Plakette oder Nicht-Anlieger einführen und mehr Arbeitsplätze gibt es auch.

Es ist aber vor allem die Chance, vom autozentrierten Verkehr wegzukommen. Ein kostenloser ÖPNV ist da nur der Anfang: Es braucht kluge Systeme, um den Andrang in Stoßzeiten abzumildern und den Radfahr-Boom nicht zu bremsen. Die Kölner Verkehrsbetriebe bieten Bikesharing übrigens schon an. Dazu gehören aber auch die Elektromobilität, das autonome Fahren, neue Räume in den Innenstädten – und wenn wir uns nie trauen, diese Revolution anzugehen, uns mit visionärer Vernunft daran machen, neue Verkehrssysteme einfach mal auszuprobieren – dann werden uns Parkplatznot, Abgase, Lärm und Unfälle noch lange begleiten.

Gründe für einen kostenlosen ÖPNV:

  • Er ist umweltfreundlicher: weniger CO2-Emissionen, Feinstaub, Abgase, Stickoxide, Baumaterialien für Autos
  • Sinkende Gesundheitskosten durch Abgase
  • Weniger Autos im Stadtbild, weniger Parkplatznot, weniger Unfälle
  • Sinkende Gesundheitskosten insb. durch schwere Unfälle
  • Keine Fahrkartenautomaten, Entwerter, Kontrollen und damit verbunden Kosten
  • Mehr Tourismus
  • Keine Prozess- und Haftkosten für Schwarzfahrer
  • Effizienterer Betrieb durch höhere Auslastung bei Nicht-Stoßzeiten
  • Deutliche Zunahme von Park&Ride durch wegfallende Doppelkosten für Auto- und Bahnfahrt
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