Die Dimensionen von Offshore-Windenergieanlagen (WEA) sind gigantisch. 1000 Tonnen schwer, Rotordurchmesser von bis zu 150 Metern Länge und Leistungen von sechs Megawatt (MW) sind längst Standard. Siemens Gamesa arbeitet bereits an einer 15-MW-Anlage, die einen Rotordurchmesser von über 200 Meter hat.

Egal ob an Land oder auf See – bei den Herstellern von Windenergieanlagen gilt nur eines: think big. Es geht aber auch anders. Statt in gigantischen Dimensionen zu denken, gibt es auch die Tiny-Variante. Kleinwindenergieanlagen haben sich bisher am Markt nicht durchgesetzt und fristen schon seit Jahren ein Nischendasein. Sie haben jedoch das Potenzial, zur Energiewende mit beizutragen. Davon sind Holger Seidlitz vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Wildau und Christian Beloch, Geschäftsführer der EAB Gebäudetechnik in Luckau, überzeugt. Schließlich benötigen laut Angaben des Bundesumweltamts Privathaushalte für die Erzeugung von Strom und Wärme rund ein Viertel der gesamten Energie, die in Deutschland verbraucht wird. Dabei wird gut die Hälfte der Energie aus Erdgas und Erdöl gewonnen.

Elektrolyseur verwandelt Windenergie in Wasserstoff

Die Vision des Wissenschaftlers und des Unternehmens aus Brandenburg ist charmant. Sie wollen die technischen Voraussetzungen für eine Windenergieanlage schaffen, die in einem privaten Garten aufgestellt werden kann. Zugegeben, in einen großen Garten. Denn immerhin hat die kleine WEA noch 1,50 Meter lange Flügel und ist zehn Meter hoch. Eine Genehmigung von der Baubehörde wird für die Aufstellung allerdings nicht benötigt. „In den meisten Bundesländern reicht dafür eine Bauanzeige“, erklärt Beloch.

Klein, leicht und möglichst effizient 
So innovativ wie die im 3-D-Drucker entstandene Form ist die Fertigung der aus Faserverbundstoffen bestehenden Rotorblätter, Marcello Ambrosio betreut das Projekt am Fraunhofer-Institut IAP. Foto: Fraunhofer
Klein, leicht und möglichst effizient
So innovativ wie die im 3-D-Drucker entstandene Form ist die Fertigung der aus Faserverbundstoffen bestehenden Rotorblätter, Marcello Ambrosio betreut das Projekt am Fraunhofer-Institut IAP. Foto: Fraunhofer

Die aus dem Wind gewonnene Energie kann entweder selber verbraucht oder über einen kleinen Elektrolyseur in Wasserstoff umgewandelt und für Zeiten aufbewahrt werden, in denen der Bedarf an Strom besonders hoch ist. Anders als bei Batteriespeicher kann Wasserstoff fast unbegrenzt gelagert werden, ohne dass die kostbare Energie verloren geht. Optimal ist dies, wenn auch noch über die PV-Anlage auf dem Dach Strom gewonnen und ebenfalls für die Produktion von Wasserstoff genutzt wird. Im Herbst und Winter, wenn sich die Sonne kaum blicken lässt, wandelt eine Brennstoffzelle den Wasserstoff in Strom um und kann zum Heizen, Kochen oder für die warme Dusche genutzt werden. Steht auch noch ein Wasserstoffauto vor der Tür, kann sogar zuhause „getankt“ werden – was die Infrastrukturprobleme für H2-Autos lösen würde. Auch der kostspielige Netzausbau kann reduziert werden, wenn die Hausbesitzer „Strom-autark“  sind.

Effiziente Flügel und sichere Tanks

Das Minikraftwerke für den Privathaushalt ist ein verlockendes Szenario, das zwar noch nicht marktreif ist. Doch die Leichtbauspezialisten Seidlitz und Beloch haben die ersten Schritten dahin unternommen. Sie entwickeln dafür die Schlüsseltechnologien: kleine, leichte und damit effiziente Flügel sowie sichere Tanks für die Aufbewahrung von Wasserstoff, der mit Schnittstellen für den Elektrolyseur und die Brennstoffzelle ausgestattet ist. „Die Stärke des Konzepts besteht vor allem darin, dass das ganze System klein und trotzdem sehr effizient ausgelegt ist“, betont Seidlitz.

Leichtbauspezialist
 Holger Seidlitz vom IAP in Wildau. Foto: Fraunhofer
Leichtbauspezialist
Holger Seidlitz vom IAP in Wildau. Foto: Fraunhofer

Anders als bei den die gigantischen Geschwistern und auch anders als bei anderen Kleinwindanlagen, sollen die Flügel selbst dann noch Strom erzeugen, wenn nur ein laues Lüftchen weht. Die Trägheit wird mit einer Leichtbauweise überwunden und die „Windausbeute“ mit einer geschickten Aerodynamik optimiert. Das Gewicht wurde im Vergleich zu einem herkömmlichen Flügel einer Kleinwindanlage um 30 Prozent reduziert, dabei die Fläche um 45 Prozent erhöht. Ausgelegt ist die Anlage mit einer elektrischen Leistung von 2,5 Kilowatt (kW) für das Brandenburger Gebiet mit Jahresdurchschnittsgeschwindigkeiten von etwa vier Meter pro Sekunde auf zehn Meter Höhe. „Wir haben uns nicht auf Spitzenleistungen konzentriert, sondern wollen mehr Betriebsstunden schaffen“, erklärt der Unternehmer Beloch. Ob die kleine Anlage einen Vier-Personen-Haushalt mit Strom versorgen kann, hängt von der Topografie ab – angrenzende Häuser und Bäume erzeugen Windturbulenzen. Die beeinträchtigen den Wirkungsgrad extrem.

Flexible Flügel drehen sich in den Wind

Das Know-how liegt in den Laminatschichten, die für eine optimale Anströmung ausgelegt sind. „Wir haben die Effizienz in die Rotorblätter gelegt“, erklärt Beloch. Die extrem biegsamen Flügen drehen sich bei Starkwind alleine aus dem Wind raus, um die Last zu verringern und einen Schaden zu vermeiden. Diese sogenannte Biege-Torsionskopplung passt sich selbstständig den Windverhältnissen an und verringert bei höheren Windgeschwindigkeiten die Angriffsfläche. Auf komplizierte Steuertechnik und aufwändige Mechanik kann damit verzichtet werden. Seidlitz: „Diese Funktionsintegration durch geschickte Ausnutzung des Werkstoffverhaltens ist ein Beitrag für Leichtbau 4.0.“

Innovativ ist auch die Herstellung der aus Faserverbund bestehenden Schwachwind-Rotoren. Die für dafür benötigte Form kommt aus einem gigantischen 3D-Drucker – einem der größten in Deutschland, der hochpräzise Formwerkzeuge bis zu einer Größe von rund zwei mal zwei Metern in etwa fünf Stunden herstellt. Seidlitz: „Normalerweise werden Formwerkzeuge aus Polyrethanblöcken gefräst – eine Arbeit, die sechs bis sieben Tage dauert.“ Ein weiterer Vorteil: Der 3D-Drucker stellt die Werkzeuge aus einem thermoplastischen Kunststoff her, der nach dem Ende seiner Lebenszeit geschreddert und dann wieder für eine neue Form verwendet werden kann. „Ein nachhaltiges Verfahren und ein evolutionärer Schritt“, erzählt der Wissenschaftler fasziniert.

Ebenso innovativ ist die eigentliche Produktion der Rotorblätter, die ein „Automated Fiber Placement (AFP)“ übernimmt. Die Anlage ermöglicht einen vollautomatisierten Fertigungsprozess von Bauteilen aus Verbundwerkstoffen, bei dem robotergeführt faserverstärkte Kunststoffbänder entlang eines vorgegebenen Pfads auf der Werkzeugoberfläche abgelegt werden. Ein Verfahren, das bisher vor allem in der Öl- und Gasindustrie, aber auch der Luft- und Raumfahrt eingesetzt wird. „Im Unterschied zum Verlegen per Hand gibt es hier weniger Überlappungen, sodass wir deutlich die Maße reduzieren können“, erklärt der Maschinenbau-Ingenieur Marcello Ambrosio, der das Projekt am Fraunhofer IAP betreut.

Praxistest startet noch im Sommer

Die entwickelten Flügel werden in den kommenden Wochen an einer herkömmliche WEA montieret, die im Garten einer Privatperson steht. Bereits vor einem Jahr wurde an dem Standort eine Kleinwindanlage aufgestellt und Daten gesammelt, die mit den Werten der neuen Flügel in einem Langzeittest verglichen wird – „und möglicherweise unsere Erwartungen übertrifft“, so die Hoffnung von Beloch. Die Rotorblätter sind nicht nur leichter und größer. Auch die Handhabung soll leichter und die Regelung besser werden. „Wir wollen keinen Montage-Albtraum generieren“, so Seidlitz. Doch damit beschäftigt er sich erst im nächsten Stepp.

Die Nase in den Wind
Horizontal arbeitende Kleinwindkraftanlagen gibt es fast seit Menschengedenken. Auf Wohnhäusern können sie für relativ kleines Geld bis zu 5 Kilowatt Strom erzeugen. Foto: Jüttemann

Auch für die Tanks zur Speicherung des Wasserstoffs hat das Forscherteam eine interessante Lösung. Die normalerweise aus Stahl bestehenden Tanks sollen aus Carbonfaserstreifen hergestellt werden, die auf einen zylindrischen Körper aufgewickelt werden. Mit Kunstharz getränkt, härten diese zu einem Tank aus, der viele hundert Bar Druck aushält. Um Leckagen zu detektieren, bauen die Experten in den Behälter Sensoren ein. „Aktuell arbeiten wir mit 3D-Druckern, die elektrisch leitfähige Tinten verarbeiten können“, erklärt Ambrosio. „Diese arbeiten wir direkt in den Faserverbund ein.“ Selbst kleine elektronische Bauteile können die Forscher in die Tankwand integrieren. Dieses Frühwarnsystem ist eine wichtige Voraussetzung für einen künftigen sicheren Einsatz beim Endkunden.

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