Die bifasziale Idee fasziniert. Solarzellen fangen bei dieser Technik das Licht der Sonne nicht nur direkt ein, sondern auch indirekt – nämlich das, was von der Umgebung reflektiert wird. Das müsste den Ertrag steigern, sagt schon der gesunde Menschenverstand. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Über einen Wirkungsgrad von 16 Prozent kam die bifaziale Zelle bislang nicht hinaus. Konventionelle Siliziumzellen sind mit einem Wirkungsgrad von bis zu 26 Prozent deutlich effektiver. Gallium-Arsenid-Zellen kamen im Labor sogar schon auf einen Wirkungsgrad von 41,1 Prozent. 

Das hat sich jetzt geändert. Wissenschaftler am interdisziplinären Forschungsinstitut für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung (Empa) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben eine Solarzelle entwickelt, die gleich auf gut 30 Prozent kommt. Mehr noch: Weil es sich um eine Dünnschichtzelle handelt, die verschwindend wenig Material benötigt, bleiben die Kosten niedrig.

Solarzellen-Forscher
Empa

Die Forscher in der Schweiz haben sich für Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS) entschieden. PV-Module, die auf Dächern montiert sind, liefern mit dieser Technik weitaus mehr Strom als Siliziumzellen. Vor allem dann, wenn der Untergrund weiß ist, Sonnenlicht also optimal reflektiert.

Solarzäune auf dem Acker

Bifaziale Solarzellen sind nichts Neues. Sie werden sogar schon kommerziell eingesetzt, vor allem in der Agrifotovoltaik. Hier stehen sie senkrecht, was für den direkten Sonneneinfall alles andere als optimal ist. Da sie aber während des gesamten Laufs der Sonne Strom erzeugen fällt das weniger ins Gewicht, mehr noch: Die Energieerzeugung verteilt sich gleichmäßiger über den Tag und der Peak um die Mittagszeit bleibt aus. Damit vergleichmäßigt sich das Stromangebot. Und es reduziert die Notwendigkeit, Pufferspeicher zu installieren, die die zur Mittagszeit übermäßig produzierten Strommengen auffangen, um sie in sonnenarmen Zeiten wieder einzuspeisen.

Next2Sun mit seinen Zentralen in Dillingen im  Saarland und Saalfelden im österreichischen Pinzgau baut bereits derartige Agrifotovoltaikanlagen, aber auch bifaciale Solarzäune – Grundstückseinfriedungen mit Solarmodulen zwischen den Pfosten (siehe Foto).

Prise Silber brachte den Erfolg

Die Empa-Forscher hatten zunächst Ursachenforschung betrieben. Warum, so fragten sie sich, lässt sich der Wirkungsgrad nicht steigern? Und sie wurden überraschend schnell fündig. Da die fotoelektrischen Schichten bei Temperaturen um 550 Grad Celsius aufgebracht werden, reagiert das Gallium mit Luftsauerstoff zu Galliumoxid, das den photovoltaisch erzeugten Strom bremst.

Wenn sich diese Reaktion stoppen ließe, müsste der Wirkungsgrad in die Höhe schnellen, dachte sich Ayodhya N. Tiwari, Leiter des Empa-Labors für Dünnschicht und Photovoltaik. Deshalb beauftrage er seinen Doktoranden Shih-Chi Yang, einen Niedertemperatur-Abscheidungsprozess zu entwickeln, um die Entstehung von Galliumoxid ganz oder weitgehend zu verhindern. Auch das ging leichter als zunächst befürchtet: Durch Zugabe nur einer Prise Silber gelang es Yang, den Schmelzpunkt der CIGS-Legierung herunterzudrücken. Jetzt lassen sich die Lichtabsorberschichten mit guten elektrischen Eigenschaften bei einer Temperatur von nur noch 353 Grad abscheiden.

Das schlug sich in einem drastisch verbesserten Wirkungsgrad nieder: Die Zelle wandelte nun auf der Vorderseite 19,8 Prozent des Sonnenlichts in elektrische Energie um und 10,9 Prozent auf der Rückseite. Die Werte bestätigte inzwischen auch das (an der Entwicklung nicht beteiligte) Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg, das zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen in diesem Bereich gehört.

Wirkungsgrade von 33 Prozent im Tandem

Es könnte in Zukunft sogar noch besser kommen. Laut Tiwari hat die bifaziale CIGS-Technologie das Potenzial, Wirkungsgrade von mehr als 33 Prozent zu erreichen. Erst recht, wenn sie Teil einer so genannten Tandemzelle wird. Das sind Module mit zwei übereinanderliegenden Zellen, deren obere transparent ist. Beide sind so ausgelegt, dass sie ein bestimmtes Spektrum des Sonnenlichts absorbieren. Tiwaris Team kombinierte die bifaziale CIGS-Technik mit einer Perowskit-Zelle, die Sonnenlicht besonders effektiv einfängt. Allerdings lässt die Lebensdauer dieser Konstellation noch zu wünschen übrig.

Die Perspektiven für die Forscher sind gleichwohl gut: Nach der „International Technology Roadmap of Photovoltaics“, einem Plan für die Zukunft der Fotovoltaik, den die Industrie entwickelt hat und fortschreibt, können bifaziale Solarzellen bis 2030 einen Marktanteil von 70 Prozent erobern.

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