Die Zahl der Interessenten für Wasserstoff ist lang. Die Stahlindustrie will damit zum Klima-Musterknaben werden, die Schifffahrt und einige Nutzfahrzeuge auch. Ebenso wie die Stromversorger, die jetzt auf Geheiß der Politik neue Erdgaskraftwerke bauen sollen, um wetterbedingte Stromlücken zu stopfen. Später sollen diese auch Wasserstoff (H2) verstromen. Dazu kommt die Chemieindustrie, die heute fast ausschließlich grauen Wasserstoff nutzt, und zwar in gewaltigen Mengen – grauer Wasserstoff wird aus Erdgas hergestellt. Das dabei entstehende Kohlenstoffdioxid landet in der Atmosphäre und verschärft so den Klimawandel.

Dass es 2030, wenn RWE das erste lupenreine Wasserstoffkraftwerk am Standort Weisweiler bei Aachen in Betrieb nimmt, genügend grünen Wasserstoff gibt, ist fraglich, und erst recht, ob die übrigen Interessenten auch zum Zuge kommen. Denn Wasserstoff muss großenteils importiert werden. In Australien, Namibia, Chile und Nordafrika be- und entstehen zwar riesige Wind und Solarparks, die Strom für die Herstellung von grünem Wasserstoff produzieren können. Doch für die ganze Welt werden die Produktionsmengen auf absehbare Zeit nicht reichen.

Humber H2ub-Projekt
Am Standort von Uniper im britischen Killingholme sollen mit Shell-Technologie schon bald Wasserstoff mit einem Energiegehalt von 720 Megawatt aus Erdgas gewonnen werden. CO2 wird dabei abgeschieden und über eine Pipeline in die Nordsee geleitet und dort auf Dauer in den Untergrund verpresst. Foto: Uniper

Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris weist im Global Hydrogen Review 2023 sehr nachdrücklich darauf hin, dass die überaus ambitionierten Ziele einer Vielzahl von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern nicht im Einklang zu den tatsächlichen Plänen zur Herstellung von grünem Wasserstoff stehen. Die Projektpipeline sei zwar lang, aber nur für vier Prozent liegen aktuell zumindest finale Investitionsentscheidungen vor. Währenddessen erhöht die Wasserstoffstrategie der deutschen Bundesregierung die eigenen Ambitionen bezüglich des Markthochlaufs, indem sie das Ziel der Eigenerzeugung verdoppelt und sich gleichzeitig zur Notwendigkeit eines großskalierten Imports aus verschiedenen Weltregionen bekennt.

CO2 wird abgeschieden und eingelagert

Das German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in Bonn, eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und Denkfabrik zu Fragen globaler nachhaltiger Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik, die zu 75 Prozent vom Bund und zu 25 Prozent vom Land Nordrhein-Westfalen getragen wird, sieht als Ausweg aus dem Dilemma das Hochlaufen von blauem Wasserstoff an. Dieser wird aus Erdgas gewonnen, doch das klimaschädliche CO2 wird abgetrennt und dauerhaft unterirdisch gelagert. Diese Technik ist in Norwegen, den USA und Kanada bereits seit langem erprobt. Auch ein deutscher Test im brandenburgischen Ketzin war erfolgreich. Prompt folgte ein Verbot der CO2-Endlagerung, die Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klima, jetzt allerdings aufheben will.

Erdgas ist noch in überraschend großen Mengen auf der Erde förderbar. Bei gleichbleibendem Verbrauch würde es noch 50 Jahre reichen. Das ist eine konservative Schätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover.

Deutlich niedrigere Kosten

IDOS nennt drei Argumente, die für blauen Wasserstoff sprechen: Laut IEA lagen die Kosten für blauen H2 2021 bei 1,5 bis 3,6 Dollar je Kilogramm und für grünen H2 bei bis zu zwölf Dollar pro Kilogramm. Zwar könne bis 2030 Kostenparität zwischen beiden „Farben“ erreicht wird, jedoch sei das mit großen Unsicherheiten verbunden. Zweitens könnten Anlagen zur Erzeugung von blauem H2 mit teilweise seit Jahrzehnten genutzten Techniken gebaut werden. Drittens und für Deutschland besonders relevant sei die Tatsache, dass blauer H2 in großem Maßstab aus der europäischen Peripherie oder Nachbarschaft (Norwegen, Großbritannien, Mittlerer Osten) bezogen werden kann, teilweise sogar besonders preisgünstig per Pipeline.

Experten streiten noch

„Blauer H2 ist aber nicht emissionsfrei“, so die IDOS-Experten. Problematisch seien vor allem Methanemissionen am oberen Ende der Kette, also bei der Gewinnung und dem Transport von Erdgas. Wobei das bei den potenziellen und bereits aktiven Ländern, die Deutschland beliefern, kaum ins Gewicht fällt. Es sei allerdings das Risiko eines „Lock-Ins“ gegeben. „Hat sich erst einmal eine funktionierende blaue Wasserstoff- und CO2-Speicher-Industrie herausgebildet, wird es schwer werden, den Umstieg auf die klimapolitisch erste Wahl des grünen H2 zu bewerkstelligen“, mahnen die Experten und empfehlen der deutschen Politik, frühzeitig Strategien zu entwickeln, um das Ziel einer grünen und nicht blauen Wasserstoffökonomie zu verfolgen.

„Mit modernen CO2-Abscheidungstechnologien kann praktisch das gesamte in der Wasserstoffproduktion erzeugte Klimagas abgeschieden werden“, sagt hingegen Mijndert van der Spek vom renommierten Paul Scherrer Institut in der Schweiz, der die Klimaverträglichkeit von blauem Wasserstoff genauestens untersucht hat. Damit könne blauer Wasserstoff eine Schlüsselrolle beim Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft spielen. Ganz anders das Umweltinstitut München. Es kanzelt den „fossilen“ Wasserstoff gleich als „Klimazerstörer“ ab.

Methanol aus blauem Wasserstoff

Attraktiv ist vor allem die Schnelligkeit, mit der ein Übergang beginnen könnte, wenn die Entscheidung für blauen Wasserstoff fallen sollte. Bereits heute könnte Erdgas mit bis zu 20 Prozent Wasserstoff angereichert werden. Damit würden existierende Kraftwerke, industrielle Anlagen, Gewerbe und Haushalte, die Erdgas zur Strom- und Prozesswärmeerzeugung sowie zum Heizen und Kochen nutzen, sehr schnell weniger CO2 emittieren. Zudem wären die Kosten leicht tragbar, weil die Infrastruktur wie Pipelines zur Verteilung des Gases vorhanden sind. Aus blauem H2 ließe sich sogar mit CO2 aus der Atmosphäre Methan bzw. Methanol hergestellt werden, das Erdgas noch schneller verdrängen könnte. Und mit dem sich sogar Autos vergleichsweise klimafreundlich wie kostengünstig bewegen ließen – der ehemalige Audi-Ingenieur Roland Gumpert macht sich dafür stark.

Alternativ könnte der Wasserstoffanteil weiter gesteigert und damit die Klimagasemissionen gesenkt werden, bis das Erdgas völlig verdrängt ist, eventuell sogar zu einem nennenswerten Teil durch grünen Wasserstoff. Die Politik muss nur den Mut dazu aufbringen.

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3 Kommentare

  1. Peter Bickel

    Die Idee des großflächigen Einsatzes von blauem, angeblich klimaneutralem Wasserstoff ist weitgehend Illusion. Dem Artikel muss man fehlenden Sachverstand (oder gar Irreführung?) vorwerfen, wie käme man sonst auf die abstruse Idee „Aus blauem H2 ließe sich sogar mit CO2 aus der Atmosphäre Methan bzw. Methanol“ herstellen – d.h. vom Erdgas (=Methan) trennt man zuerst CO2 ab und macht aus dem entstehenden Wasserstoff mit CO2 wieder Methan? Und das auch noch mit energie- und kostenintensiv aus Luft gewonnenem CO2?? Und so einen Unsinn darf man öffentlich verbreiten …

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    • Franz W. Rother

      Wenn man Methan oder Methanol verbrennt, das aus blauem Wasserstoff und CO2, das aus der Luft gewonnen wird, wird wieder genauso viel CO2 frei wie zuvor gebunden worden ist. Der Prozess ist also klimaneutral. Wenn man Erdgas verbrennt, wird die übliche Menge an CO2 frei. Genau das ist der Unterschied.
      Dass der Energieaufwand hoch ist ist richtig, doch genutzt wird bei einem solchen Prozess grüner Strom, der emissionsfrei ist.

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  2. Kai Neumann

    Schon die Sprachwahl zeigt, wie eingefärbt der Artikel ist. Was erst knapp ist reicht dann plötzlich auch für Autos. Die eigentliche Mangelware für die Grundstoffchemie und den Treibstoff für Flugzeuge ist Kohlenstoff. Den aus Erdgas statt aus Pflanzen und der Luft zu nehmen, ist einfach nicht zu Ende gedacht.

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