12.29 Uhr war die Nachricht in der Welt: Per E-Mail teilte die Schweizer Familie Ouboter mit, der von ihr erfundene elektrische Kabinenroller Microlino rollt erst später als geplant zu den Kunden. Die Begründung für die Verzögerung war selten unverblümt. Der Auftragsfertiger des knuffig-kugeligen Gefährts namens TMI aus dem westfälischen Delbrück liefere nicht die richtige Qualität, schrieb Firmenchef Wim Ouboter. Und es gebe Uneinigkeiten mit dem neuen Geschäftsführer von TMI und Eigentümer von Artega, Klaus Dieter Frers (im Bild oben). Artega hat TMI vergangenes Jahr übernommen.
Der sieht die Sache naturgemäß anders, wie er im Gespräch mit EDISON erklärte. Während er ein stylisch-hochwertiges Gefährt bauen wolle, planten die Ouboters eher ein spartanisches Modell. Daher werde er kurzerhand einen eigenen Kabinenroller namens Karolino auf den Markt bringen, der eine technische Weiterentwicklung des Microlinos sei. „Er wird auf der Automesse IAA in Frankfurt Premiere feiern“, kündigt er an. Ab Oktober beginne dann die Auslieferung der Fahrzeuge. Noch in diesem Jahr werde er mehrere Hundert Exemplare bauen, im kommenden Jahr dann mehrere Tausend. „Wir werden Regionalzentren für den Vertrieb einrichten und mit ihnen die Städte etwas bunter machen“, so Frers. Die würden von lokalen Autohändlern betrieben.
„Unsere Tür ist noch offen für den Microlino“, versichert der Unternehmer, der bereits mit dem Artega GT bis 2012 einen Sportwagen – allerdings mit Ottomotor – in Kleinserie produziert hat. Nach zwischenzeitlicher Insolvenz entwickelt er derzeit eine Elektrovariante dieses Fahrzeugs. Er sei weiterhin bereit für die Schweizer den Microlino zu fertigen, beide Seiten verhandelten auch noch miteinander.
Rechtliche Probleme erwartet er nicht, wenn er mit seinem Karolino gegen die Schweizer antreten werde. „Wir sehen uns gewappnet“, gibt er sich selbstbewusst. „Wir haben die Werkzeuge für die Produktion bereits bestellt“.
Microlino arbeitet bereits am Plan B
Merlin Ouboter sieht das naturgemäß anders. Er ist bei der Microlino AG fürs Marketing verantwortlich und der Sohn von Firmenpatriarch Wim Ouboter. „Der Joint-Venture-Vertag mit TMI lässt das nicht zu“, erklärt er gegenüber EDISON. Daher mache er sich wegen des angekündigten Karolinos keine Sorgen. Die bisher von Frers gelieferten Vorserien-Fahrzeuge entsprächen nicht ihren Ansprüchen. Daher hätten sie jetzt klaren Tisch machen wollen, um die Kunden nicht länger vertrösten zu müssen. „Unsere Reputation steht auf dem Spiel“, begründet er den Schritt.
Die Ouboters bereiten sich nach eigenen Angaben auch darauf vor, dass TMI keine Fahrzeuge mehr für sie baut. „Wir verhandeln bereits und arbeiten an einem Plan B“, versichert Merlin Ouboter. Er hofft immer noch, im Sommer in der Schweiz die ersten Kunden beliefern zu können. Showrooms in München und der Schweiz sind bereits angemietet. Immerhin hat Microlino auch schon über 15.000 Bestellungen von potenziellen Kunden eingesammelt, allerdings ohne Anzahlung. Selbst wenn ein Konkurrenzmodell von TMI komme, würden die Kunden beim Original bleiben, ist Merlin Ouboter zuversichtlich.
Droht ein jahrelanger Rechtsstreit?
„Wir haben uns Artega als neuen Partner nicht ausgesucht“, hatte bereits sein Bruder Oliver Ouboter in der Pressemitteilung erklärt. Die Schweizer Familie mit niederländischen Wurzeln hat mit Tretrollern und Kickrollern erfolgreich Geschäfte gemacht und arbeitet seit 2015 am Microlino, einem Leichtfahrzeug im Retrolook der Fünfziger Jahre. TMI, damals noch Teil der italienischen Tazzari-Gruppe, sollte das E-Gefährt bauen. Die Italiener hatten ihrerseits bereits ein elektrisches Stadtauto auf den Markt gebracht.
Im Herbst 2018 übernahm dann aber Frers mit der Artega die TMI. Der ist zudem Chef des Autozulieferer Paragon und Aufsichtsratsvorsitzender des Batteriespezialisten Voltabox.
Bleibt zu hoffen, dass sich beide Seiten nicht in einen jahrelangen Rechtsstreit verwickeln und die Wiederbelebung des Kabinenrollers als Elektroauto dabei nie zu den Kunden gelangt. Der Markt für solche leichten Vehikel unterhalb des klassischen Pkws könnte auch für zwei Anbieter groß genug sein. Frers jedenfalls hält fünfstellige Stückzahlen pro Jahr für möglich.