Strom alleine macht auch nicht glücklich. Die Energiewende schreitet voran und die Emissionen der Stromerzeugung sinken, aber zu viel Strom verträgt das Netz nicht. Deshalb werden jährlich tausende Gigawattstunden Strom nicht produziert. Das ist teuer, ineffizient und liegt vor allem am Mangel von Speichern, sagt Professor Hans-Martin Henning vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, der ein Verfechter der deutschen Wasserstoffwirtschaft ist.

Denn Wasserstoff könnte als Puffer dienen. Wenn in der Nordsee wie geplant bis 2035 neue Windräder zusätzliche 23,2 Gigawatt Strom erzeugen können, dann wird sich die Frage nach dem Wohin noch häufiger stellen. „Es fehlt ganz einfach an Möglichkeiten, den Strom zu speichern“, sagt auch Thomas Gößmann, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Dortmunder Erdgasnetzbetreiber Thyssengas. Deshalb will er endlich Power-to-Gas im großen Umfang starten.

Bei Power-to-Gas wird Wasser mit Überschussstrom in seine Einzelteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgeteilt. Und diese Wasserstoff könnte ins Erdgasnetz eingespeist werden und bei Bedarf wieder genutzt werden, um beispielsweise Strom zu erzeugen. Mit an Bord ist unter anderem der Netzbetreiber Tennet. „Wir brauchen leistungsfähige Speichertechnologien im großen Maßstab, wenn wir das Ausbauziel von 65 Prozent Erneuerbaren 2030 erreichen wollen“, fordert dessen Geschäftsführer Lex Hartman. Alleine in seinem Geschäftsgebiet, das fünf deutsche Flächenländer umfasst, wurden 2017 3900 Gigawattstunden Strom nicht produziert. Das entspricht einem Drittel der Jahresproduktion eines großen Kernkraftwerks.

Alternativ wird Strom verramscht, also weit unter den Gestehungskosten oder gar zu negativen Preisen ins Ausland verkauft. „So helfen wir immerhin unseren Nachbarn, Kohlendioxidmissionen zu reduzieren“, sagt Gößmann.

„Element Eins“ fürs Erdgasnetz

Und während große Lithium-Ionen-Speicher oder ähnliche Batterien zu teuer sind, wollen die Energie-Manager ans Erdgasnetz. Pro Jahr werden über diese Infrastruktur rund 800 bis 1000 Terawattstunden in Form von Erdgas transportiert. Das ist deutlich mehr als in den Stromnetzen, die auf 600 Terawattstunden kommen. Noch wichtiger ist ein anderer Aspekt: Während in Stromnetze stets ebenso viel Energie eingespeist werden muss wie abgenommen wird – und das zu jeder Minute – sind die Erdgasleitungen äußerst flexibel nutzbar. Denn sie können gewaltige Mengen an Energie puffern. Man kann sogar wochenlang mehr Gas einspeisen als verbraucht wird. Umgekehrt lässt sich wochenlang auch weit mehr Gas entnehmen als nachgeliefert wird.

Aber Strom ist schließlich kein Erdgas. Ohne eine Umwandlung lässt er sich im Erdgasnetz nicht speichern. Hier setzt das Projekt „Element Eins“ an, das im Hause Thyssengas erdacht worden ist. Mithilfe von Elektrolyseuren entsteht der Wasserstoff: Dazu werden Elektroden in Wasser getaucht. Der eingeleitete Strom trennt das Wasser in seine Bestandteile auf. An der einen Elektrode perlen Wasserstoffbläschen hoch, an der anderen Elektrode Sauerstoffbläschen. So wird Strom zu Gas.

Allerdings kann man dieses nicht einfach ins Erdgasnetz einspeisen: Derzeit darf der Wasserstoffanteil maximal zwei Prozent betragen. Technisch machbar wären in Teilnetzen bis zu 30 Prozent, sagt Gößmann, der aber 15 Prozent für eine realistische Größe hält. Die aktuelle Beschränkung auf zwei Prozent habe lediglich historische Gründe. Der Grund: Die Tanks älterer Erdgasautos wurden geschweißt. Der Stahl könnte spröde werden, wenn er längere Zeit großen Wasserstoffkonzentrationen ausgesetzt wäre. Da aber kaum noch alte Erdgasautos fahren, bestehe heute kein Grund mehr für die Beschränkung auf zwei Prozent. „An neuen Regeln wird gearbeitet“, sagt Gößmann.

In Deutschland gibt es heute bereits gut 30 Anlagen, die Überschussstrom in Gas umwandeln. Die bisher größte, betrieben vom Autohersteller Audi im Emsland, leistet sechs Megawatt. Dort, im Örtchen Werlte nahe Cloppenburg, wird Wasserstoff methanisiert – erst dann lässt es sich komplett ins Gasnetz speisen. An anderer Stelle werden ebenso große Mengen entnommen, um die Erdgasfahrzeuge des Konzerns zu betanken.

Die Gas-Branche kommt zusammen

Von Anfang an war Gößmann sicher, dass ein Projekt wie „Element Eins“ nicht von einem Unternehmen allein gestemmt werden kann. Er wandte sich deshalb an Wilfried Breuer aus der Geschäftsleitung von Tennet in Bayreuth und an Jens Schumann, den CEO der deutschen Tochter des niederländischen Gasnetzbetreibers Gasunie in Hannover. Gasunie und Thyssengas waren ohnehin schon Partner: Gemeinsam betreiben sie eine Erdgaspipeline zwischen Emden und Emsbüren im südlichen Emsland.

Breuer und Schumann waren sofort von der Idee begeistert. Strom aus der Nordsee, der an der Küste in Umspannstationen von Tennet eintrifft, um von da aus weiterverteilt zu werden, soll in Wasserstoff umgewandelt werden, wenn zu viel Windstrom produziert wird. „Wenn wir unsere Klimaziele in 2030 und 2050 tatsächlich erreichen wollen, müssen wir kräftig Power-to-Gas geben – und zwar ab sofort“, sagt Jens Schumann, Geschäftsführer von Gasunie Deutschland.

Mit 100 Megawatt Leistung – also dem 17-fachen der Audi-Anlage – könnte „Element Eins“ immerhin eine Kleinstadt mit Strom versorgen. Die Energiewende im Industriemaßstab ist das noch nicht. Gößmann hält das Projekt dennoch für extrem wichtig, um Erfahrungen technischer und wirtschaftlicher Art zu sammeln. „Wir wollen heute die Daten für richtige Entscheidungen in der Zukunft sammeln“, sagt der Erdgasmanager.

Teure Anlage, viele Abnehmer

Die Anlage wird etwa 130 bis 150 Millionen Euro kosten. Ob es Zuschüsse gibt, etwa aus Berlin oder Brüssel, ist noch offen. Volkswirtschaftlich sei die Anlage gleich von Beginn an sinnvoll. „Betriebswirtschaftlich wird es allerdings schwierig“, gesteht der Dortmunder Gas-Manager.

Als mögliche Standorte für die Umwandlung von Strom in Wasserstoff gelten die Tennet-Umspannwerke Diele im ostfriesisch-holländischen Grenzgebiet und Conneforde im niedersächsischen Ammerland. Beide liegen nahe an Erdgaspipelines, sodass eine Einspeisung unproblematisch wäre.

Die Projektbetreiber denken aber auch an andere Nutzungsmöglichkeiten. Die chemische Industrie beispielsweise könnte den produzierten Wasserstoff kaufen. Diese hat einen hohen Bedarf an Wasserstoff, deckt diesen bisher aber fast ausschließlich durch die Dampfreformierung von Erdgas. Auch die Umweltorganisation Greenpeace, die seit einigen Jahren so genanntes Windgas verkauft, käme als Abnehmer infrage.

Gößmann erinnert das Konzept an das „Most-Prinzip“: Man bringe seine Äpfel zu einer Mostkellerei, wo sie zusammen mit dem Obst anderer Anlieferer verarbeitet werden. Jeder Lieferant bekomme später seinen Anteil in Form von Saft zurück, der aber nicht zwingend aus den eigenen Äpfeln stammt. Genauso sei es bei der zentralen Einspeisung von Wasserstoff und der Entnahme von Methan an einem anderen Ort.

Die erste Stufe von „Element Eins“ soll 2022 in Betrieb gehen. Zunächst wird sie ausschließlich Wasserstoff erzeugen. Der wird, je nach Wunsch des Kunden, der die Produktionsanlage angemietet hat, ins Erdgasnetz eingespeist oder an die chemische Industrie geliefert, Auch Biogasanlagen sind potenzielle Abnehmer. Wenn sie Wasserstoff zusetzen, können sie mehr Biomasse umsetzen.

Anschubhilfe für Brennstoffzellentechnik

Besonders wichtig wird auf mittlere Sicht die Versorgung von Wasserstoffautos, die ihren Fahrstrom an Bord aus Wasserstoff mithilfe von Brennstoffzellen gewinnen. Gasunie-Chef Schumann glaubt, dass der Brennstoffzellenantrieb in den kommenden Jahren beim Betrieb von mittleren und schweren Lastfahrzeugen eine „herausragende Bedeutung“ erlangen wird.

Gasunie brachte eine zusätzliche Idee ein, die in einer späteren Baustufe realisiert werden soll. Mit Kohlendioxid, das etwa Biogasanlagen abtrennen, lässt sich Synthesegas herstellen, ein Gemisch aus Kohlendioxid und Wasserstoff. Dieses Gas kann wiederum in flüssige Treibstoffe wie Diesel, Benzin und Kerosin umgewandelt werden. So wird ein Auto mit Verbrennungsmotor rechnerisch CO2-neutral, ganz ohne Umbau. CO2 emittiert es natürlich weiterhin.

Geplant ist auch eine Methanisierungsanlage – wohl für den Fall, dass die Zwei-Prozent-Hürde bestehen bleibt. Auch hier wird Kohlendioxid eingesetzt. Wegen der anderen Prozessführung entsteht direkt Methan.

Im Endausbau wird „Element Eins“ pro Stunde 20.000 Kubikmeter Wasserstoff liefern. Gößmann kann sich sogar eine reine Wasserstoffwirtschaft vorstellen. Pipelines, Leitungen und Kavernen, die jetzt für den Transport und die Lagerung von Erdgas genutzt werden, könnten auf reinen Wasserstoff umgestellt werden.

„Zumindest ist das ein interessanter Gedanke“, sagt Tennet-Geschäftsführer Lex Hartmann. Realistisch sei es, Wasserstoff verstärkt in die bisherige Energieinfrastruktur einzubinden. „Dann können wir weitere Sektoren wie Mobilität, Wärme und Industrie zu einem höheren Anteil mit grüner Energie versorgen.“ Ähnlich sieht es Gasunie-Chef Schumann: „Die grüne Sektorkopplung – also die intelligente Verbindung von Gas-, Strom-, Wärme- und Mobilitätsinfrastrukturen – umzusetzen und damit einen Beitrag zu einem der drängendsten Probleme der Menschheit zu leisten, dem Schutz von Klima und Umwelt, ist für mich persönlich, aber auch für Gasunie ein großer Ansporn.“

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