Fußballstar Cristiano Ronaldo fährt damit in Turin zum Training, Tennis-Crack Rafael Nadal verkürzt damit gelegentlich die Fahrt zum Centercourt. Und auch im Fahrerlager der Formel 1 wurde es schon gesichtet: Das GoCycle, das ebenso kompakte wie stylishe E-Bike von Karbon Kinetics aus dem englischen Chessington. Kein Wunder: Hinter dem Unternehmen steht mit Richard Thorpe ein ehemaliger Renningenieur von McLaren, der an der Seite von Adrian Newey Formel-1-Autos konstruierte, mit denen der rasende Finne Mika Häkkinen Weltmeister wurde.
2002 machte sich Thorpe selbständig, um seine Vision von einem perfekten E-Bike zu verwirklichen. Die Entwicklung hat einige Jahre gedauert und etliche Millionen britische Pfund verschlungen. Aber seit 2009 ist das GoCycle auf dem Markt: ein unkonventionell gestyltes, ultraleichtes Faltrad mit elektrischer Trittunterstützung, mit einem Rahmen aus Magnesium, einem vollgekapselten Antrieb und einer elektronischen Schaltung.
Es ist wunderschön anzusehen, fast schon ein Kunstobjekt. Und wer sich für Technik begeistern kann, kommt bei der Beschäftigung mit den Details aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und damit soll ich mich jetzt in den Straßenverkehr stürzen?
Ja, unbedingt, sagt Dieter Wauer. Der Markenrepräsentant aus Meerbusch lockt mit einem GoCycle GS der neuesten Generation in der Farbkombination Grau-Schwarz, das er für Testfahrten gerade aus England erhalten hat. Es ist noch original verpackt, steht bei meiner Ankunft in seiner Wohnung fein gefaltet auf einer tragbaren „Dockingstation“. Aufsteigen und losfahren? Denkste. Erst einmal will aus dem Bausatz ein Fahrrad werden.
Ein Klapprad mit technischen Besonderheiten
Wauer weiß, wie es geht und führt mich Schritt fürs Schritt durchs Programm. Nebenbei lerne ich die technischen Besonderheiten des Klapprads kennen. Etwa die Hinterradschwinge, den sogenannten „Clean Drive“: Kettenblatt, Kette, Nabe sind hier von einem Gehäuse umschlossen, somit geschützt vor Staub und Dreck. Das senkt nicht nur den Wartungsaufwand, sondern schätzt den Fahrer auch vor Ölflecken am Hosenbein.
Mit sanftem Druck der Fußspitze wird der Clean Drive nach hinten geschwenkt und über einen kleinen Kunststoff-Dämpfer mit dem „Monocoque“ – die Formel 1 lässt grüßen – verbunden. Anschließend wird die Sattelstange eingesetzt, der Lenker nach vorne geklappt und mit einem Schnellverschluss fixiert. Kabelsalat ist nicht zu befürchten: Sämtliche Verbindungen, die komplette Elektronik und auch der Akku des Pedelecs stecken im fein geschwungenen Rahmen, der, nein, nicht aus Karbon, wie der Firmenname vermuten lässt, sondern aus Magnesium gefertigt ist. Das Material ist beinahe genauso leicht wie Karbon, aber deutlich einfacher zu formen und zu recyceln.
Aus dem gleichen Hightech-Material sind auch die beiden Laufräder im Format 20 Zoll. Andere Hersteller würden sie mit Hilfe von Steckachsen an den Schwingen fixieren. Aber nicht ein Formel-1-Ingenieur. Erfinder Thorpe hat sich auch hier etwas Besonderes einfallen lassen: die „Pit-Stop-Technologie“, einen Schnellverschluss der besonderen Art. Fixiert werden die Laufräder hier mit über Nuten an den Radnaben. Drei Klemmen und ein kleiner mechanischer Drehverschluss sorgen dafür, dass sich unterwegs nichts löst.
Pedelec mit Allradantrieb
Und wo steckt der Elektromotor? Hinter der (gekapselten) Scheibenbremse in der Nabe. Wenn man so will, verfügt das GoCycle über einen Allradantrieb: Das Hinterrad wird von Muskelkraft angetrieben, das Vorderrad mit der Kraft der 250 Watt starken E-Maschine. Bevor mich Wauer auf die Straße lässt, weist er mich noch in die Schalttechnik ein: Für die optimale Übersetzung sorgt eine Dreigang-Schaltung von Shimano am Hinterrad, die über einen Drehgriff am Lenker elektronisch gesteuert wird. Der Frontmotor wiederum wird über das eigene Smartphone dirigiert: Über die GoCycle-App lässt sich programmieren, wie viel Trittunterstützung der Motor liefert. Im Unterschied zur Formel 1 hat der Fahrer also die alleinige Kontrolle über das System. Nur muss er die App für das Fahrrad zunächst von London freischalten lassen. Auf diese Weise soll auch Fahrraddieben das Handwerk gelegt werden: Ohne die Freischaltung aus der Ferne gibt der Motor keinen Mucks von sich.
Auf den ersten Kilometern durch die Stadt zeigt sich schnell, dass der Erfinder des GoCycle aus dem Motorsport kommt: Der Motor ist jederzeit gut zu vernehmen – und wer in das Sportprogramm wechselt, erfährt nicht mehr Unterstützung bei der Tretarbeit, sondern muss im Gegenteil mehr Kraft aufwenden, um auf Tempo zu kommen. Das ist wahrer Sport. Wer hingegen seine Kräfte für andere Dinge sparen und schweißgebadet am Ziel ankommen möchte, muss in den Citymodus wechseln – oder über die App den Drehmomentverlauf nach den persönlichen Bedürfnissen und dem Fitnessgrad anpassen. Dann zieht einen der kleine Motor ab der ersten Pedalbewegung kräftig durch den Verkehr.
Der im Rahmen, sorry im Monocoque integrierte Lithium-Ionen-Akku speichert etwa 300 Wattstunden Strom. Das ist etwas weniger Energie als die Batterien der meisten aktuellen Pedelecs konventioneller Bauart puffern. Aber auch damit ist man im Stadtverkehr und bei überwiegend flacher Topographie in aller Regel gut versorgt. Im Testbetrieb wurden mit einer Akkuladung Strecken über knapp 40 Kilometer problemlos bewältigt. Das sollte auch für eine Durchquerung einer Millionenstadt wie Berlin oder Hamburg locker reichen.
Bergfahrten hingegen mag das GoCycle nicht so gerne, da kommt der kleine Motor im Vorderrad schnell an seine Grenzen. Und vor Fahrten über Schotter- oder vom Regen aufgeweichte Waldwege sollte man zunächst andere Reifen aufziehen: Serienmäßig kommt das Rad auf profillosen Slicks daher. Damit ist das GS nicht nur ein Hingucker, sondern dank seines langen Radstands auch ein echter Asphalträuber, wendig und rollwiderstandsarm. Die Scheibenbremsen packen bei Bedarf kräftig zu – alles andere würde sich ein ehemaliger Renningenieur wohl auch nie verzeihen.
16 Kilo leicht – und doch zu schwer
Für wen also eignet sich das GoCycle? Für Pendler, die auf dem Weg zur Arbeitsstätte vom Rad zur Bahn und umgekehrt wechseln, ist es sicher nicht der perfekte Begleiter. Es handelt sich zwar um ein Faltrad, aber der Aufbau- und Abbau, also der Boxenstopp, kostet viel zu viel Zeit, um das Rad vor und nach der Bahnfahrt umzubauen. Und mit einem Gewicht von 16,3 Kilo unter dem Arm möchte wohl auch niemand im Berufsverkehr durch den Bahnhof hechten.
Das geht mit einem Klapprad vom Typ Brompton (Gewicht: 10,9 Kilo) oder vom Modell Birdy (ab 9,9 Kilo) wesentlich leichter und lockerer. Wer es zum perfekten Commuter-Bike aufrüsten möchte, muss zudem in Gepäckträger, Packtaschen und Schutzbleche investieren. GoCycle hält alles im Zubehörprogramm parat. Aber das Zubehör ist teuer und bei voller Ausstattung schnellt der Kaufpreis ruckzuck über 3000 Euro – in der Basisausführung werden immerhin schon 2799 Euro fällig.
Empfehlen können wir das englische Hightech-Pedelec aber jedem stilbewussten Menschen, der beispielsweise wenig Platz im Kofferraum seines Autos hat, keinen Dachgepäckträger besitzt und nicht eigens eine Anhängerkupplung montieren möchte, um sein Fahrrad mit auf eine Städtetour oder auf die Fahrt ins Grüne zu nehmen. Das coole Teil passt auch perfekt in jedes Wohnmobil oder ins Frachtabteil einer Segelyacht.
Und natürlich können wir es jedem Berufspendler für die tägliche Fahrt quer durch die Stadt zum Arbeitsplatz empfehlen – nonstop, ohne Zwischenstopp an der Bus- oder Bahnhaltestelle. Bewundernde Blicke und neugierige Frage von Passanten beim Stopp an der Ampel sind ihm gewiss.