Auch in der Politik gibt es Moden. Der Schutz der Bienen etwa, er liegt der Bundesregierung „besonders am Herzen“ – so steht es im Koalitionsvertrag. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) fordert: „Was der Biene schadet, muss vom Markt.“ Die Umweltministerin legt Eckpunkte für ein Insektenschutzprogramm gleich in ihren ersten 100 Tagen im Amt vor. Was summt und brummt, ist in der Politik angesagt. Das ist aus Naturschutz-Sicht dringend notwendig – und es ist kein Zufall.
Die Spur führt nach Krefeld, zu einem Verein für Insektenkunde. In dem ehemaligen Schulhaus riecht es nach Papier, Holz, Staub. Mikroskope, Waagen und Messbehälter stehen auf Holztischen, alte Bücher an der Wand strahlen Würde aus. In zahllosen Kästen stecken Insekten auf feinen Nadeln. Die gesamte Sammlung steht unter Denkmalschutz. Hier entstand eine Studie, die weltweit Aufsehen erregt hat – und in Deutschland etwas ins Rollen brachte.
Die Kernaussage: Die Zahl der Fluginsekten ist in Teilen Deutschlands erheblich zurückgegangen. In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse um mehr als 75 Prozent ab. Das belegen Daten, die der Entomologische Verein Krefeld seit 1989 gesammelt hat. Die Forscher werteten in 63 Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg „Malaise-Fallen“ auf, zeltartige Netze, in denen Fluginsekten in einen Sammelbehälter geleitet und getötet werden.
Zu viel Interesse an Bienen, Mücken und Co.
Die Krefelder Forscher können sich vor Anfragen kaum retten, seit ihre Studie vergangenen Oktober in der Fachzeitschrift „Plos One“ erschienen ist. 80 Prozent der Fach- und Medienanfragen kämen aus dem Ausland, sagt Vorstandsmitglied Martin Sorg, ein schlanker Mann mit langen grauen Haaren und runder John-Lennon-Brille. Der Ansturm sei für einen Verein mit 63 Mitgliedern kaum zu bewältigen. „Es lässt nicht nach.“ Der Einfluss ist auch messbar: Die Studie liegt unter 11,4 Millionen publizierten wissenschaftlichen Arbeiten in dem angesehenen Ranking des Daten-Dienstleisters Altmetric auf Platz 35.
„Damit haben wir in dieser Form nicht gerechnet“, sagt Sorg. „Entomologen kennen diese Rückgangstrends seit Jahrzehnten. Wir dachten, dass wir mit der Mengenmessung und dieser Methodik lediglich einen sehr wichtigen Aspekt zusätzlich dazugeben.“ Stattdessen verbreitet sich die Sorge um Insekten schnell in ganz Deutschland. Die Beobachtung, dass kaum noch Fliegen auf der Windschutzscheibe kleben, ist zum Small-Talk-Thema in der Kneipe geworden.
Profi-Forscher im Ehrenamts-Verein
Das erkennt auch die Bundesumweltministerin an. Und dafür habe man zu danken, sagt sie, als sie im Rahmen einer Pressereise in Krefeld vorbeischaut. Und überreicht gleich noch einen Zuwendungsbescheid über 150.000 Euro für weitere Forschungen. Der ist willkommen beim Entomologischen Verein, dessen Arbeit zwar projektbezogen von vielen Stellen gefördert wird, etwa vom Bundesamt für Naturschutz und Universitäten, der aber über keine institutionelle Finanzierung verfügt. Man mache „so etwas ähnliches wie Auftragsforschung“, erklärt Sorg. „Die komplette Vereinsarbeit läuft natürlich ehrenamtlich, auch die Archivbetreuung.“
Als Hobby-Forscher sieht er sich und seine Kollegen aber nicht. Etwa ein Drittel der Vereinsmitglieder bestehe aus an der Uni ausgebildeten Wissenschaftlern. Ein weiteres Drittel habe keinen akademischen Abschluss, aber viel Erfahrung in der Insektenkunde. Das dritte Drittel befinde sich sozusagen in der Ausbildung. Ein Arzt, der in seiner Freizeit bei Ärzte ohne Grenzen arbeite, sei ja auch kein Hobby-Mediziner, sagt Sorg. Er sieht den Verein eher als einen Vermittler zwischen universitärer Forschung und Laien-Wissenschaft.
Sorg lässt durchblicken, dass sein Verein aus seiner Sicht auch ein institutionelles Defizit ausgleiche. Forschung, wie sie der Krefelder Verein betreibe, werde so nicht an der Uni gelehrt. Überhaupt fehle es an Entomologen: „Wir haben im Moment zum Beispiel keinen Bearbeiter hier in Nordrhein-Westfalen für Schlupfwespen, eine sehr artenreiche, sehr wichtige Insektengruppe“, sagt er.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) verweist auf die Roten Listen gefährdeter Arten. „Ich würde es mal so formulieren, dass wir beide uns ideal ergänzen“, sagt Präsidentin Beate Jessel zu Sorg. „Sie haben die genaueren Daten für Standorte, wir haben die bundesweiten Aussagen auf der Artebene, und das greift wunderbar ineinander in der Argumentation.“ In Deutschland gebe es rund 33.000 Insektenarten. 7444 seien für die Rote Liste schon ausgewertet, im Sommer kämen wieder neue hinzu. Das Thema ist kaum zu überschätzen: Wenn Insekten als Bestäuber und als Nahrung wegfallen, bringt das ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht.
Im Naturschutzgebiet Egelsberg vor den Toren Krefelds zeigt Sorg, wie er und seine Kollegen Daten sammeln. Fluginsekten werden durch das Netz zum Sammelbehälter geleitet. Alkoholdämpfe benebeln die Tiere, dann fallen sie in die hochprozentige Flüssigkeit. Die Ergebnisse dieser Falle seien vergleichsweise positiv, erklärt Sorg. Die Felder ringsrum werden ohne Pflanzenschutzmittel bewirtschaftet. „Die absolute Ausnahme“, stellt er fest – auch in Schutzgebieten.
Dass die Insektenforscher 1987 begannen, die Insekten-Biomasse im Ganzen zu erfassen, war pragmatisch: Die Zehntausende Fluginsekten, die in den Behältern landen, ließen sich schlicht nicht alle zählen, sortieren und bestimmen. Daran wird jetzt gearbeitet, auch mit Hilfe des Bonner Forschungsmuseums Alexander König. Ziel ist, über genetische „Barcodes“ die Tiere zu bestimmen und Aussagen über den Rückgang der bis zu 3000 Arten zu machen, die von einer Insektenfalle pro Saison gefangen werden. Beim Verein lagern Proben von mehr als 200 Standorten im In- und Ausland – es gibt viel zu tun.
Nur Honigbienen stehen im Fokus
Ob die Bundesregierung wirklich handelt oder es bei Bekenntnissen bleibt, muss sich noch zeigen. Ob der Ausstieg aus Glyphosat wirklich kommt, wie ehrgeizig das Schutzprogramm für Insekten letztlich wird, wie vehement Deutschland in Brüssel für eine umweltfreundlichere Agrarpolitik kämpft – es bleibt abzuwarten.
In der öffentlichen Debatte taucht oft das Argument auf, dass die Zahl der Bienen in Deutschland nicht ab- sondern zunehme. Naturschützer schütteln dann den Kopf: Das gehe am Problem vorbei. Der Fokus auf die Honigbiene sei „völlig abwegig“, sagt Sorg, die sei ein Nutztier: „Das ist genau so, wie die Milchviehhaltung uns keine Informationen über vom Aussterben bedrohte andere Wirbeltiere gibt.“
BfN-Präsidentin Jessel formuliert es diplomatischer. Die Biene könne einen „breiteren Zugang” eröffnen, sprich, die Leute ans Thema heranführen. „Aber man muss dann von der Honigbiene auf die Wildbienen und Hummeln kommen.“ Und auf Schwebfliegen und weitere Gruppen. Die haben allerdings – bisher – keine ganz so große Lobby.