Ökostrom, Wasser und Luft. Das sind die Ausgangsmaterialien eines völlig farblosen synthetischen Kraftstoffs. Fast zehn Jahre haben der promovierte Chemieingenieur Tim Böltken und seine Studienkollegen Philipp Engelkamp und Paolo Piermartini geforscht, neue chemische Anlagen konzipiert und altbekannte Reaktionen weiterentwickelt, um den künstlichen Sprit herstellen zu können. Das Ergebnis zeigte sich vergangenen Sommer in Finnland, als die Pilotanlage Soletair 200 Liter farblose Flüssigkeit hergestellt hat.
Mit wenig Aufwand lässt sie sich zu Benzin, Diesel oder Kerosin weiterverarbeiten. „Unser Kraftstoff lässt sich beliebig mit herkömmlichen Kraftstoffen mischen und verbessert sogar die Verbrennungseigenschaften“, sagt Böltken. Eine weitere Besonderheit: Die Forscher haben es geschafft, gigantische Anlagen auf Miniaturformat zu schrumpfen. Die Technologie hinter dem Start-up Ineratec gilt als mögliche wichtiger Schritt für die Energiewende.
Anschub für die stockende Energiewende
Gute Ideen wie die des 2014 gegründeten Start-ups sind bitter nötig, denn die Energiewende stockt. Anfang Juli veröffentlichte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Zwischenbilanz. Die Ziele der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung nur zu 30 Prozent erreicht. Zwar kommt der Ausbau der Erneuerbaren Energien voran und liegt inzwischen sogar über dem Soll, doch in anderen Bereichen sieht es wahrlich schlechter aus. Insbesondere die Emissionen sinken nicht schnell genug. Gerade mal 28 Prozent der geplanten Emissionsminderungen hat Deutschland in den Jahren 2014 bis 2017 erreicht. Das für 2020 gesteckte Ziel rückt damit in weite Ferne.
Seit dem Durchbruch in Finnland stellt Ineratec Anlagen her, die so kompakt sind, dass sie in einen Schiffscontainer passen. Frühere Konstruktionen waren deutlich größer. Die Technologie, die das Start-up verwendet, wandelt Gas wie Kohlenstoffdioxid unter Zugabe von Strom und Wasser in synthetischen Kraftstoff oder methanhaltige Gase um. Außerdem sind die Kompaktanlagen dezentral nutzbar und können überall aufgestellt werden. Neben der Kraftstoff-Herstellung beispielsweise für Autos könnte man etwa aus Abfallgasen hochwertige Ausgangsstoffe für die chemische Industrie machen. An Erdölförderstellen oder Kläranlagen könnte Gas, das bisher ungenutzt abgefackelt wird, zum Rohstoff für handelsüblichen Sprit werden.
„Keine Übergangstechnologie“
Außerdem sind die Anlagen des Chemie-Start-ups aus Karlsruhe mittlerweile leistungsfähiger. Sie können deutlich größere Mengen Kraftstoff in kürzerer Zeit produzieren: Obwohl die Anlagen nicht nennenswert größer geworden seien, schaffen sie bis zu 2000 Liter täglich problemlos, sagt Firmenchef Böltken. „Die Technik ist skalierbar. Deshalb sehen wir das auch nicht als Übergangstechnologie, sondern als wichtigen Baustein in der Energiewende.“
Nachteil: Der Preis des produzierten Treibstoffes. Momentan ist Sprit aus der Luft noch deutlich teurer als Benzin oder Diesel aus fossilen Rohstoffen. „Wir haben Fälle durchgerechnet, da kostet der Liter deutlich unter zwei Euro“, sagt Böltken. Doch das junge Karlsruher Start-up und seine mittlerweile 19 Mitarbeiter sehen für die Technologie großes Potenzial und auch potenzielle Kunden gibt es genug: Bislang haben die drei Gründer ihre Anlagen für Forschungsinstitute und Industrieunternehmen in Finnland, Spanien und der Schweiz gebaut.