Am Montagabend treffen sie sich mal wieder im Kanzleramt zum „Autogipfel“. Die Hausherrin Angela Merkel ist Gastgeberin, als Vertreter der Bundesregierung sind noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Finanzminister Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze angemeldet. Sie erwarten den Präsidenten des Verbandes der Autoindustrie (VDA), Bernhard Mattes, die Chefs von BMW, Daimler und Volkswagen sowie der Zulieferer Bosch, Continental und ZF. IG Metall-Boss Jörg Hofmann und die Betriebsratsvorsitzenden der sechs Konzerne vertreten die Interessen der rund 850.000 Beschäftigten der deutschen Autoindustrie. Die Impulsrede hält der Aachener Hochschulprofessor Günther Schuh, der Streetscooter gründete und mit e.Go Mobile ein Startup zum Bau elektrisch angetriebener Kleinwagen aus der Taufe gehoben hat. Er soll nicht nur darlegen, wie die Mobilität in Zukunft gestaltet werden muss, um die Klimabelastungen durch den Verkehr spürbar zu senken und gleichzeitig die Autoindustrie als Jobmaschine zu erhalten. Es wird um den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs gehen und um die CO2-Steuer, vor allem aber um Elektroautos und die Frage: Wie viel Förderung braucht die Energiewende auf der Straße – und was muss man den Akteuren abfordern. Der Politik, der Industrie, aber auch den Bürgern. Die Grünen – die bei dem „Gipfeltreffen“ ebenso wenig vertreten sind wie Umweltverbände – haben dieser Tage in einem 10-Punkte-Plan bereits gefordert, die Kaufprämie für Elektroautos zu verdoppeln, die Subventionen für den Dieselsprit abzuschaffen und ein allgemeines Tempolimit auf der Autobahn einzuführen. Bei den meisten Teilnehmern des „Autogipfels“ würden sie damit sicher keine Jubelstürme auslösen.
Eine Million Ladepunkte?
Einig sind sich alle Akteure, die sich heute im Bundeskanzleramt versammeln, derzeit nur in zwei Punkten: Die Zukunft fährt elektrisch. Und damit dies gelingt, braucht es eine Ladeinfrastruktur, die keinerlei Reichweitenängste mehr aufkommen lässt. Weder bei den Fahrern von Batterieautos noch bei bei den Besitzern von Autos, bei denen Brennstoffzellen Wasserstoff in Fahrstrom umwandeln. Der VDA hält es für erforderlich, bis 2030 bis zu einer Million öffentliche Ladepunkte in Deutschland aufzubauen, an denen Wechselstrom mit einer Leistung von bis zu 22 Kilowatt (kW) gezapft werden können. Darüber hinaus seien 100.000 Ladeplätze erforderlich, an denen Gleichstrom mit bis zu 350 kW fließt. Und weil nach Stand der Dinge etwa 85 Prozent der Elektroautos von ihren Besitzern daheim aufgeladen werden, seien hier zwischen acht und elf Millionen Wallboxen zu installieren. Aktuell gibt es bundesweit keine 20.000 Ladepunkte. Und nur an etwa 2000 fließt Gleichstrom.
Aber wie viele Ladesäulen braucht es wirklich – und welche? Da streiten sich die Experten schon wieder.
AC oder DC oder beides?
Bart Lubbers, Gründer des niederländischen Ladenetzbetreibers Fastned, hat in dem Punkt eine klare Meinung: „Größere Batterien machen das langsame Laden immer überflüssiger. Langfristig wird das Laden unterwegs immer attraktiver. Warum sollten Sie stundenlang an eine Steckdose angeschlossen sein, wenn Sie mit einem Schnellladegerät in einer halben Stunde wieder aufladen können?“ In den Niederlanden hat das Lubbers Startup in den zurückliegenden fünf Jahren ein Netzwerk von 71 Ladezentren entlang der Autobahnen aufgebaut, an denen mit Ladeleistungen von wenigstens 50 KW Strom gezapft werden kann – an zwei Stationen gibt es inzwischen auf 350 KW-Lader. „Schnelllader machen das Elektroauto auch für Menschen attraktiv, die daheim keine Möglichkeit zum Laden haben und auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sind“, argumentiert Fastned-CEO Michiel Langezaal. „Nur einmal in der Woche während einer Kaffee- oder Toilettenpause aufzuladen und dann genügend Reichweite für eine ganze Woche zu haben – ist das nicht eine tolle Vorstellung?“ Er ist wie sein Kompagnon Lubbers überzeugt: „Das langsame Laden auf öffentlichen Plätzen wird schon bald ein Relikt aus der Frühzeit der Elektromobilität sein“ – so wie der Benzinkanister, den man früher im Kofferraum des Autos mit sich führte, um nicht in einsamer Gegend mit leerem Tank zu stranden.
E-Autos für die Langstrecke
In Deutschland stehen die Fastned-Vorstände mit der Position allerdings noch weitgehend allein. Selbst Ionity-Chef Michael Hajesch – das Joint Venture, das BMW, Daimler, Ford und der Volkswagen-Konzern gemeinsam aus der Taufe gehoben haben und das inzwischen 106 Stationen entlang der Autobahnen betreibt – scheut eine klare Festlegung: „Eine nutzergerechte Infrastruktur ist der richtige Weg. 90 Prozent der Fahrten mit einem Elektromobil finden in der Stadt statt, nur zehn Prozent führen etwa aus dem Ruhrgebiet nach Italien.“ Dementsprechend müsse in der Stadt eine andere Art von Ladesäule stehen als an der Autobahn.
Und wenn sich das Nutzerverhalten ändert, weil die Speicherkapazität der Batterien und damit die Reichweite der Elektroautos wächst? Der Volkswagen I.D, der im Herbst in Serie geht, hat in der höchsten Ausbaustufe eine Lithium-Ionen-Batterie mit einer Speicherkapazität von 77 KWh an Bord, der Mercedes EQ einen Stromspeicher, der 80 KWh groß ist – deren Revier wird ganz sicher nicht nur das Stadtgebiet sein. Die Stromer der nächsten Generation sind alltag- und langstreckentauglich.
Herantasten an die Zukunft
Und so tasten sich in Deutschland weiterhin alle Beteiligten – Autobauer, Stromversorger, Infrastrukturanbieter, Konsumenten – vorsichtig ins Zeitalter der elektrischen Mobilität voran. Von der Politik war bislang keine Wegweisung zu erwarten. Bis heute streiten sich Bundesverkehrs- und Wirtschaftsministerium noch um die Zuständigkeit für die Elektromobilität. Während Verkehrsminister Andreas Scheuer große Hoffnungen auf die Wasserstofftechnik setzt und die Forschung an der Brennstoffzelle fördert, ist Kollege Altmaier eher ein Freund batterie-elektrischer Autos.. Einen bundesweiten Masterplan für den Aufbau der Ladeinfrastuktur hat auch die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) auch in zehn Jahren noch nicht zustande gebracht – in Berlin weiß bis heute niemand exakt zu sagen, wie viele öffentliche Ladepunkte es aktuell gibt. Eine saubere Buchhaltung gibt es ebenso wenig wie eine ordnende Hand.
In den Niederlanden wurde ein zentrales Register erstellt und dann die Standorte für Ladestationen öffentlich ausgeschrieben – in Deutschland herrschte das Prinzip Gießkanne.
Flickenteppich Deutschland
„Das heutige Ladenetz entstand einerseits im Rahmen von regionalen, öffentlich geförderten Projekten und nach regionalen Interessen“, beschreibt Steffen Hell, Forschungs- und Entwicklungschef des Infrastrukturbetreibers Allego die Entwicklung in Deutschland. Im Klartext: „Es floss viel Geld in Förderregionen, ohne dass die Aktivitäten koordiniert wurden“, kritisiert der ehemalige RWE-Manager. „Dadurch haben wir heute einen Flickenteppich und unterschiedliche Zugangs-Systeme, die nicht zusammenpassen.“
Preiswerte, aber langsam arbeitende AC-Ladesäulen wurden als erstes vor den Rathäusern oder der Zentrale der örtlichen Stadtwerke installiert – als wären das die wichtigsten Orte, an denen man gerne stundenlang verweilt und sein E-Mobil lädt. Auch Mark Steffen Walcher, der Geschäftsführer der Innovationsgesellschaft Smartlab, die im Auftrag von 160 inzwischen 160 kommunalen Energieversorgern Konzepte für Elektromobilität entwickelt und hinter dem Stadtwerke-Verbund Ladenetz.de steht, beklagt den „Wildwuchs“ der frühen Jahre: „Jeder konnte aufbauen, was er für richtig hielt. Es sollte sich das Beste durchsetzen. Dabei wurde aber viel Geld verbraten.“ In die sogenannten Modellregionen, lästert der frühere Daimler-Manager, sei so viel Geld geflossen, dass man „am Ende nicht mehr wusste wohin damit. Dann startete man halt die x-te Studie über das Nutzerverhalten.“
Schnelllader für die City
Immerhin: Langsam wird alles besser. Die Gießkanne, berichten die Experten, ist zwar noch längst nicht ausgetrocknet, aber das Wasser, sprich die Fördergelder, fließen inzwischen gezielter. „Seit sich einige Player darangemacht haben, ein bundes- oder europaweites Schnellladenetz aufzubauen, kommt Struktur in die Aktivitäten“, konstatiert Allego-Manager Hell. „Die Betreiber schauen sich inzwischen schon genau an, wo sie Ladesäulen sie installieren – und welche.“ So hat kürzlich Aral in Bochum eine erste Schnelladestation installiert. Und Shell hat angekündigt., in Kooperation mit dem Energieversorger EnBW noch in diesem Jahr 50 Schnellladesäulen mit insgesamt 100 Elektroauto-Ladepunkten an deutschen Tankstellen zu installieren. Geplant sind Ladeleistungen von 150 kW und mehr für möglichst kurze Ladezeiten. In Großstädten, meint Allego-Manager Hell festgestellt zu haben, „ist das Interesse an Schnelllade-Systemen groß, die man zentral, an strategisch günstigen Standorten positionieren kann, für Taxen, aber auch für E-Busse.“ Solche Standorte könnten sehr schnell wirtschaftlich sein – und würden obendrein kostbaren Parkraum sparen helfen: An den AC-Ladesäulen stehen die Autos oft stundenlang und meist auch länger als für das eigentliche Laden erforderlich ist.
Hell: „Dass Fahrer von Elektroautos im Zentrum einer Stadt nicht nur kostenlos parken können, sondern oft auch noch kostenlos Strom zapfen können, war ein falscher Angang.“