Edison: Die Renewables Grid Initiative ist ein Zusammenschluss aus Netzbetreibern und NGOs, darunter zum Beispiel der WWF, die Vogelschutzorganisation BirdLife und die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch. Das ist eine eher ungewöhnliche Mischung. Wie kam es dazu?
Stephanie Bätjer: 2009 wurde vom Europäischen Parlament beschlossen, die Strom- und Gasmärkte weiter zu liberalisieren. Das erfordert seither eine Entflechtung von zuvor eng verwobenen Energieerzeugern und Netzbetreibern. Netzbetreiber haben damit kein wirtschaftliches Interesse mehr an der Energieerzeugung, sondern ihr Fokus liegt nun vollständig darauf, das richtige Netz zu bauen für das, was politisch vorgegeben ist. Und das so schnell wie möglich.

Unsere Gründerin Antonella Battaglini hat erkannt, dass Netzbetreiber damit offener sind, enger und konstruktiver mit Umweltorganisationen zusammenzuarbeiten und ein konfrontatives Verhältnis vermeiden. Wenn man früh mit Organisationen redet, die ein eigenes Interesse im Zusammenhang mit Netzentwicklung haben, geht das Projekt problemloser voran.

Das sind Vorteile aus Sicht des Netzbetreibers. Was haben denn die Umweltorganisationen von dieser Idee?
Dass neue Stromleitungen so umweltverträglich wie möglich gebaut werden. Sie haben aber auch ein ganz konkretes Interesse daran, dass überhaupt Netze gebaut werden: Denn wir brauchen zusätzliche Stromleitungen, um Erneuerbare vernünftig einspeisen zu können und die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Wie kann ich mir denn die Arbeit der Renewables Grid Initiative vorstellen? Klassische Lobbyarbeit in Brüssel?
Nein, wir arbeiten mit der EU zwar manchmal an gemeinsamen Statements zu politischen Entwicklungen, in unserer Arbeit zielen wir aber darauf, ein Vertrauensverhältnis zwischen Umweltorganisationen und Netzbetreibern zu schaffen.

Wir möchten Leute erst einmal miteinander in Kontakt bringen, damit sie verstehen können, was denn die Sichtweisen der jeweils anderen Organisation sind. Begonnen haben wir vor zehn Jahren mit zwei Übertragungsnetzbetreibern und zwei Umweltorganisationen und sind seitdem auf 21 Mitglieder gewachsen.

Unser gemeinsames Ziel als Renewables Grid Initiative ist es, so schnell wie möglich ein Netz zu bauen, das es uns erlaubt, die Klimaziele von Paris zu erreichen – bei so viel Respekt wie nötig und möglich für Umwelt, Natur und Menschen.

Die überarbeitete Erneuerbare-Energien-Richtlinie sieht vor, dass in der Europäischen Union bis 2030 ein Anteil von 32 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen stammen soll. Wie bewerten Sie diese Vorgaben?
Wir begrüßen die leicht angehobene Zielvorgabe für den Ausbau der Erneuerbaren, wobei das natürlich aus unserer Sicht noch deutlich ambitionierter sein könnte. Aber es ist positiv zu beurteilen, dass es ganz konkrete politische Vorgaben gibt. Denn für Netzbetreiber ist es sehr wichtig, dass sie einen Rahmen haben, an dem sie sich orientieren können. Netzplanung braucht sehr viel Zeit. Von der ersten Planung bis zur Inbetriebnahme eines Netzes können gut und gerne zehn bis 15 Jahre vergehen.

Befürworter der Erneuerbaren bemängeln derzeit, dass es überzogene Sicherheitsbedenken gibt und zu viel konventionelle Kraftwerkskapazität vorgehalten wird. Das könnte die Einbindung der Erneuerbaren ausbremsen – würden sie das auch so formulieren?
Nein. Natürlich gibt es ein hohes Sicherheitsbestreben bei den Übertragungsnetzbetreibern. Aber das wird gesellschaftlich auch erwartet. Es wäre wohl kaum zu vermitteln, dass die Bevölkerung Stromausfälle akzeptieren soll, weil ausprobiert wird, wie sich die Erneuerbaren am besten managen lassen.

Unsere Netzbetreiber sagen aber auch deutlich, dass sich ein System mit 60 bis 70 Prozent Strom aus Erneuerbaren bereits heute steuern lässt. Das ist technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll.

Was ist dann das Problem?
Woran es noch hakt, ist ein Marktdesign, das die Erneuerbaren zu gleichwertigen Marktteilnehmern werden lässt. Wenn man die Kosten für den Bau neuer fossiler Kraftwerke mit einbeziehen würde, dann wären Erneuerbare-Energien-Kraftwerke auch ohne Subventionen durchaus gleichwertige Marktteilnehmer. Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Tatsache im aktuellen Marktdesign widerspiegeln würde. Dem ist aber nicht so.

Außerdem fehlen wirtschaftliche Anreize für mehr Flexibilität, etwa durch Speicher und Lastmanagement. Das würde sehr helfen, mehr Erneuerbare schnell in den Markt zu bringen, und es würde potenziell auch helfen, den Netzausbau ein wenig einzugrenzen. Gäbe es mehr Flexibilitätsoptionen, bräuchten wir in Zukunft weniger zusätzliche Netze zur Absicherung. Dazu gehören auch Interkonnektoren, die grenzüberschreitenden Stromfluss ermöglichen.

Wenn ich mir die Medienmeldungen so ansehe, habe ich nicht den Eindruck, dass der Netzausbau besonders harmonisch vorangeht.
Grundsätzlich muss man sagen, dass es bei vielen Netzausbau-Projekten immer noch große Akzeptanzschwierigkeiten gibt. Gleichzeitig entwickeln immer mehr Netzbetreiber ein Verständnis dafür, was es braucht, um Projekte transparenter und mit umfangreicheren Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung zu planen.

Der wichtigste Punkt ist, dass die Leute nachvollziehen können, warum diese Leitung an dieser Stelle benötigt wird. Da herrscht viel Misstrauen, so im Sinne von: „Uns wird gesagt, dass das für die Erneuerbaren ist, aber tatsächlich wird doch nur Kohlestrom transportiert“. Deswegen arbeiten wir intensiv daran, Kommunikation und Beteiligungsmöglichkeiten zu verbessern.

Gibt es denn Netzausbau-Projekte, die aus Ihrer Sicht gut funktionieren?
Sehr gut läuft es im Moment in Irland. Da hat sich der Netzbetreiber EirGrid eine sehr umfassende Strategie überlegt, mit Beratungszentren im ganzen Land, wo sich die Leute zum Thema Netzausbau informieren können. Eine wesentliche Komponente dieses Projekts ist, dass sich das Unternehmen auferlegt hat, in einfacher und verständlicher Sprache zu kommunizieren. Natürlich muss die Information korrekt sein, aber es muss eben nicht immer jedes technische Detail erläutert werden, so dass am Ende keiner mehr versteht, worum es geht. Irland hat auch den Vorteil, dass der regulatorische Rahmen recht flexibel ist.

Was bedeutet das?
Beispielsweise sind dort Kompensationszahlungen möglich.

Also eine Gemeinde, in deren Nähe eine Stromleitung gebaut wird, bekommt ein neues Gemeindezentrum finanziert?
Ja, so in etwa. Das ist ein gemeinsamer Prozess, bei dem sich lokale Initiativen mit konkreten Projekten um die Finanzierung bewerben. Das ist in vielen anderen europäischen Ländern leider gar nicht so einfach möglich. Der Wille bei den Netzbetreibern ist durchaus da, aber der regulatorische Spielraum ist eng.

Was sind weitere Herausforderungen in den kommenden Jahren?
Wir beschäftigen uns im Moment sehr viel mit dem Offshore-Netzausbau und dessen Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Da gibt es viele Projekte die jetzt demnächst begonnen werden, zum einen Interkonnektoren, aber auch im Bereich der Anbindung von Windparks. Deswegen sind wir im Austausch mit unseren Mitgliedern, welche Prinzipien beachtet werden sollen – besonders in den Bereichen Naturschutz und Partizipation.
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Dieses Interview entstand im Rahmen des European Energy Media Fellowships der Heinrich-Böll-Stiftung und ist in voller Länge bei Riffreporter erschienen.

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