Über 3000 Jahre haben die Wikinger vom Flecken Avaldnes auf der Insel Karmøy einst den Seeweg nach Norden beherrscht, keine 20 Kilometer weiter sitzen heute Ingenieure und Techniker vor raumgreifenden Bildschirmen und Anzeigetafeln. In der Schaltzentrale des Staatsunternehmens GASSCO in Bygnes überwachen sie den Fluss von Erdgas aus der Nordsee.

Über ein verzweigtes, 9000 Kilometer umfassendes Pipelinenetz strömt das Gold des Meeres von derzeit 50 Gasfeldern durch sieben Hauptstränge in die EU-Länder, rund 35 Gasversorger nutzen die Rohrleitungen. Eine der Verbindung ist die 650 Kilometer lange Europipe II zwischen der Raffinerie Kårstø, wo das Erdgas aufbereitet wird, und der Empfangsstation in Dornum/Ostfriesland.

Die Erfolgsgeschichte des norwegischen Erdgases hatte 1977 mit der Erschließung des Ekofisk-Feldes westlich von Stavanger begonnen. In diesem Jahr wird sie mit der 480 Kilometer langen Polarled-Pipeline zu Förderplattformen des Aasta Hansteen-Feldes im Nordmeer weiter geschrieben. Mit Polarled überquert erstmals eine Rohrleitung den Nordpolarkreis.

Klimaziele trotz Gas einhalten

Während das Gasbusiness an die Vergangenheit erinnert, will Norwegen mit ehrgeizigen Maßnahmen in der Zukunft die Ziele des Pariser Klimaabkommens (Senkung des schädlichen Treibhausgases CO2) strikt einhalten – im Gegensatz zu Deutschland, wie Bundesumweltministerin Svenja Schulze unlängst bei der Konferenz Petersberger Klimadialog vor Experten aus über 30 Ländern zugeben musste.

„50 Prozent weniger Emissionen bis zum Jahr 2040. Das ist für uns herausfordernd, aber möglich. Damit wird unser Land eine bedeutende Rolle in Europa spielen“, so Umweltminister Elvestuen vor deutschen Journalisten in Oslo. Norwegen sei definitiv das Land, das mit verschiedenen Maßnahmen und per Gesetz vorangehe:

  • Ab 2025 sollen alle neu zugelassenen Pkw Null-Emissionen haben, ab 2030 auch schwere Lkw. Derzeit rollen bereits 160.000 E-Autos über Norwegens Strassen, vor allem in den Großräumen Oslo, Bergen und Trondheim. Ab dem kommenden Jahr will Oslo beispielsweise 70 neue Elektrobusse im ÖPNV einsetzen.
  • Bis 2020/2021 sollen 65 Fjordfähren mit Elektrizität angetrieben werden. Bereits seit März 2015 verkehrt die vollelektrische Großfähre Ampere im Sognefjord auf einer sechs Kilometer langen Strecke zwischen Lavik und Oppedal. Ebenfalls soll die Flotte der schnellen Passagierboote des ÖPNV zwischen den zahlreichen Inseln umgerüstet oder komplett mit Elektro- und Hybridtechnik erneuert werden.
  • Kreuzfahrtschiffe mit umweltschädlichen Antrieben sollen fünf bekannte Fjorde wie beispielsweise das UNESCO-Weltnaturerbe Geirangerfjord in der Zukunft nicht mehr anlaufen dürfen. Das betrifft nach Aussagen von Cruise-Experten vor allem Schiffe, die vor dem Jahr 2000 gebaut wurden. Derzeit hängt an windstillen Tagen eine blaue Wolke aus stinkenden, giftigen Abgasen über dem engen Geirangerfjord.

Klimaschonendes Aluminium

Auch Norwegens Industrie wie etwa das Unternehmen Hydro Aluminium zieht durch neuartige Produktionsverfahren mit. Im Pilot Plant auf der Insel Karmøy werden in diesen Wochen 60 moderne Fertigungszellen der HAL4e- und HAL4e Ultra-Technik hochgefahren. Das Ziel: Den direkten CO2-Ausstoß auf 1.40-1.45 kg CO2 pro produziertem Kilogramm Aluminium zu senken und im Jahr 2020 CO2 neutral zu werden.

„2004 wurde der erste Protoyp im Technikcenter Årdal gebaut, 2008 hatten wir die erste Kleinserie und in diesem Sommer steigern wir hier die Produktion auf bis zu 75.000 Tonnen Aluminium im Jahr“, sagt Programm-Manager Martin Segatz aus Neuss. „Dennoch benötigen wir noch einige Jahre um zu wissen, ob diese Technik wirklich serienreif ist.“

Grund für diese behutsame Vorgehensweise sind die enormen Investitionssummen: 4,3 Milliarden Norwegische Kronen NOK (rund 450 Millionen Euro) kostete das Pilot Plant, Fördermittel steuerten die norwegische Energieagentur Enova (1,6 Milliarden NOK – etwa 170 Millionen Euro) und die Wirtschaftsförderer von Innovation Norway (22,5 Millionen NOK – knapp 2,4 Millionen Euro) bei. Hydro Aluminium auf Karmøy hat über 700 Beschäftigte und ist damit einer der bedeutendsten Arbeitgeber auf der Atlantikinsel nördlich von Stavanger.

CO2-Speicherung geplant

Weitaus ambitionierter als dieses neue Produktionsverfahren sind die Pläne norwegischer Ingenieure, klimaschädliches CO2 in 1000 bis 2000 Meter Tiefe unter dem Meeresgrund der Nordsee einzulagern. Tor Martin Anfinsen, Topmanager des Staatskonzerns Equinor (ehemals Statoil) sagt: „Die Technik ist vorhanden, das Projekt kostet aber eine Menge Geld.“ Zahlen mochten die Experten auf Nachfrage nicht nennen. Dabei wissen die Energiemanager genau um die erheblichen Vorbehalte in Deutschland gegenüber diesem CCS-Projekt.

Anfinsens Kollege John Høines, Leiter der Erdgasraffinerie Kårstø, kann sich im Gespräch einen Seitenhieb nach Deutschland nicht verkneifen: „Wir können nicht nachvollziehen, das in Deutschland weiterhin an Braunkohlekraftwerken mit dem hohen Ausstoß des klimaschädlichen CO2 festgehalten wird.“

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