Bislang waren Rekorde bei den Erneuerbaren immer so eine Sache. Entweder ist das Land sehr klein und lässt sich eh problemlos per Wasserkraft oder Geothermie versorgen, oder der Wert gilt nur für einen Tag. Nicht so in Portugal.
103,6 Prozent des Stroms kamen im März aus Sonne, Wind und Wasserkraft. Das geht aus einem Bericht des Portugiesischen Erneuerbaren-Verbands (kurz Apren) hervor, basierend auf Daten des Netzbetreibers REN. Der Verband der Wasser- und Windmüller gibt stolz bekannt: Der März war der erste hundertprozentig erneuerbare Monat dieses Jahrhunderts.
Es sei „ein Beispiel für das, was in der Zukunft häufiger passieren wird. […] 2040 dürfte die Stromproduktion aus Erneuerbaren den Jahresbedarf des Festlandes decken“, heißt es in dem Bericht.
Schade für Touristen, gut für die Stromwirtschaft: Wasserkraft machte wegen vieler Regenschauer 55 Prozent der Stromerzeugung aus, Wind immerhin 42 Prozent. „Portugal taugt zum Musterland in Sachen Strom aus Erneuerbaren“, lautet deshalb auch das Fazit von unabhängiger Seite: Miriam Neubert ist Expertin für die iberische Halbinsel bei Germany Trade & Invest (GTAI), der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing.
Portugal hat in den vergangenen Jahren stark in Wind- und Wasserkraft investiert, rund 90 Prozent der insgesamt 13.000 Megawatt Gesamtkapazität der Erneuerbaren kommen aus diesen Quellen. Solar steuert mit knapp 500 Megawatt installierter Leistung überraschend wenig bei.
Wasserkraft hat den Vorteil, dass sie planbarer ist. Staudämme dienen als Speicher, das Wasser fließt erst dann, wenn die Generatoren auch wirklich Strom liefern müssen. Da Portugal zudem mehr Gas als Kohle verbrennt, um den restlichen Strombedarf zu decken, lassen sich auch die fossilen Kraftwerke viel flexibler einsetzen als in Deutschland. „Das ist ein wichtiger Aspekt“, sagt Neubert, „trotz dieser Masse an Grünstrom ist das Netz stabil geblieben.“
Im März sind die fossilen Kraftwerke auch nicht komplett eingemottet worden – in manchen Regionen sprangen sie durchaus kurzzeitig an. Deshalb dürfte die Gesamtstromproduktion den Bedarf noch deutlicher übersteigen als „nur“ um 3,6 Prozentpunkte.
Trotz Wirtschaftskrise die Kapazität verdoppelt
Das sorgt für Abhängigkeiten: Spanien, der einzige Nachbar, muss den Strom dann abnehmen. „Angesichts des Strommarkts mit Spanien spielt da für Portugal der weitere Ausbau der Interkonnektivität zwischen Spanien und Frankreich eine wichtige Rolle“, erklärt die GTAI-Marktbeobachterin. Interkonnektivität, das bezeichnet den Stromhandel über Grenzen. „Energetisch ist Portugal eine Insel“, erklärt Neubert, nur umgeben von einem einzigen Land.
Ein Zehntel des Stroms soll allerdings in Nachbarländer exportiert werden können, so der Wunsch der EU. Das klappt auch bei anderen Ländern nur selten, zwischen den iberischen Nachbarn gibt es ebenfalls noch keinen freien Stromfluss.
Abhängig ist das Land aber auch vom Wetter. 2016 trugen die Erneuerbaren über das ganze Jahr gesehen 57 Prozent zum Strom-Mix bei, im sehr trockenen 2017 nur 44 Prozent – ein zugegeben auch für Portugal sehr ungewöhnlicher und bislang einmaliger Absturz.
„Portugal hat trotz Krise eine eindrucksvolle Entwicklung beim Ökostrom genommen“, zieht Neubert ein Fazit. Die Kapazität habe sich verdoppelt, zudem begleite die Regierung die Energiewende positiv.
Einerseits will Portugal das EU-Ziel erreichen, bis 2020 den Anteil der Erneuerbaren am Gesamtenergiebedarf von derzeit knapp 29 auf 31 Prozent zu steigern. Aber auch die Energieabhängigkeit lag in den vergangenen Jahren immer zwischen 70 und 80 Prozent. Die hohe Energieabhängigkeit bedeutet, dass Portugal zuletzt 77 Prozent seiner Energieträger (Kohle, Gas) importieren musste. Das sonnen- und windreiche Land könnte mit Erneuerbaren aber unabhängiger werden – und zudem Geld sparen.
Beim Strom funktionierte das im März also schon, der Energiebedarf von Industrie und Mobilität ist aber noch höher. Hier ist es für den südeuropäischen schwieriger, sich ohne eigene Öl- und Gasvorkommen unabhängig von Importen zu machen. Möglicherweise gibt es aber vielversprechende Lithiumvorräte, die als Ausgangsstoff für Akkus bei der Verkehrswende helfen könnten.
Stromkunden atmen auf
Die Portugiesen müssen noch einige Probleme lösen, bevor sie wirklich als Musterland gelten können. Andererseits: Die Strompreise, die immer noch zu den höchsten in Europa gehören, sinken dank des Grünstroms.
„Der nächste Schritt ist hin zu mehr Solaranlagen“, erklärt Neubert. „Es sind schon Anlagen mit insgesamt 800 Megawatt Leistung genehmigt, Anträge über 1500 Megawatt werden noch geprüft.“ Das Interesse sei an einigen Orten so groß, dass es die Einspeisepunkte überfordern könnte – so wird die Regierung die Lizenzen vermutlich per Losverfahren verteilen.
Dabei dürfte sich der Export lohnen. 4812 Gigawattstunden erzeugten die Erneuerbare insgesamt im März, berichtet Euractiv, das dürfte etwa ein Fünftel des spanischen Bedarfs sein. Der große Nachbar könnte kleinere Überschüsse also locker abnehmen – und gerade wenn der Preis sinkt noch mehr Appetit auf portugiesischen Ökostrom bekommen. Das könnte wiederum dabei helfen, offene Stromgrenzen zu schaffen.
Auch wenn noch viele alte Anlagen feste und relativ hohe Einspeisevergütungen erhalten: Sollten die neuen Solarkraftwerke wie geplant zu deutlich günstigeren, wettbewerbsfähigen Preisen produzieren, werden die Stromkosten voraussichtlich weiter sinken. „Mittelfristig dürften die Endkunden profitieren“, sagt Neubert. Nicht nur die Erzeugungspreise für Strom, auch die Kosten für CO2-Zertifikate und Gasimporte sinken.