Die neue Windenergieanlage (WEA) von MHI Vestas ist ein Gigant. 80 Meter lange Flügel und eine Nabenhöhe von 105 Meter hat die Zehn-Megawatt-Anlage des dänischen Herstellers. In der Windbranche ist das ein Meilenstein und so etwas wie das Durchbrechen der Schallmauer.

„Was zuvor unerreichbar war, ist zum neuen Maßstab geworden“, sagte Philippe Kavafyan, CEO von MHI Vestas, auf der WindEnergy in Hamburg. Alle zwei Jahre trifft sich in der Hansestadt das Who-is-Who der Windbranche. 1482 Aussteller aus 40 Ländern waren es in diesem Jahr.

Nach Angaben des Offshore-Joint-Venture von Vestas und dem japanischen Industriekonzern Mitsubishi Heavy Industries (MHI) ist es die derzeit leistungsstärkste Windturbine am Markt und wird die Kosten der Offshore-Windenergie weiter deutlich senken. Ab 2021 soll die Turbine auf dem Meer eingesetzt werden, bei Bedarf auch als „Floating Wind Turbine“ – eine schwimmende Anlage ohne Verankerung auf dem Meeresgrund.

In Deutschland ist die Stimmung in der Branche allerdings alles andere als euphorisch. Es herrscht Flaute. Eine Umfrage des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) macht das Debakel deutlich: 70 Prozent der befragten Manager schauen für die Onshore-Windenergie in Deutschland pessimistisch in die Zukunft. Eine verheerende Entwicklung. Denn noch gilt Deutschland als Technologieführer bei Wind an Land.

Auf See sieht die Zukunft auch nicht rosig aus. Rund jeder zweite befragte Manager bezeichnet die Aussichten als „eher schlecht“ oder „schlecht“. Ganz anders das internationale Geschäft. Der Offshore-Windmarkt wird von 80 Prozent mit „guten“ oder „hervorragenden“ Perspektiven verbunden – bei Onshore vermutet jeder eine gute oder sehr gute internationale Lage.

Politik bremst Windenergie

Die Ursachen für die schwierige Marktlage in Deutschland sind schnell benannt: Als größte Herausforderungen für die Onshore-Windenergiebranche gilt der stockende Ausbau der Übertragungsnetze, gefolgt von der schwindenden Akzeptanz für die Energiewende aufseiten der Politik sowie die benötigte Erhöhung der Ausbaumengen für die Windenergie.

Auf See sieht es nicht viel anders aus. Das Ausbauvolumen ist zu gering, der überregionale Ausbau der Übertragungsnetze geht zu langsam und die Unterstützung der Energiewende seitens der Politik sieht die Branche eher als mangelhaft an.

Jan Rispens, Geschäftsführer Erneuerbare Energien Cluster Hamburg (EEHH) befürchtet, dass Wertschöpfung aus Deutschland verschwindet. „Nicht zuletzt, da ein Großteil der befragten Branchenakteure offenbar meint, dass die Bundesregierung die weitere Umsetzung der Energiewende aktuell kaum bis gar nicht vorantreibt.“

Mit dieser Ansicht steht der Industrielobbyist nicht alleine da. Immerhin wurden wegen der schwierigen politischen Rahmenbedingungen bereits 5000 Stellen abgebaut. Dafür ziehen Energieminister und -senatoren der fünf Küstenländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in ungewohnter Einigung an einem Strang. Ihr Unmut gilt der Bundesregierung.

GroKo soll Ausbaupläne umsetzen

CDU, SPD, FDP und Grüne aus dem Norden wollen, dass die große Koalition in Berlin endlich das umsetzt, was im Koalitionsvertrag steht. Dazu gehört ein konkreter Plan, wie der Anteil der erneuerbaren Energie am Stromverbrauch bis 2030 auf die gewünschten 65 Prozent steigen soll.

Sie fordern, dass an Land jährlich mindestens 4000 MW an Windenergieanlagen zugebaut werden. Auf See soll die Leistung nicht auf 15.000, sondern 20.000 MW bis 2030 steigen. Bis 2035 sollen 30.000 MW sein. „Die Sonderausschreibungen müssen sofort kommen“, appellierte der niedersächsische Energieminister Olaf Lies (SPD). Es geht um Wirtschaft kraft und um Arbeitsplätze. Die Minister sehen die 160.000 Arbeitsplätze in der Windkraftbranche akut gefährdet. Nur: Die Ausschreibungen kommen wohl zu spät.

„Der Bund droht gerade, die Energiewende zu verstolpern“, sagte Lies. 1000 Arbeitsplätze sind in Niedersachsen bereits weg. Die Gefahr sei sehr groß, dass sich das fortsetze, so Lies.

Sein Kieler Amtskollege Jan-Philipp Albrecht von den Grünen ergänzte, dass ohne neue Windräder Deutschland die Klimaziele verpasse. Der Hamburg Senator Jens Kerstan fordert zudem einen stärkeren Fokus auf Sektorkopplung, wodurch der erneuerbare Strom künftig auch für den Verkehrs- und für den Wärmesektor deutlich mehr Bedeutung erhält.

Bundesrechnungshof beschwert sich

Heftige Kritik an der Bundesregierung gibt es auch vom Bundesrechnungshof. Die Energiewende werde unzureichend koordiniert, mangelhaft gesteuert, die Regelungsdichte sei zu hoch und es fehle an Kostentransparenz, bemängelten die unabhängigen Prüfer.

Die finanziellen Belastungen sind enorm. Der Bundesrechnungshof geht für das Jahr 2017 von mindestens 34 Milliarden. Euro aus. Dennoch scheint die Energiewende zu scheitern. „Darauf deuten teils erhebliche Zielverfehlungen bei der Umsetzung hin“, so der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller. „Der enorme Aufwand und die starke Belastung der Bürger und Wirtschaft stehen in krassem Missverhältnis zum bisher dürftigen Ertrag der Energiewende.“

Das Bundeswirtschaftsministerium BMWi lasse die notwendige Handlungsbereitschaft vermissen, die angesichts eines derart komplexen Projekts zu erwarten wäre. So hat das BMWi auch nach fünf Jahren nicht genau bestimmt, was es tun muss, um die Energiewende so zu koordinieren, dass die Bundesregierung die damit verbundenen Ziele wirtschaftlich erreicht. Scheller: „Wenn die Energiewende gelingen soll, muss die Bundesregierung umsteuern.“

Hoffnung auf Auslandsgeschäft

Für die Windbranche gibt es aber einen Hoffnungsschimmer und der liegt im Ausland. In der Offshore-Windindustrie gelten Frankreich und Großbritannien, aber auch Taiwan und die USA als Länder mit Potenzial. Taiwan will auf See 5500 MW bis 2025 aufbauen. Für Gernot Blanke, CEO der wpd AG, ist dies der „wohl reifste Markt Asiens, der für international tätige Unternehmen zugänglich“ ist. Weitere spannende asiatische Märkte sind für ihn in den kommenden Jahren Japan und Südkorea.

Einer der weißen Flecken auf der Onshore-Windkarte war bisher Saudi-Arabien, wo jetzt immerhin der erste Windpark mit einer Leistung von 400 MW entstehen soll.

Ägypten setzt jetzt ebenfalls auf den Strom aus Wind – mit 300 WEA und einer Leistung von 580 MW soll im Gebiet El-Zeit einer der größten Onshore-Windparks der Welt entstehen. „Bereits heute erzeugt Wind nahezu fünf Prozent des gesamten Stroms, und das Potenzial ist noch wesentlich höher. Bei weiter sinkenden Kosten und entsprechenden politischen Weichenstellungen könnte Wind in den nächsten Jahrzehnten zur wichtigsten Energiequelle der Welt werden“, erklärte Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur. Seine Vision: Die Branche soll 2027 die größte Energiequelle Europas bereitstellen.

Immerhin: In Deutschland könnte das schon früher der Fall sein. Windenergie lieferte 2017 bereits 18,8 Prozent des Stroms, nur Braunkohle (24,4 Prozent) liefert mehr.

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