Am liebsten würden sie bei Audi schon mal ein bisschen an der Zeituhr drehen, so aufgeregt und hibbelig sind die Ingolstädter Techniker. Um endlich zu beweisen: Auch sie können es jetzt vollelektrisch. Nachdem ihre bisherigen hochfliegenden Versuchsautos und Prototypen heute vornehmlich Museumskandidaten sind. Wir erinnern uns da an spannende Fahrten mit dem sportlichen Überflieger R8 E-Tron oder mit dem kleinen A1 R-Tron, der einen Wankelmotor zur Reichweitenverlängerung nutzte.
Jetzt aber will die Edelmarke mit den Ringen endlich Ernst machen. Zehn vollelektrische Modelle sollen in den nächsten sieben Jahren zu den Händlern rollen. Und bis 2025 sollen die reinen Elektriker bei Audi einen Verkaufsanteil von 30 Prozent erreichen.
Den Anfang macht der E-Tron, der noch mit ziemlich krasser Tarnfolie durch die Gegend düst. Das knapp fünf Meter lange und wohl gut 2,5 Tonnen schwere SUV ist ein ziemlicher Big Mac. Den es auch als Siebensitzer, mit Luftfederung und Anhängerkupplung geben soll. Aber Audi will eben gleich im angesagten Topsegment angreifen. Verkaufsstart? Kurz vor dem Jahresende. Preis? Nicht unter 80.000 Euro.
700-Kilo-Batterie mit 95 kWh
Natürlich, bei einem SUV fallen die 700 Kilogramm, die allein das Batteriesystem wiegt, nicht so auf. Es besteht aus insgesamt 36 Modulen im Schuhkartonformat, die jeweils zwölf Pouchzellen (Gehäuse aus flexibler Aluminium-Verbundfolie) zu 60 Amperestunden (Ah) enthalten, die der südkoreanische Produzenten LG Chem liefert.
Zum Start des E-Tron wird die Batterie eine Kapazität von immerhin 95 Kilowattstunden (kWh) haben, später soll es für preisgünstigere und leichtere E-Tron-Einstiegsmodelle auch Versionen mit geringerer Kapazität geben. Apropos Elektrifizierung: Der E-tron-Prototyp trägt keine klassische Erlkönig-Tarnung, sondern visualisiert Elektrifizierung mit einer eigens für ihn entwickelten Design-Folie. Mit – laut Pressemeldung – elektrifizierenden Symbolen und orangenen Hochvolt-Netz-Anspielungen. Die expressiven Schweller zeigen mit ihrem farbigen Einleger, wo sich die Batterie und dementsprechend das Energiezentrum des Autos befindet.
Das ganze Batteriepaket, das sich im Unterboden zwischen den Achsen des SUV flach macht, hat etwa das Format eines großen Doppelbetts (2,20 x 1,60 x 0,35 m). Ganz am Ende (unter der Rückbank des Autos) reckt es sich kopfkissenartig etwas in die Höhe.
Und direkt unter dem Energiespeicher liegt wie ein dazugehöriger Lattenrost das Kühlsystem aus Aluminium-Strangpressprofilen, das permanent von Kühlflüssigkeit durchspült wird, damit die Batterie immer im optimalen Temperaturbereich zwischen 25 und 35 Grad Celsius agieren kann. Die Module der Batterie sind übrigens untereinander mit einem völlig neuartigen, wärmeleitfähigen Spezialkleber verbunden, den wohl 3M zuliefert.
Das Ganze ist nach ganz unten zur Sicherheit mit einer massiven Aluminiumplatte geschützt – gegen Steinschlag, hohe Bordsteinkanten und ähnliche Gefahren. Laut Audi soll die Crashsicherheit des E-Tron-Batteriesystems vorbildlich sein. „Wir liegen in allen Parametern über den gesetzlichen Anforderungen“, erklärt Produktmanager Anno Mertens. Dafür hätten die Entwickler auch einige zusätzliche Kilos beim Gewicht des Autos in Kauf genommen.
0 auf 100 in 4,5 Sekunden
Noch ein paar technische Basisinformationen. Mit dem Strom werden die zwei Elektromotoren des E-Tron betrieben. Einer arbeitet an der Vorderachse, einer an der Hinterachse. Im Zusammenspiel kommen sie auf eine Leistung von rund 300 kW, wobei der vordere den größeren Anteil liefert, weil er für die normale Geradeausfahrt zuständig ist und der hintere bei Traktionsbedarf elektronisch und automatisch zugeschaltet wird – quasi als ständig verfügbarer Allradantrieb. Von Null auf Hundert geht’s in 4,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit des Autos soll bei etwa 210 km/h liegen.
Dass Teslas dicker SUV-Brummer Model X laut Werksangabe hier sogar die prestigeträchtigsten 250 km/h schafft, scheint bei Audi niemanden zu beeindrucken. Hinter vorgehaltener Hand verweisen die Ingolstädter lächelnd darauf, die Amis seien ja bekanntermaßen nicht vollgasfest und regelten die Spitzenleistung bei solchen Eskapaden schon nach kurzer Zeit ab.
In 30 Minuten wieder langstreckentauglich
Und wie weit bitte wird der Hochsitzer E-Tron mit den 95 kWh Akkukapazität kommen? Ursprünglich war ja mal von 500 Kilometern die Rede, doch nach Anwendung der neuen WLTP-Fahrzyklusnorm heißt es nun bescheidener, das dieser E-Tron „eine Reichweite von deutlich über 400 Kilometern hat“ (Zitat Mertens). Das ist immer noch eine ordentliche Ansage und fürs tägliche Pendeln ins Büro oder Ausflüge in die schöne ländliche Umgebung Ingolstadts mehr als ausreichend.
Schwieriger wird’s, wenn der Bayer auf die Idee kommen sollte, nach Berlin zu reisen. Denn der Audi-Fahrer, der es oft eilig hat, will ja unterwegs nicht an einer normalen Ladesäule übernachten. Wie lange darf das Laden dauern?
Audis Partner vom Unternehmen Tank & Rast haben da ausgerechnet, dass der deutsche Autofahrer im Schnitt zwischen 20 und 30 Minuten an der Autobahn-Raststätte verbringt. Tanken, Kaffee, Toilette, Beine vertreten und so weiter. Sie ahnen es, die 30 Minuten sind nun Audis Zielwert und deshalb soll die Serienversion des E-Tron als erstes Modell im Markt an Schnelllade-Stationen (High-Power-Charging/HPC) mit bis zu 150 kW Ladeleistung (400 Volt Ladespannung) Strom tanken.
Und damit hätte die Batterie des SUV nach den 30 Minuten wieder 80 Prozent ihres maximalen Ladezustands intus und Berlin wäre ohne einen weiteren Stopp erreichbar. Was Audi nicht kommuniziert: Das Laden der restlichen 20 Prozent würde – typisch Lithiumionen-Batterie – noch einmal 30 Minuten dauern.
Auch mit den Speedsäulen ist das so eine Sache. Das Partner-Netzwerk Ionity, dem als Joint Venture auch andere Autohersteller angehören, will bis 2020 entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen 400 Exemplare errichten (120 davon in Deutschland), die nach Möglichkeit mit Ökostrom betrieben werden sollen. Aktuell gibt es aber nur eine einzige HPC-Station in Deutschland, nämlich an der Autobahn-Raststätte Brohltal Ost (A61) in der Eifel. Audi verspricht jetzt optimistisch erst einmal 200 dieser Stationen bis ungefähr Ende 2019. Und natürlich werden die auch Kunden der Ionity-Partner Daimler, BMW, Ford, VW und Porsche nutzen. Reservierte Plätze für Audi-Kunden seien für den Anfang nicht geplant. Das komme später, „wenn es an der Ladefront eng werden sollte“.
Auch Ladeweltmeister wird Audi nur relativ kurze Zeit sein. Denn an den Ionity-Säulen lässt sich generell mit bis zu 350 kW laden. Genau das kann Porsches 600 PS starker Elektro-Überflieger Mission E, der im Herbst 2019 startet. Audis erster 350-kW-Lader wird dann der Sportwagen E-Tron GT, der für Ende 2020 angekündigt ist. Denn der nutzt einiges von der Porsche-Technik, die zum Teil auch gemeinsam entwickelt wird.
Schlaue Routenplanung
Generell will Audi seinen neuen E-Kunden das Ladeleben so leicht wie möglich machen. Per App myAudi soll es die komplette Routenplanung geben. Dabei berücksichtigt die Navigation unter anderem den Füllstand der Batterie, die aktuelle Verkehrslage und aktuelle Belegung der avisierten Ladesäulen. Falls der Kunde noch beim Kaffee sitzen sollte, kommt eine Push-Nachricht, sobald er seine Fahrt fortsetzen kann. Und für Leute, die nicht gern rangieren, gibt es für den ersten E-Tron gegen Aufpreis eine zweite Ladedose, die dann auf der Beifahrerseite liegt.
Und mit dem geplanten E-Tron Charging Service bekommen die Kunden laut Audi Zugang zu 80 Prozent aller öffentlichen Ladestationen. Alles mit einer Karte und mit automatisierter Abrechnung ohne physische Zahlungsmittel. Und ab Mitte 2019 soll es für Audis E-Kunden mit der Plug & Charge-Technologie noch bequemer werden. Ganz ohne Karte. Dann autorisiert sich Audis E-Tron über kryptographische Sicherheits-Verfahren selbst an der Ladesäule und schaltet sie frei.
Noch wird ja meist ohnehin zu Hause geladen, laut Statistik bei 85 Prozent aller Ladevorgänge. Dafür gibt es zum E-Tron serienmäßig das Ladesystem compact mit zwei Kabeln — eins für eine 230-Volt-Haushaltssteckdose und 2,3 kW Ladeleistung und eins für eine 400-Volt-Drehstromsteckdose mit bis zu 11 kW Leistung. Allerdings braucht letztere allein achteinhalb Stunden, bis die Batterie wieder voll geladen ist.
Schneller geht’s mit dem aufpreispflichtigen System connect, das Laden mit bis zu 22 kW erlaubt und so für die Vollladung nur viereinhalb Stunden benötigen soll. Außerdem kann es sich mit einem Heimenergie-Managementsystem (HEMS) vernetzen und so zum Beispiel Überlastungen vermeiden oder vorzugsweise den zu Hause selbst erzeugten Photovoltaik-Strom nutzen. Generell lässt sich der Audi wie fast alle Stromer auch vorklimatisieren, und selbstverständlich soll uns der Audi-Händler auch einen Ökostromvertrag offerieren.
Derzeit laufen bei Audi auch Versuche den E-Tron umgekehrt als Energiespender für Haushalt & Co. zu nutzen. Auch das induktive Laden – also drahtlos per elektromagnetische Felder über einer entsprechenden Platte – ist noch für die Laufzeit des ersten E-Tron-Modells geplant. Die Ladeströme sind dabei relativ niedrig, aber das Ganze wäre natürlich sehr bequem.
2019 folgt der Sportback
Die Batterie des SUV soll übrigens ein ganzes Autoleben fit bleiben, Audis Techniker sprechen von 250.000 bis 350.000 Kilometern Laufleistung. Sie lässt sich nach dem Lösen von 35 Schrauben unter dem Auto abnehmen – zum Beispiel für den Austausch eines defekten Moduls. Theoretisch ließe sich die Batterie dann auch gegen eine neue, leistungsstärkere Version tauschen. Darüber möchten die Entwickler bei Audi aber noch nicht reden. Ebenso wenig über die geplanten Garantieleistungen.
Klar ist, das es Ende 2019 mit dem coupehaften Viertürer Sportback ein zweites luxuriöses Modell mit E-Tron-Technik geben soll. Und erst ab 2020 kommt ein erschwinglicher Vollstromer im Format des Audi A3, basierend auf dem neuen Modularen Elektrobaukasten (MEB) des VW-Konzerns. Da muss Audi schlicht warten. Denn in diesem Fall haben die Wolfsburger mit ihrem VW I.D.-Modell den Vortritt in der Kompaktklasse.
Und ganz langfristig kommt ja vielleicht der Aicon, „voll-elektrisch, voll-autonom und vollständig vernetzt“, wie Vorstand Rupert Stadler bei der Jahrespressekonferenz erklärte: „Eine solch luxuriöse Lounge für die Langstrecke verankern wir in unserer langfristigen Produktplanung.“
Jetzt bleibt nur noch zu sagen, dass Audi den E-Tron nicht am Stammsitz in Ingolstadt oder in Neckarsulm bauen wird, sondern kostengünstiger im belgischen Audi-Werk Brüssel. Dafür wird die bisherige Audi A1-Kleinwagenproduktion ins spanische Martorell zur Konzernmarke Seat verlagert. Brüssel wird „Kompetenzzentrum Elektromobilität“. Genau, das ist Globalisierung im VW-Konzern.