„Jede Runde hilft uns“, gibt sich Neil Jani bescheiden, „wir sind froh, wenn wir hier die Beine auf den Boden bekommen“. Der 35jährige Rennfahrer des Porsche-Teams dämpft bewusst die Erwartungen, als er am Rande des Circuit Ricardo Tormo unweit des spanischen Valencias seine Eindrücke nach dem ersten Trainingstag der Formel E schildern. Das Team des deutschen Sportwagen-Bauers wolle erst einmal Prozesse einüben und das Energiemanagement der Elektro-Flitzer optimieren, betont der Motorsportler indisch-schweizerischer Herkunft.
Trotzdem ist der Druck enorm, als Ende Oktober erstmals alle zwölf Teams der elektrischen Rennserie aufeinandertreffen, auch wenn Jani rhetorisch vorbaut: Denn Porsche rast nicht nur gegen den Stuttgarter Stadtrivalen Mercedes an, sondern misst sich zugleich mit Konzernschwester Audi und auch noch mit der Konkurrenz von BMW. Die Zuffenhausener wollen sicherlich nicht nur die Rücklichter der anderen deutschen Premiummarken sehen – weder bei den Trainingsläufen im sonnigen Valencia noch im Laufe der sechsten Saison der Formel E. Die beginnt am 22. November im saudi-arabischen Diriyah und endet am 26. Juli in London. Höhepunkt aus deutscher Sicht ist das Rennen in Berlin am 21. Juni auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen. Wer es da von den vier hiesigen Herstellern vor heimischem Publikum nicht aufs Podium schafft, wird sich doppelt blamiert fühlen. Dumm nur, dass das Siegertreppchen nur Platz für drei Fahrer hat. Ein Verlierer ist damit mindestens garantiert.
Und da sind noch weitere Werksteams in der „Bundesliga des Motorsports“, wie die Rennserie angesichts des bundesrepublikanischen Präsenz mittlerweile bespöttelt wird. Jaguar aus Großbritannien, Mahindra aus Indien, Nissan aus Japan, Nio aus China und vor allem DS aus Frankreich werden den Deutschen nichts schenken. Denn gerade letztere haben mit Jean Eric Vergne einen zweifachen Champion im Team. Der ist durchaus hungrig auf einen dritten Titel, wie er in Valencia betont, auch wenn er niemanden mehr etwas beweisen müsse.
Anders als in der Formel 1 zählt in der Formel E noch mehr der Fahrer. Denn während sich in der vermeintlichen Königsklasse des Motorsports die Teams eine teure Material- und Technikschlacht liefern, sind der elektrischen Rennserie die Autos nahezu identisch, sei es bei der Batterie oder in Sachen Aerodynamik. Einzig den Antrieb entwickeln die Teams selbst, aber auch hier lässt ihnen das Reglement nicht viel Spielraum. Bemerkenswert ist: Auch die Formel 1 schlägt diesen Weg ein, vereinheitlich die Fahrzeuge technisch und beschränkt ab 2021 das Budget, das die Teams ausgeben dürfen.
Beim Training lagen die deutschen Teams hinten – bis auf BMW
Das soll für mehr Chancengleichheit sorgen, was sich auch in den Ergebnissen der Trainingstage in Valencia zeigte. So lagen am Ende der beste Fahrer mit der schnellsten Rundenzeit – Max Günther von BMW – und der langsamste – Ma Qing Hua von Nio – gerade mal etwas mehr als eine Sekunde auseinander. Der zweite BMW-Fahrer Alexander Sims schaffte es auf Platz 7. Die übrigen deutschen Teams tummelten sich in der zweiten Hälfte des insgesamt 24 Köpfe starken Fahrerfeldes. Fast ganz am Ende der Tabelle tummelten sich die beiden Porsche-Fahrer und die von Mercedes.
Gerade dessen Pilot Nick de Vries musste erleben, wie schwierig die schweren Batterie-Boliden zu beherrschen sind: Er machte Bekanntschaft mit einer Mauer, sein Fahrzeug musste beschädigt von der Strecke abtransportiert werden. Zwar ist de Vries Neuling in Formel E, aber immerhin holte er vergangene Saison den Meistertitel in der Formel 2 der Verbrenner.
Immerhin hat Mercedes einen Vorteil gegen Porsche: Dessen Team konnte bereits in der vergangenen Saison Erfahrung in der Formel E sammeln, als es für den deutschen Rennstall HWA Racelab antrat. Daimler hat es samt Fahrer Stoffel Vandoorne übernommen und den Briten Ian James als Teamchef eingesetzt. Porsche fängt dagegen bei null an. Trotzdem betont der Deutsche Andre Lotterer, der zweite Fahrer des Teams, selbstbewusst: „Mein Ziel ist, in Saudi-Arabien zu gewinnen“. Er fuhr in der vergangenen Saison für DS Techeetah immerhin vier Mal auf Podiumsplätze.
Wobei allen Fahrern und Teams klar ist: Das Kräftemessen auf einer klassischen Rennstrecke wie in Valencia sagt nur wenig aus über die Erfolge bei den entscheidenden Wettläufen in London, Berlin oder Jakarta. Denn dort rasen die Fahrzeuge auf echten Straßen mit unterschiedlichsten Belägen durch enge Kurven herum – mit immer denselben Reifen. So holten etwa vergangenes Jahr die BMW-Fahrer Bestzeiten im Training, spielten dann aber in der Saison beim Kampf um den Titel keine Rolle mehr.
Bald sollen Boxenstopps für mehr Spannung sorgen
Einen, den die Rivalität der Deutschen nur freuen kann, ist Alberto Longo, Chief Champion Officer der Rennserie und damit die Nummer 2 der Hierarchie direkt hinter dem neuen CEO der Formel E Jamie Reigle. Denn der Konkurrenzkampf macht die Rennserie noch attraktiver fürs Publikum. Wobei er nicht mit mehr Zuschauern an den Strecken rechnet. „Hier sind die Plätze begrenzt“, sagt er im Hintergrundgespräch, „und die Ränge in der Vergangenheit meist ausverkauft“. Aber bei den Fernsehzuschauern erwartet er weiteres Wachstum. „So wie in den Vorjahren“.
Mehr Werksteams möchte er allerdings nicht in die Formel E lassen, auch wenn weitere Konzerne an seiner Tür kratzen. Lieber sähe er eine bekannte Marke, die stark im Endkunden-Geschäft ist. Allerdings hätte ein Newcomer nur eine Chance, wenn ein anderes Team ausscheidet.
Ganz anderes bei den Austragungsorten, dort rede er derzeit mit mehr als 23 Städten. Allerdings möchte er keine weiteren Rennen in Europa austragen, hier gebe es bereits fünf Läufe, lieber möchte er in Asien oder Lateinamerika expandieren.
Mehr Spannung erhofft sich Longo auch von der dritten Generation von Fahrzeugen, deren Eckdaten zurzeit mit dem Motorsportverband FIA diskutiert würden und die ab 2022 auf die Piste sollen. So wünscht er sich leichtere und damit agilere Fahrzeuge durch bessere Akkus mit höherer Leistungsdichte eventuell mit Allrad-Antrieb. Und er möchte einen Boxenstopp einbauen, währenddessen die Teams in 20 bis 30 Sekunden zehn Prozent der Batteriekapazität nachladen können. Was wiederum die Rennen abwechslungsreicher machen soll, „denn dabei passieren auch schnell Fehler“. „Derzeit suchen wir nach einem Partner, der Energieerzeugung und -verteilung sowie das Schnellladen aus einer Hand anbieten kann“. Er macht aber auch deutlich: Auf keinen Fall will er den Teams mehr Freiheit beim Design der Fahrzeuge geben, um die Kosten im Griff zu behalten.