Daumen hoch oder Daumen runter? Sinn oder Unsinn? Beim Thema Plug-in-Antriebe reden sich Realos und stramme Grünlinge gern die Köpfe heiß. Fest steht: Wer mit seiner Familie gern mal weiter unterwegs ist, will unterwegs nicht permanent schleichen, pausieren oder gar zum Laden übernachten, nur weil die Batterie seines vollelektrischen Autos schon wieder mal leer gefahren ist. Und die wundersamen Feststoffbatterien, für die uns bis zu 1000 Kilometer Reichweite und Ladezeiten von drei bis zehn Minuten versprochen werden, sind frühestens nach 2025 in Sicht.
Da kommt so ein Zwitter wie der Plug-in-Hybrid, der Alltag und Urlaub in einem Auto kombiniert, gerade recht. Dessen kleinere Batterie reicht für die tägliche Pendelei ins Büro oder so, und auf der Langstrecke muss eben der Verbrenner ran. Das findet auch Mercedes, zumal die neuen Plug-in-Modelle der Marke durch bemerkenswerte Effizienz auffallen sollen, was sich auch in der von Mercedes ausgerechneten Ökobilanz zeige. „Diese Modelle bringen in de Gesamtbilanz, also von der Produktion bis zum Lebensende, gegenüber konventionellen Autos mit Verbrennungsmotoren eine Einsparung von rund 55 Prozent Kohlendioxid“, erklärt uns Jürgen Schenk, Chefentwickler für Elektrofahrzeuge bei Mercedes Benz.
Überhaupt wolle Mercedes seinen Kunden den Einstieg in die Welt der Elektromobilität mit diesen neuen Modellen so einfach wie möglich machen. Deshalb kombinieren die Stuttgarter in der Mercedes C- und E-Klasse jeweils ihren modernsten, vorbildlich sauberen, ergo zukunftssicheren Dieselmotor OM 654 mit einem extern aufladbaren Hybridsystem (Lithium-Ionen-Batterie mit 13,5 kWh) der dritten Generation. Der Verbund aus dem 143 kW (C-Klasse) beziehungsweise 155 kW (E-Klasse) starken Vierzylinder-Selbstzünder mit einem generell 90 kW starkem Elektromotor von Bosch und dem neuen 9-Gang-Hybridgetriebe soll laut Mercedes super harmonieren.
Und der neue On-Board-Lader mit einer Ladeleistung von 7,4 kW soll den bestmöglichen Kompromiss zwischen Baugröße, Gewicht und Power offerieren. An der intelligenten Wallbox soll dann die leere Batterie beispielsweise komfortabel zu Hause nach 1,5 Stunden wieder vollständig geladen sein. Per Wallbox Web-App sind Ladesteuerung, Nutzerverwaltung, Ladestatistiken und kostenoptimiertes Laden übers Smartphone einstellbar. Und für die übliche Haushaltssteckdose prognostiziert Mercedes eine erträgliche Ladezeit von rund fünf Stunden.
Anfang Dezember kommt der dieselnde Plug-in-Hybrid der E-Klasse
Apropos Prognose: Eigentlich sollten die neuen Diesel-Plug-in-Modelle im „Spätsommer“ bei den Händlern sein. Das war die Ansage im Februar. Jetzt aber ist das größere E-Klasse-Modell für Anfang Dezember und die entsprechende C-Klasse erst für Frühjahr 2019 terminiert. Und zu den Preisen will Mercedes noch nichts konkretes sagen. „Günstiger als die Vorgänger“, heißt es da erst einmal. Okay, immerhin hatten wir schon jetzt Gelegenheit beide Modelle im Vergleich einige Kilometer zu testen. Spannende Frage: Sind Effizienz, Fahrspaß und Komfort hier tatsächlich so toll?
Gestartet sind wir mit der luxuriöseren E-Klasse-Limousine am Stuttgarter Flughafen zu einer Tour über 16,5 Kilometer. Bei viel Sonnenschein und ziemlich batteriefreundlichen 21 Grad Celsius. Das Fahrerdisplay signalisiert für den Speicher einen Ladezustand von 100 Prozent, aber nur eine mögliche Reichweite von 43 Kilometern. Tja, die in den vorläufigen Daten noch nach alter NEFZ-Norm angegebenen 54 Kilometer sind in der Realität schon mal etwas geschrumpft. Trotzdem wählen wir nicht den Hybridmodus (elektronisch gesteuertes Zusammenspiel von E-Motor und Verbrenner), sondern den reinen E-Antrieb, der den Diesel nur bei bösen „Vollgas“-Einlagen aktiviert. Schließlich wollen wir ja porentief sauber in die City.
Sehen Sie hier die Vor- und Nachteile des Diesel-Plug-ins von Mercedes:
Wir rollen los, und drinnen ist es selbst auf den ersten beiden Autobahn-Kilometern bei Tempo 120 mucksmäuschenstill. Keinerlei Antriebsgeräusche, keine Vibrationen, keine Windgeräusche (aha, Doppelverglasung, kostet extra), kaum Abrollgeräusche, nur der unendlich sensible Sound (richtig, cooler Jazz) des High-End-Systems von Burmester (ja, viel Aufpreis). Rundherum viel Leder und Sitzwangen, die uns in den Kurven pneumatisch-automatisch festhalten. Diese totale Stille. Nur beim Heranrollen an die erste Kreuzung — was vom Hybridsystem flugs zum Energierücksammeln (Rekuperieren) genutzt wird — identifizieren wir ganz weit im Hintergrund ein zartes Geräusch, das an eine bremsende Straßenbahn erinnert.
Das also funktioniert schon mal schick und fein, ebenso die sänftenartige Federung und Dämpfung. Die aufregend schlagartige Power, die wir für flotte Überholmanöver abrufen können, ist angesichts der 306 PS Systemleistung und speziell des gewaltigen Drehmoments von 700 Nm (schon bei 1400 Touren!) natürlich keine Überraschung. Das haben wir unterwegs, Ehrenwort, auch nur zweimal probiert, zumal das haptische Fahrpedal da gleich ermahnend mit etwas Gegendruck reagiert. Schaltrucke? Fehlanzeige. Auch die Zugkraftanschlüsse des Getriebes passen perfekt.
Wer’s braucht: Von Null auf Hundert geht es hier in zackigen 5,9 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 km/h, die rein elektrische Spitze bei gut 130 km/h. Nicht schlecht für ein Oberklasseauto mit mindestens 1985 Kilo Lebendgewicht, das deshalb auch dieses nicht unangenehme Schwere-Wagen-Gefühl vermittelt. Das Batteriepaket, das sich mit 96 koreanischen Pouchzellen (Chemie: Nickel-Mangan-Cobalt im Verhältnis 6:2:2) hinter den Rücksitzen flach macht, ist hier übrigens mit 120 Extrakilos im Spiel, das komplette E-System kommt auf rund 250 Kilo. Leider klaut die Batterie, die bei der Daimler-Tochter ACCUMOTIVE im sächsischen Kamenz produziert wird, dem Kofferraum der Limousine etwa 170 Liter Ladevolumen. Gerade 370 Liter bleiben übrig, da müsste ein größerer Urlaubskoffer zu Hause bleiben.
Der Rest der Tour in Stuttgarts Rushhour war denn mehr das entspannte Gleiten, dazu natürlich ein bisschen Stop-and-Go im Stau. Und am Ende zeigte das Display noch 18 Kilometer Restreichweite, ergo wären wir knapp 35 Kilometer weit gekommen. Mal zum Vergleich: Im Großraum Berlin hätte das nicht mal für die Durchquerung der Stadt gereicht. Okay, man könnte die feine Fuhre etwas zahmer fahren und rollen lassen, aber wer will schon ständig an der Kreuzung der Bummelletzte sein? Und überhaupt: Kennen Sie Stuttgart? Genau, vom Flughafen in die Innenstadt geht es eigentlich nur bergab. „Geodätisch dankbar für ein Elektroauto“, grinst ein darauf angesprochener Daimler-Techniker. Insofern war die von Mercedes ausgewählte Grundstrecke eigentlich eine Steilvorlage für den Hybrid.
Als potenzielle Kunden der neuen E-Klasse-Dieselhybride sehen die Stuttgarter übrigens solvente private oder dienstliche Vielfahrer, die Wert auf Langstreckenkomfort legen, gelegentlich auch von der hohen Anhängelast (bis zu 2100 Kilogramm) profitieren und dann emissionsfrei in Innenstadtbereiche düsen wollen. Natürlich kann man sich im E-SAVE-Modus den Batteriestrom speziell für Letzteres auch per Tastendruck aufsparen.
C-Klasse: Über 1000 Kilometer Gesamtreichweite mit dem Diesel-Hybrid
Schnell umsteigen, unsere zweite Runde gehört einem dunkelblauen C-Klasse T-Modell. Diesem neuen dieselnden, mittelgroßen Hybrid-Kombi, der mit gleicher Plug-in-Technik unterwegs ist und wie das E-Klasse-Modell eine Gesamtreichweite (Strom plus Diesel) von über 1000 Kilometern offerieren soll. Das Ganze also eine Klasse tiefer und leichter (1880 Kilo Leergewicht) auf einer Strecke von 29 Kilometern mit ziemlich gemischtem Profil. Fahrerisch so erfreulich wie in der E-Klasse, nur akustisch sind hier der Diesel und der E-Antrieb des C 300 de etwas präsenter, ohne jedoch aufdringlich zu sein. Mercedes-typischer Fahrkomfort, aber auch hier durchs Batteriepaket spürbare Einbußen beim Ladevolumen: Nur 315 Liter (minus 175 Liter) bei stehenden Rücksitzen. Exakt hier beginnt der Kompromiss, mit dem sich der Interessent arrangieren muss.
Diesmal waren wir zügiger im Elektro-Modus unterwegs. Die Statistik: 54 Minuten Fahrzeit, davon 25 Kilometer elektrisch, 4 Kilometer per Diesel. Diesel-Verbrauchsschnitt 1,1 Liter, durchschnittlicher Stromverbrauch 25,1 kWh. Fast 40 Kilometer Reichweite hätten wir so unter realistischen Bedingungen geschafft. Nicht ganz das Gelbe vom Ei (Mercedes verspricht 57 Kilometer nach alter NEFZ-Norm), aber wie uns die Statistiker gern erzählen fährt der Deutsche ja im Schnitt nur 38 Kilometer pro Tag. So gesehen wäre der hier mögliche E-Radius durchaus akzeptabel, oder?
Interessant ist auch die Arbeit des virtuellen ECO-Assistenten, der uns unterwegs betreut. Mit zarten Hinweisen, wann wir bitte mal den Fuß vom Fahrpedal nehmen sollten, etwa weil ohnehin gleich ein Geschwindigkeitslimit folgt. Und mit Funktionen wie „Segeln“ (Rollen mit möglichst geringem Fahrwiderstand) oder der gezielten Steuerung der Rekuperation. Dafür werden Navigationsdaten (Kurven, Kreuzungen, Gefälle), die Verkehrszeichenerkennung und Informationen der Sicherheitsassis (Radar und Stereokamera) vernetzt genutzt.
Generell regelt Freund ECO innerhalb der Systemgrenzen den Schub situationsgerecht, sobald wir den Fuß vom Gas nehmen. Den Hinweis, dies bitte zu tun, erhalten wir auch optisch: durch die Einblendung eines Symbols „Fuß vom Gas“ im Zentraldisplay (beziehungsweise, wenn geordert, im Head-up-Display). Zugleich wird uns durch eine Grafik der Grund der Empfehlung („Kreuzung voraus“ oder „Gefälle voraus“) angezeigt. Und um unsere Motivation zu erhöhen, den Empfehlungen zu folgen, zeichnet der Bordcomputer auf, wie viele Kilometer/wie viel Zeit einer Fahrt wir mit ausgeschaltetem Motor unterwegs waren — und zeigt dies im Zentraldisplay an. Belohnung: weniger Verbrauch, mehr elektrische Reichweite.
Nebenbei werden laut Mercedes erstmals auch der Wärmehaushalt des Verbrenners und Funktionen der Abgasnachbehandlung wie die Regeneration des Diesel-Partikelfilters so gesteuert, dass Verbrauch und Emissionen stets im optimalen Bereich liegen. Auch die elektrische Vorklimatisierung des Innenraums bei Hitze oder Kälte ist im Programm. Aus dem Hochvolt-Bordnetz werden nämlich neben den Antriebskomponenten und der Unterdruckpumpe des rekuperativen Bremssystems auch der elektrische Kältemittelverdichter und der Hochvolt-Zuheizer versorgt. Beide ermöglichen schon vor dem Losfahren eine kuschlige Temperierung des Innenraums, weil sie auch ohne Verbrennungsmotor auskommen.
Summa summarum lässt sich sagen, das die beiden neuen, technisch ziemlich perfekten Diesel-Plug-in-Hybride trotz ihres knapperen Laderaums durchaus Sinn machen, wenn man das Auto nicht ständig bis unters Dach vollstopfen muss. Für Mercedes sind sie jedenfalls keine Übergangslösung, sondern „eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg in die lokal emissionsfreie Mobilität“. Kurzfassung von Schenk: „Elektrisch fahren ohne Einschränkungen.“
Mercedes macht ohnehin schon mal die Andeutung, dass sich dieses neue, skalierbar aufgebaute modulare Hybridkonzept auf eine Vielzahl von Baureihen und Karosserieversionen sowie Links- und Rechtslenkervarianten bei Fahrzeugen mit Heckantrieb übertragen ließe. Was die Stuttgarter offiziell noch nicht verraten: Schon im nächsten Jahr bekommen zwei SUV-Modelle den dieselnden Plug-in-Antrieb — im Sommer der Mittelklässler GLC, in der zweiten Jahreshälfte der große GLE. Und bei diesen Hochsitzern dürften bauartbedingt auch die Einbußen beim Laderaum deutlich geringer ausfallen.